Soldat? Militär? Ich!?

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„Och, nee, du hast ja schon wieder gewonnen", beschwerte sich Marcus. Er und Lucius spielten in der Schule mit Würfeln, Marcus hatte sie mitgebracht. Heute hatte Lucius großes Glück mit seinen Würfen, er hatte nun schon die sechste Runde in Folge gewonnen. Er wollte gerade etwas erwidern, als ihr Lehrer in den Raum hereinkam. In Windeseile packten die Jungen ihre Würfel weg und stellten sich mucksmäuschenstill an ihren Tisch. Der Lehrer, Androchies, war ein griechischer Sklave und zuständig für Sport, sowie militärische Taktik. Er ging leise durch die Bänke und beurteilte stumm die gerade Haltung der siebzehn Jungen. Erst dann wünschte er einen guten Morgen. Es kam ein einstimmiges „Salve, magister!" zurück, dann durften die Jungen sich setzen. „Heute", begann der Lehrer mit lauter Stimme, „geht es um etwas sehr Wichtiges. Ich verlange also absolute Konzentration und Aufmerksamkeit." Er schaute prüfend in die Runde, aber kein Schüler war in irgendeiner Weise in Gedanken versunken, alle wussten sehr genau, wie harte Strafen Androchies verteilte. „Nächsten Sommer wird das Militär wieder einmal zu uns kommen. Ich denke ihr wisst, dass sie alle tauglichen jungen Männer anheuern. Und ihr dürftet auch ganz genau wissen, dass eine solche Aufforderung Pflicht ist und nur durch absolut wichtige und verständliche Gründe abgelehnt werden kann. Wir werden also von nun an, bis zum Sommer, die Grundlagen trainieren, die ihr dann brauchen werdet. Ich erwarte natürlich, dass alle Schüler meiner Klasse ins Militär aufgenommen werden. Macht mir und der Schule keine Schande, indem einer bereits im ersten Test für untauglich erklärt wird."

Lucius saß stocksteif in seiner Bank und starrte Androchies an. Er hatte total vergessen, dass es ja nächsten Sommer schon so weit war. Bis dahin musste er unbedingt an sich arbeiten. Vielleicht konnte er ja Stirrius fragen, ob sie trainieren konnten. Als Germane müsste er ja darüber gut Bescheid wissen.

Und reiten musste er auch schleunigst lernen. Ihm wurde zwar jetzt schon schlecht, wenn er daran dachte, dass er wieder aufs Pferd musste, aber irgendwann würde es nun mal so weit sein und dann lieber zu Hause mit Stirrius, als auf dem Militärsplatz mit Aufsehern.

Marcus stieß ihn in die Seite. Sein Blick fragte stumm: ‚Alles in Ordnung mit dir?' Lucius nickte unauffällig und hörte dann wieder seinem Lehrer zu, der gerade den Trainingsplan erklärte. Lucius wollte nicht, dass seine Freunde sich Sorgen um ihn machten. Das war zwar nett gemeint, gab ihm aber auch wieder das Gefühl, der schwächste von allen zu sein. Bei seinem Vater war ihm das egal, aber wenn das nun auch bei seinen Freunden anfangen würde...

Nach der Schule erwartete Stirrius Lucius schon mit seinem Regenmantel, den er heute Morgen vergessen hatte (Er war alleine gegangen). Es schüttete aus Eimern, denn es schien, als hätte sich Boreas* den Spaß erlaubt, besonders viele Wolken in die Hauptstadt zu treiben. Stirrius legte seinem Herrn den Mantel um, dann winkte er Tulius und Marcus zu, die auch gerade aus dem Schulgebäude kamen. Dahinter folgten die beiden großen und bulligen Jungen, Titus und Gnaeus, die beide eingeschüchtert die Köpfe einzogen, als Stirrius ihnen einen bösen Blick zuwarf. Sie hatten letztens darüber gespottet, dass Lucius von Stirrius abgeholt wurde. Generell hatten sie Lucius schon immer gehänselt.

Damals hatten sie Lucius zugerufen, als sie ihn mit dem unverkennbar mit einem Sklavenhalsband gekennzeichneten Stirrius gesehen hatten: „Och nein! Muss der kleine Lucius etwa abgeholt werden? Hat deine Mami so viele Sorgen um dich? Aber nun, wir können es ihr nicht verübeln, jeder Sklave ist schließlich stärker als du!" Lucius hatte nur ein halbherziges: „Haltet die Klappe", von sich gegeben. Er hatte längst aufgegeben, sich gegen die beiden zu wehren, sie waren seit Kindertagen stärker als er gewesen. „Welche Nationalität? Belger? Aquitaner?", hatte Titus verächtlich gefragt, denn solche Sklaven waren nicht teuer, sondern eher einfach zu haben. Stirrius hatte nur ein Wort kombiniert mit dem richtigen Blick gebraucht, um Titus quietschend hinter Gnaeus springen zu lassen. „Germane." „Wa- Warum hast du den Kerl nicht an der Kette? Was lässt du so einen Barbaren einfach hier frei herumlaufen? Bist du lebensmüde? Der killt dich doch auf offener Straße, wenn du nicht richtig aufpasst!", hatte er entgeistert an Gnaeus' Schulter vorbei gerufen. Lucius hatte ein übertrieben erstauntes Gesicht aufgesetzt. „Was? Bist du etwa besorgt um mich, Titus? Wie niedlich von dir." Er hatte dem Größeren sein honigsüßestes, gekünsteltstes Lächeln zugelächelt. Das hatte ausgereicht, um diesen in Rage zu bringen. „Du wagst es?!!" Er hatte mit seiner rechten Faust ausgeholt und Lucius hatte schon die Augen in Erwartung des Schlags geschlossen. Aber es war keiner gekommen. Lucius hatte seine Augen wieder vorsichtig geöffnet und die geballte Faust des Jungen vor seinem Gesicht schweben gesehen. Er hatte einen Schritt zurück getan und gesehen, dass sich Stirrius' Hand so fest um den Unterarm des jungen Mannes geschlossen hatte, dass seine Fingerknöchel weiß hervorgetreten waren und die Haut an dem festgehaltenen Arm sich ebenfalls weiß verfärbt hatte. Der bullige Junge hatte sein Gesicht schmerzverzogen, aber keinen Ton gesagt. Er hatte nur Stirrius wütend angesehen und sich dann losgerissen. „Komm, lassen wir den Freak alleine", hatte er gesagt, sich dann umgedreht und vorgetäuscht zu gehen. Stirrius hatte aber das leichte Nicken in Gnaeus Richtung bemerkt und war dadurch auf den versuchten Tritt in seine Körpermitte vorbereitet gewesen und hatte ihn abwehren können. Er hatte diesen Angriff nicht unerwidert gelassen, allerdings zerrte er den Jungen erst gewaltsam in eine verlassene Nebengasse. Zu diesem Zeitpunkt hatte Lucius das erste Mal sein germanisches Ich gesehen. Er hatte den Jungen grün und blau geschlagen, Gnaeus gleich mit, als er Titus zur Hilfe eilen wollte. Danach hatte er sich zu den am Boden Liegenden hingehockt und kaum hörbar geflüstert: „Wenn ihr meinem Herrn auch nur einmal wieder zu nahe tretet, dann Gnaden euch die Götter, dass eure Mütter und Schwestern wieder heil im Hause ankommen." Dann war er mit Lucius gegangen und hatte die Jungen einfach liegen lassen. Er hatte gewusst, dass er sie nicht so kräftig geschlagen hatte, dass sie nicht wieder aufstehen konnten. Auf dem Weg zur Villa hatte Stirrius sich mehrfach dafür entschuldigt, dass Lucius das hatte sehen müssen. Doch der hatte nur gelacht. Es war irgendwie befreiend zu wissen, dass seine ewigen Peiniger auch endlich mal etwas zurückbekommen hatten. Und er konnte Stirrius irgendwie nicht böse sein.

Seitdem mieden Gnaeus und Titus die Anwesenheit von Lucius und hatten auch nichts mehr zu ihm gesagt. „Du, Stirrius? Verstehst du etwas vom Kämpfen? Nächsten Sommer kommen nämlich die Gesandten vom Militär und schauen, wer von uns tauglich ist. Ich darf der Schule, meiner Familie und mir keine Schande machen, indem ich gleich zu Anfang als vollkommenungeeignet eingestuft werde", fragte Lucius, als sie gerade ihren Weg auf den Berg hinauf machten. Beide stauchelten mehrmals, weil der Weg wegen dem immer noch strömenden Regen matschig war. Lucius hatte Stirrius auch schon angeboten, mit unter den Mantel zu kommen, aber der hatte abgelehnt. Dann würde es nur noch länger und schwieriger werden, bis sie endlich daheim waren. Außerdem würde er das Wetter aushalten, er war es ja nicht anders gewohnt. Nach Lucius' Fragestellung runzelte Stirrius leicht die Stirn. Dann antwortete er: „Ich denke, ich kann euch helfen, fitter zu werden. Die Grundlagen im Schwertkampf und einige Tricks kenne ich auch noch. Aber bedenkt bitte, dass ich eine Ausbildung als Heiler gemacht habe, bevor ich nach Rom kam. Allzu viel verstehe ich auch nicht davon." Lucius lächelte. „Das ist doch in Ordnung. Außerdem bist du gerade der einzige, auf den ich mich diesbezüglich stützen kann, da freue ich mich über jede mögliche Hilfe von dir", meinte er zuversichtlich. Stirrius zuckte mit den Schultern. „Nun gut, wenn das dein Wunsch ist (Das formale hatte Lucius ihm endlich abgewöhnen können.), dann werde ich sehen, was sich machen lässt." Lucius strahlte befreit und fiel seinem Sklaven um den Hals. Dass sie beide pitschnass waren, störte ihn nicht. „Oh, danke. Du bist mein Lebensretter. Ich wüsste echt nicht was ich ohne dich machen würde." Stirrius lachte sein sanftes, melodisches Lachen. „Du solltest es wirklich nicht so übertreiben. Aber danke. Ich gebe mein Bestes."

*Boreas ist der Gott des Nordwindes

Venimus, vidimus, amavimusWhere stories live. Discover now