Kapitel 2

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Gegenwart

Der Wecker zeigt 06:30 Uhr an. Ich sollte jetzt aufstehen, mich fertig machen und zur Schule gehen. Es klingt so einfach und das war es auch mal, aber jetzt nicht mehr – zumindest nicht für mich und ich habe keine Ahnung was sich geändert hat. Mein Leben steht im Moment Kopf – und das seit inzwischen über 3 Jahren.

Irgendwie schaffe ich es aufzustehen. Ich weiß nicht wie, aber ich schaffe es. Seit Tagen denke ich daran, was heute passieren wird. Ein Nervenzusammenbruch? Wieder eine Panikattake? Oder ist heute ein guter Tag?

Nervös betrete ich den Klassenraum. Alle unterhalten sich und auf mich wirkt das Stimmengewirr doppelt so laut wie es wahrscheinlich ist. Ein paar Mitschüler lächeln oder winken mir kurz zu, verschwenden jedoch keine Zeit, um mit mir zu reden. Wieso auch? Es ist ein normaler Schultag. Mit dem einzigen Unterschied, dass heute die Sozialkundeklausur geschrieben wird. Ich weiß, dass ich genug gelernt habe, jedoch leide ich unter starker Prüfungsangst. Früher waren es nur Blackouts, die mir Klausuren und Tests zur Hölle gemacht haben, inzwischen arten sie schnell mal zu einer Panikattake aus. Ich zittere am gesamten Körper, mein Nacken ist nassgeschwitzt. Ich setze mich an einer der vorderen Tische, möglichst nah an der Tür. Ich fühle mich einfach sicherer, wenn ich einen Fluchtweg in Reichweite habe – einfach für den Fall der Fälle. Meine Sozialkundelehrerin, Frau Adler, betritt den Raum.

Nervös spiele ich mit meinem Kugelschreiber rum. Das regelmäßige Klicken beruhigt mich. Genervt dreht sich das Mädchen, welches vor mir sitzt, um. Entschuldigend lächle ich ihr zu und lege den Stift beiseite. Sie dreht sich um und schreibt weiter. Etwas, was ich nicht kann – weiterschreiben. Meine Gedanken rasen, die Buchstaben vor mir verschwimmen und mir wird schlecht. Bitte nicht hier. Nicht jetzt. Schießt es durch meinen Kopf. Doch die Panik breitet sich weiter aus. Ich melde mich, frage, ob ich auf Toilette gehen darf. Wie in Trance stehe ich auf, verlasse den Raum und gehe durch die menschenleeren Flure zur Toilette. Doch in mir drin wütet ein Sturm. Es kostet mich all meine Energie nicht durchzudrehen. Ich verschließe die Toilettentür und sacke am Boden zusammen. Und in diesem Moment realisiere ich, wie kaputt ich tatsächlich bin. Ich wusste, dass ich Risse habe, aber nicht, dass ich langsam zerfalle. Kann man mich noch retten? Ich weiß es nicht. 

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Wieder übergebe ich mich. Ich sitze zwar erst fünf Minuten hier, am Boden der Schultoilette, aber es fühlt sich an wie eine kleine Ewigkeit. Bei jedem Atemzug brennt meine Lunge. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Atmen. Ein und aus. Atmen. Wie ein Mantra wiederhole ich die Worte in meinem Kopf. Ich muss hier raus. Also stehe ich wackelig auf, wische die Tränen von meinen Wangen und stehe auf. Ich gehe zum Waschbecken und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Mit einem Papiertuch trockne ich es ab und versuche, die verlaufene Wimperntusche in den Griff zu bekommen. Dann atme ich mehrfach tief durch – und verlasse meinen sicheren Ort. Die Panik lässt nach. Erleichterung flutet mein Herz – Erleichterung darüber, dass es keine schlimme Panikattake war. Ich kann wieder in den Klassenraum gehen – und darüber bin ich verdammt froh. Ich weiß nicht, ob ich es ausgehalten hätte, jemandem zu erklären, weshalb ich fluchtartig den Raum verlassen habe und nicht wiedergekommen wäre. Ich atme noch einmal tief ein, dann öffne ich die Tür, lächle Frau Adler zu, setze mich hin und versuche krampfhaft, irgendetwas zu Papier zu bringen. 

When you changeWhere stories live. Discover now