2. Auf eine enge Zusammenarbeit!

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Die Sommerakademie Institut Sankt Moritzburg – derjenige, der sich diesen komplizierten Namen ausgedacht hatte, sollte bestraft werden, am besten mit abstehenden Ohren oderetwas ähnlich Erniedrigendem – war schon von außen beeindruckend gewesen. Das helle Hauptgebäude ragte imposant in die Höhe, Fenster um Fenster zierte die Fassade, oben gebogen und mit filigranen Holzrahmen, ebenso wie zahlreiche Wasserspeier, die an der Dachrinne platziert waren.

Ich hatte meinen Koffer abgestellt und mit offenem Mund nach oben gestarrt. Das mussten mindestens fünf Stockwerke sein. Mein Brustkorb hatte sich verkrampft, denn auf einmal hatte ich mich ganz klein gefühlt. Bedeutungslos.

Was hatte nochmal in der Broschüre zu der Schule gestanden? Angeblich kamen die meisten zum ersten Mal mit dreizehn hierher und nicht genau ein Jahr vor ihrem Abitur. Wahrscheinlich kannten sich alle anderen schon und ich würde der komische Sonderling ohne Freunde sein, der einsam in der Ecke sitzen und mit sich selbst Schachspielen würde. 

Plötzlich hatte mir meine Kehle die Luft abgeschnürt, sodass ich eilig den Kopf geschüttelt und meinen Eltern durch den Eingang folgte – durch prächtige Flügeltüren. Was auch sonst. Als ich von der sommerlichen Hitze in die kühle Raumluft wechselte, rollte ich demonstrativ mit den Augen.

Und nun stand ich hier ohne meine Musik, aber dafür umringt von meinem Gepäck und meinen Eltern, inmitten einem Gewusel aus Menschen, und hoffte, dieser Albtraum würde enden. 

Zahlreiche Familien besiedelten die ovale Räumlichkeit, quatschen aufgeregt miteinander, sahen sich um, begrüßten ihre alten Freunde oder beobachten ähnlich wie ich die anderen. Gepäckstücke verteilten sich auf dem Marmorboden aus schwarzen und weißen Kacheln, die durch die wuselnden Jugendlichen kaum sichtbar waren. Ein regelmäßiges Summen, wie in einem aufgeregten Bienenstock, durchflutete meine Ohren, während das warme Licht der vergoldeten Kronleuchter die Szenerie einhüllte.

„Sieh mal, Jakob Valentin!", quäkte meine Mutter. Als sie meinen Zweitnamen so schallend und deutlich sagte, vor allen anderen, die in ungefährer Reichweite standen, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Was schrie denn mehr nach verwöhntem Unternehmerkind, als Jakob Valentin Gramberg zu heißen? Aber trotzdem erwiderte ich nichts. Es hätte ohnehin keinen Sinn zu diskutieren. Ihre Augen leuchteten in Ehrfurcht, als sie durch die beeindruckende Halle blickte. „Diese Institution entspricht deinem Stand, im Gegensatz zu dieser furchtbaren staatlichen Schule."

Sie betonte das Wort, als wäre es ein Ort des Grauens und Schreckens, der der Todesstrafe gleichkam, womit sie ausnahmsweise gar nicht so falsch lag, obwohl sie den Grund dafür absolut verfehlt hatte.

„Entsprechend Dokumentenfälscher auch meinem Stand?" Ich deutete zur Wand rechts neben uns, ehe ich meiner Mutter einen vielsagenden Blick zuwarf, denn von der Decke bis zum Boden bepflasterten gerahmte Urkunden und Auszeichnungen die Fläche. Wie in aller Welt konnte eine einzige Schule all das erreichen?

„Jakob!", empörte sich meine Mutter noch schriller als zuvor. „Es zeugt nicht von einer guten Kinderstube, groteske Behauptungen zu-"

„Cesare!", unterbrach mein Vater sie, als hätte er die Worte seiner Frau nicht wahrgenommen, obwohl die mehr als deutlich gewesen waren. Einige der Umstehenden musterten uns bereits kritisch, darunter zwei identisch aussehende Mädchen, die nicht älter als dreizehn sein konnten, ein bulliger Junge mit dunklen Haaren, die ihm übers halbe Gesicht hingen, und ein Elternpaar, das vollkommen in Weiß gekleidet wirkte, als wären sie zwei besonders stolze Schwäne. Wo war ich hier nur gelandet? 

„Verzeiht, ich muss Konversation betreiben", raunte meinVater an uns gewandt, bevor er die Hand wie zum Gruß anhob und das Kinn nochweiter nach oben reckte. Irritiert folgte ich seinem Blick durch die aufgewühlte Masse zu einem Herrn in mittlerem Alter mit perfekt sitzenden, schwarzen Haaren, markantem Schnurrbart und einem hervorstehenden Bauch. 

Hinter ihm begutachtete eine Dame mit gerümpfter Nase denselben Flyer des Institutes, den ich schon kannte. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann war sie schlank und grazil, trug ein flatterndes, orangenes Sommerkleid, dazu knalligen Lippenstift und eine viel zu komplizierte Hochsteckfrisur. Wie lange sie brauchen würde, um die zu entwirren? 

Scheinbar hatte der Schnurrbart-Mann – ich nannte ihn liebevoll den Zirkusdirektor - ebenfalls meinen Vater erkannt, denn er grinste ihn an, zu breit, zu euphorisch, zu süßlich, genau wie alle anderen Geschäftspartner der Gramberg Motors AG. Entnervt rollte ich mit den Augen.

„Ariane, Liebling", beschied mein Vater zum Abschied, „nimmst du dich bitte der Anmeldung Jakobs an. Cesare wird höchst erfreut sein, mich zu treffen."

„Was auch sonst", murmelte ich zu mir selbst. Schon wieder krampfte sich mein Magen unangenehm zusammen.

„Natürlich, mein Liebling", antwortete meine Mutter, doch ihr Lächeln wirkte gezwungen. Gleichzeitig huschten ihre Augen für eine Millisekunde zur mir, als hätte sie mein undeutliches Gestammel tatsächlich wahrgenommen. „Richte doch Grüße aus, ja? Jakob Valentin-" Ich stöhnte ungehalten. Valentin. Wenn sie mir wenigstens einen wohlklingenden Zweitnamen gegeben hätten. „-wird sich ja sicherlich noch mit Richard bekannt machen."

Wie bitte? Mein Herz donnerte gegen meinen Brustkorb, als mich die Vorahnung wie ein Schatten von hinten überkam, als sie mir die Nackenhaare aufstellte, als sie mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte, obwohl es doch eigentlich so drückend warm war, dass mein Kopf beinahe explodierte. Und erst dann wagte ich es, ein weiteres Mal zu dem Ehepaar zu sehen – oder besser gesagt zu dem Jungen links von ihnen.

„Das wird er sicherlich." Mein Vater grinste mich verschmitzt an. „Ich persönlich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine gute Verbindung zwischen unserem Sohn und Preston von Fleckenstein zu bereiten. Estrifft sich hervorragend, dass sie im selben Alter sind."

Prompt stieg Hitze in meinen Wangen auf, ein knisterndes Feuer aus Scham, das immer heftiger wurde, je bewusster ich mir dessen wurde. Scheiße, das hatte ich doch bestimmt falsch verstanden. Um mich selbst abzulenken, rückte ich meine Brille zurecht, doch meine Finger zitterten dabei unkontrolliert.

„Was meinst du damit, Vater?" Klang ich wirklich so hölzern?

Ich schenkte dem Typen einen knappen Seitenblick, doch schon zuvor hatte sich sein Aussehen unweigerlich auf meine Netzhäute eingebrannt, sodass ich es nie wieder vergessen würde. Vermutlich sah ich nun für den Rest meines Lebens die Prestons Silhouette vor mir, wann immer ich die Augen schloss.

Diese hervorstehenden Wangenknochen, die gerade Nase und seine schmalen Lippen wirkten so hart und unnahbar im Gegensatz zu seinen tiefschwarzen Haaren, die sein Gesicht in weichen Wogen umspielten, und dem stoppeligen Bart, so als hätte er sich heute weder gekämmt noch in einen Spiegel gesehen. Obwohl er ein gutes Stück über mich hinausragte und sich unter seinem engen Shirt Muskeln abzeichneten, war er schmächtig, die Schultern ein Stückchen zu schmal, die Beine minimal zu schwach. Seine stechend grünen Augen blickten scheinbar endlos gelangweilt durch den Raum, ohne Emotionen, ohne Freude, aber auch ohne Abscheu. Preston schien einfach nur anwesend zu sein.

„In wenigen Wochen wird Gramberg Motors mit der Fleckenstein AG eng zusammenarbeiten und aus diesem Grund haben wir beide – Cesare und ich – veranlasst, dass Preston und du ..." Er macht eine theatralische Pause, in der er mit den Händen klatschte. Ich zuckte zusammen. „Ihr werdet euch ein Zimmer teilen!"


Und dann fiel erWo Geschichten leben. Entdecke jetzt