Kapitel 26

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-Rylin-

Stunden waren vergangen, inzwischen hatte Rylin Wasser und einige Beeren gesammelt. Sie schliff gerade mit ihrem Taschenmesser einen Stock so, dass eine scharfe Spitze an einem Ende entstand. Ihr war klar, dass sie nur mit Beeren nicht lange durchhalten würde, deswegen müsste sie jagen. Von nun an würde sie überleben, das stand fest. Dieses Leben im Wald - es erinnerte sie an ihr früheres Ich. So wie sie war, bevor sie in dieses Rettungsboot gestiegen war.

Eigennütziges Überleben, das passte zu Rylin. Alleine ging es ihr immernoch am besten - ohne Gefühle, ohne Gale und ohne Jack. Sie würde es ohne die beiden schaffen, nicht nur überleben, sondern auch leben. Und vor allem würde sie nicht wieder einknicken und darüber nachdenken, das alles zu beenden.

Daran dachte sie, kurz bevor sie mit dem Messer abruschte und in ihren Finger schnitt. Der Schnitt fing sofort an zu bluten. Deswegen drehte sie sich um, damit sie die Wunde auswaschen konnte und legte ihre Hand ins Wasser. Als Rylin aufsah, erschrak sie. Sie hätte schwören können, dass da auf der anderen Seite des Baches für einen Moment Gale stand. Doch es war Jack. Ob es das besser machte, wusste sie nicht.

"Ich glaube wir sollten reden",brach er die Stille.
"Musst du mich denn wirklich so gruselig anstarren? Wenn du reden willst, dann rede",meinte Rylin genervt und schaute zurück auf den Bach. Ihr gefiel ihr Tonfall. Auch er war ein Markenzeichen der alten Rylin gewesen. Scheinbar hatte allein der Traum von Gale ausgereicht, dass sie wieder so gefühlskalt wurde.
Schließlich bereute sie es, dass sie ihm im Traum einfach so verzeihen wollte. Nach allem, was er ihr angetan hatte.

"Ich wollte nur wissen, ob du wirklich ehrlich zu mir warst. Wenn das der Fall ist, dann werde ich mich für immer von dir fern halten. Ich will nur sicher sein, dass ich das attraktivste Mädchen, das ich jemals gesehen habe, verloren habe, bevor ich sie ganz aufgebe." Jack schaute ihr, während er redete, die ganze Zeit in die Augen, obwohl sie den Blick nicht erwiderte.

Rylin spürte wie ihre Wangen heiß wurden. Als sie antwortete, wurden sie nur noch heißer. "Es ist die Wahrheit. Ich liebe immer noch Gale. Das habe ich immer und werde es immer",ruschte es ihr heraus. Sie wusste selber nicht, ob sie Jack wieder anlügte oder ob es wahr war.

"Okay, dann werde ich deine Antwort akzeptieren." Sie war ihm zwar nicht anzusehen, doch die Enttäuschung konnte man ganz klar in seiner Stimme hören.

Er entfernte sich von ihr, immer weiter und weiter. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihm nachschaute, bis der Wald ihn verschluckte. Sie war wieder allein. Warum konnte sie nicht einfach die alte Rylin sein, die sich um nichts und niemanden außer sich selbst kümmerte? Alles wäre einfacher.

Ihr Blick, der gerade noch ins Leere gerichtet war, wurde wieder konzentrierter auf ihren kaum noch blutenden Finger. Wem wollte sie was vormachen? Sie war doch immer dieselbe Rylin gewesen, oder? Es gab keinen Grund mehr sich Sorgen um Gefühle zu machen, weil sie jetzt erfolgreich jeden vergrault hatte, dem sie mal etwas bedeutet hatte. Also war doch alles so wie früher, oder?

Plötzlich entdeckte sie im Wasser etwas. Ein Stück Papier. Sie ahnte schon, was jetzt kommen würde.

"Rylin, du hast es endlich geschafft, dass er dich hasst.
Aber ich denke, dass das doch nicht zu dir passt.
Allein, das warst du schon viel zu lang,
es war falsch, dass ich dich dazu zwang.
Also warum entschuldigst du dich nicht?
Es ist doch deine Pflicht.
Schließlich müsst ihr wieder zusammenkommen,
sonst werde ich dir zuvorkommen..."

Was? Nach alle dem, was sie ihm angetan hatte, sollte sie ihn jetzt wieder dazu bringen, sich in sie wieder zu verlieben? Der Gedichteschreiber weiß anscheinend auch nicht, was er da von ihr verlangt. Das würde sie niemals hinkriegen. Sie hatte es satt, mit Jacks Gefühlen zu spielen. Bestimmt müsste sie in ein paar Tagen wieder dafür sorgen, dass er sie hasste.

Das war zu viel für Rylin. Der Gedichteschreiber hatte sie komplett in der Hand und benutzte sie wie eine Spielfigur in seinem perfiden Plan. Ständig könnte er sie mit Jacks Leben erpressen. Das musste aufhören, so schnell wie möglich. Wenn sie es doch nur jemandem erzählen könnte, der ihr helfen würde...

Sie musste es Jack sagen. Er war der Einzige, der hier war. Aber dann müsste sie ihn beschützen. Er durfte nicht wegen ihr sterben. Natürlich müsste er ihr dann erstmal auch glauben und vergeben. Na das könnte ja lustig werden.

Auf einmal hörte sie jemanden schreien.
"HILFE!"
Es kam vom Strand. Aber es war weder Jacks Stimme, noch Gales. Rylin kannte die Stimme zwar, konnte sie aber nicht sofort zuordnen. Trotzdem rannte sie zum Strand. Als sie aus dem Wald heraus war, entdeckte sie Jack neben sich rennen.

Und plötzlich verließ sie der Mut, ihm alles zu erzählen. Er sah so mitgenommen aus. Wäre es nicht noch schlimmer, ihm wieder Hoffnungen zu machen? Das würde sie nicht übers Herz bringen.

Sie wandte ihren Blick von ihm ab. Es war einfach unaushaltbar, ihn weiter anzuschauen. Außerdem wollte sie wissen, wer da vorne im Sand, der an der Stelle rot eingefärbt war, lag. Nur noch wenige Meter entfernt, konnte sie einen vor Schmerz gekrümmten Ashton erkennen. Neben ihm lag ein A-Mädchen, auf dessen Kopf wild eingestochen wurde. Also besser gesagt, eine Leiche. Sie schaute auf Jack, der inzwischen auch vor Ort war. Seine Augen waren tränenüberlaufen.

Auch wenn die Stimmung zwischen ihnen schlecht war, würde es bestimmt helfen, wenn Rylin ihm half, seinen Freund zu retten. Damit würde sie anfangen, sich zu entschuldigen.

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