Teil 6

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Wir waren bereits am folgenden Tag aufgebrochen und kamen in der Abenddämmerung des vierten Tages in Minas Tirith an. Kaum Menschen waren uns bisher begegnet, wie es im Krieg nicht unüblich war, doch bei den wenigen Begegnungen sahen sie mich meist mit großen Augen an und verneigten sich tief vor uns.

Noch bevor wir den untersten Ring der Stadt betreten hatten, hatte sich die Nachricht von Boromirs Rückkehr bereits wie ein Lauffeuer verbreitete. Alle Menschen, an denen wir vorüber gingen, verneigten sich und ich versuchte mich so unsichbar wie möglich zu machen, nicht wünschend zu viel Aufmersamkeit auf meine Person zu ziehen.

Im zweiten Ring wurden wir von fünf Reitern begrüßt, die von Boromirs Vater geschickt worden waren, uns abzuholen. Bei sich führten sie ein reiterloses Pferd, das offensichtlich für Boromir war, der mich, mit meiner Zustimmung, vor sich in den Sattel hob. Als wir oben ankamen lief uns schon sein Vater Denethor entgegen, der seinen Sohn glücklich in die Arme schloss, nachdem dieser mir vom Pferd geholfen hatte. Ich wandte den Blick zur Seite, zum einen, weil es mich schmerzlich an meinen verblichenen Vater erinnerte, zum anderen, weil diese Gefühle die offenbart wurden nur die beiden etwas angingen.

"Vater, darf ich dir diese bezaubernde junge Dame vorstellen? Dies ist Laurelin, meine Retterin", er nahm meine Hand und ich knickste mit klopfendem Herzen vor dem Herrn der Stadt. Dieser neigte zum Gruße leicht den Kopf und musterte mich überrascht, mit einem Anflug von Unmut in den Augen. Ich zwang mich zu einem Lächeln und hielt seinem prüfenden Blick entschlossen Stand.

Eine unbehagliche Stille trat ein, die Boromir durchbrach, indem er einem Diener befahl, mir ein Zimmer zu richten und sich dann an mich wandte: "Ich bin mir wohl bewusst, dass Ihr nach diesem anstrengendem Tag müde seid, aber würdet Ihr mir die Ehre erweisen mich bei einem Spaziergang zu begleiten? Natürlich nur bis Eure Gemächer gerichtet sind."

"Es wäre mir ein Vergnügen", antwortete ich, knickste zum Abschied erneut vor Denethor und ergriff die mir dargebotene Hand.


"Ich denke, er wird dich mögen", versicherte mein Begleiter, kaum dass wir außer Hörweite waren. "Ich kam mir ganz verwildert vor, als er mich so gemustert hat", lachte ich verlegen auf und versuchte das Unbehagen des vergangenen Momentes mit einem Scherz zu überspielen. "Er wird dich mögen, dessen bin ich mir sicher. Du wirst sein Herz genauso erobern wie du meines erobert hast", redete Boromir mir gut zu und hielt dabei meinem Blick entschlossen stand, bis ich zögerlich nickte. Ganz langsam kamen wir uns näher, bis sich unsere Lippen sanft streiften. Es war nur ein einziger flüchtiger Kuss, aber an diesen Moment dachte ich noch sehr lange zurück.

Nachdem wir die Gärten besichtigt hatten, brachte der Sohn des Truchsesses mich noch auf mein Zimmer. Es war schön hell und geräumig. Ein einfaches Bett stand auf der einen Seite, daneben ein mit Ornamenten bemalter Schrank und am Fenster ein wuchtiger Sekretär, gegenüber eine Kommode auf der eine Waschschüssel stand und über der ein Spiegel hing, der mein Antlitz leicht verzerrt widerspiegelte, als ich mich davor stellte. Daneben war eine Tür, die vermutlich ins Bad führte, aber bevor ich sie öffnen konnte schlangen sich zwei Arme von hinten um meine Hüften.

"Es ist wirklich schön!", flüsterte ich dankbar und beobachtete Boromir im Spiegel. "Nein, du bist schön, wunderschön sogar", erwiderte er und küsste meinen Nacken hinauf bis zum Kiefer. "Dies ist ein Gästezimmer für die persönlichen Gästen des Herrn der Stadt, ich war so frei es dir zur Verfügung stellen zu lassen. Du solltest gleich ein warmes Bad nehmen, ich werde dir eine Dienerin schicken. Mein Vater wird sicher mit uns essen wollen."

Ich nickte, dann drehte ich mich in seinen Armen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. "Herr Denethor wirkte nicht gerade euphorisch, als er mich an deiner Seite sah. Was ist, wenn ihm unsere Verbindung missfällt?", fragte ich ein wenig besorgt, denn ein großer Streit war das letzte, was meinetwegen ausgetragen werden sollte. "Dann gehen wir zu den Soldaten und essen dort weiter", grinste Boromir jedoch bloß belustigt und entlockte mir, obwohl ich die Sorgenfalten auf seiner Stirn gesehen hatte, damit ein Lächeln, dass er zärtlich küsste.

Anfangs ganz sanft, wurde der Kuss immer leidenschaftlicher, bis ich die Augen schloss und mich meinen Gefühlen vollkommen hingab. Eine seiner Hände wanderte zu meiner Hüfte hinab und strich dort entlang, mit der Andern drückte er mich fest gegen sich. Ganz langsam, wie bei einem Tanz, führte der Soldat mich einige Schritte rückwärts, bis meine Waden den Bettrand erreichten und er mich sanft in die Kissen niederdrückte. Boromir lag auf mir und sein Gewicht ließ mich wohlig schaudern. Mit beiden Armen hielt ich ihn eng umschlungen und als mein Knie an die Innenseite seines Schenkels stieß... öffnete sich die Tür.

Erschrocken lösten wir uns voneinander und beobachteten eine Dienerin, die ein Handtuch über die Stuhllehne hängte, wobei sie so tat, als sähe sie uns nicht. Kaum hatte sich die Tür wieder geschlossen küsste Boromir mich erneut, aber ich schob ihn von mir herunter und erklärte würdevoll, nun erst einmal ein Bad nehmen zu müssen. In gewisser Weise war das sogar die Wahrheit, allerdings wollte ich auch nicht, dass Denethor von unserer aufkeimenden Liebe erfuhr und je länger wir alleine in einem Zimmer verbrachten, desto eher war die Wahrscheinlichkeit, dass er dachte ich wäre... Ich biss mir auf die Lippe, scheuchte den Mann aus meinem Zimmer und wartete, bis mir warmes Wasser gebracht wurde.

Während des warmen Bades konnte ich mich endlich von der erlebten Peinlichkeit und den Strapatzen der letzten Wanderung erholen. Kaum war ich fertig abgetrocknet, erschien eine Dienerin und half mir beim Anziehen eines hübschen weinroten Kleides mit schwarzer Spitze, welches mir ebenfalls zur Verfügung gestellt worden war. Danach flocht die Frau mir die Haare zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur, die mit guten zwei Dutzend ziepender Haarnadeln festgesteckt wurde, ohne die ganze Zeit auch nur ein Wort mit mir zu reden. Mit den Gedanken bereits ganz woanders dankte ich der Dienerin und entließ sie mit einem Wink.

Der Preis der Liebe (Boromir FF) ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt