Neue Freunde auf hoher See

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Die Jungen saßen zusammen an Deck, als der Ruf ertönte: „Genua in Sicht!" Es war spät in der Nacht, doch sie hatten den Befehl bekommen, wach zu bleiben, um beim Anlegemanöver zu helfen. Danach konnten sie schlafen.

Die vier erhoben sich langsam und gingen zu ihren jeweilig zugeteilten Aufgaben. Lucius kletterte mit einigen anderen bei den Segeln hoch und holte sie ein. Man hatte ihm zuvor lange und ausführlich erklärt, wie das ging, sodass er jetzt produktiv mithelfen konnte. Jeder hatte hier nämlich seine Aufgabe und jeder wusste, was er tat, sodass derartige Aktionen schnell erledigt wurden. Und für die Zukunft war er schließlich auch nicht schlecht zu wissen, wie die ganzen Taue zu verwenden waren.

Den Rest des Weges bis in den Hafen wurde gerudert, um das Schiff präziser ausrichten zu können. Unter Deck war nun eine Menge der Soldaten versammelt, die sich ordentlich ins Zeug legten. Insgeheim hoffte Lucius, dass er diese Aufgabe niemals machen müssen würde. Wahrscheinlich waren danach seine Arme im Eimer. Als die Galeere dann in richtiger Position im Hafen lag, banden die Matrosen es sorgfältig mit Tauen fest. Lucius traf die anderen wieder an Deck und endlich kam Marcus Sestius auf sie zu und sagte, dass sie schlafen gehen durften. Sie wünschten anständig eine gute Nacht und begaben sich dann unter Deck. Julius, Calvus und Fabianus begleiteten Lucius noch, als dieser nach Coenomi sah. Fabianus und Calvus wollten unbedingt Lucius' ganz eigenes Pferd sehen und Julius wollte natürlich nicht alleine bleiben.

Unter Deck entdeckte Lucius Coenomi schnell, der Hengst lag auf seinem Strohlager und ließ entspannt seine Ohren hängen. Offensichtlich war der Wellengang auf See und die beschäftigten Soldaten an Deck kein Problem, das Stress bereitete. Lucius wuschelte ihm mit einem „Hey, Kleiner", durch den Schopf. Julius kommentierte: „Kannst du laut sagen. Wächst er noch?" Lucius lachte. „Natürlich nicht, sonst hätte man ihn mir auf keinen Fall überlassen. Aber es reicht für mich, er ist ja genauso schnell und ausdauernd wie die anderen Pferde. Sogar noch ein bisschen wendiger." Das sah Julius ein, dann schloss auch er sich an, dem Fliegenschimmel Streicheleinheiten zu geben. Dieser genoss es offensichtlich, von vier Jungen auf einmal gekrault zu werden und schlief fast ein. Doch Lucius musste ihn wohl oder übel aufhalten, denn ein Pferdekopf auf dem Schoß war auf Dauer nicht sehr angenehm für die Beine.

Die Rekruten gingen wieder zurück in ihren eigenen Schlafraum und machten es sich auf den Strohlagern bequem. Julius und Lucius hatten jedes Mal mehr Schwierigkeiten darauf zu schlafen als Calvus und Fabianus. Die beiden hatten ihren Lebtag nichts anderes gehabt und das war ein großer Unterschied zu den weichen Betten der Adeligen. Bei Lucius kam auch noch hinzu, dass er mittlerweile so sehr daran gewöhnt war, jemanden bei sich zu haben. Normalerweise hatte er ja Stirrius als menschliche Heizung, lebendes Kissen und moralische Stütze.

Er vermisste ihn sehr. Außerdem machte er sich ständig Gedanken darüber, was nun mit ihm passieren würde oder schon war. Wenn er Glück hatte, dann hatte Stirrius jetzt eine anständig bezahlte Arbeit in der Stadt. Wenn nicht, und das traute er seinem Vater durchaus zu, war Stirrius jetzt schon an den Nächstbesten verkauft worden. Womöglich noch an einen Gladiatorenhändler oder ähnliches. Lucius wollte sich das alles eigentlich nicht vorstellen, aber die Möglichkeiten waren schließlich da. Mit diesen und noch viel mehr herumspukenden Gedanken im Kopf schlief Lucius endlich ein.

Am nächsten Vormittag wurden die jungen Männer unsanft geweckt. Die neuen Rekruten waren angekommen und sollten begrüßt werden. Die vier trotteten gähnend auf das Deck, wo Marcus Sestius die Neuen in Empfang nahm. Lucius riss die eben noch müden Augen auf. Da war Quintus! Sein Freund Quintus! Ein Strahlen breitete sich auf Lucius Gesicht aus. Quintus entdeckte ihn zuerst nicht, doch als dieser sich umdrehte, um sein Gepäck nach unten zu bringen, lächelte er Lucius ebenfalls erstaunt an. „Was machst du denn hier?", fragte Lucius aufgeregt. „Zum Militär gehen", antwortete dieser trocken. „Vater meinte, dass ich lieber die Grundausbildung machen soll und dann erst weiter in der Schmiede helfe. Falls mal etwas sein sollte, könnte ich dann immer noch einen Beruf hier annehmen." Lucius nickte verstehend und zog ihn dann mit unter Deck. „Komm, ich zeig' euch wo wir schlafen." Er winkte auch die anderen Rekruten zu sich, die sich zögerlich näherten. Allein an der Tunika konnte man schon ihren Status erkennen. Sie hatten eher bräunliche und verdreckte Tuniken, während nur Julius und Lucius reine, weiße hatten. Auch die Sandalen zeugten von den Standesunterschieden. Wahrscheinlich hatten sie deshalb, wie auch Calvus und Fabianus, Angst, dass Lucius oder Julius gleich anfangen könnten, sie herum zu kommandieren. Lucius ließ sich aber nicht beirren, sondern führte sie unter Deck. Dabei plauderte er mit Quintus, in der Hoffnung, dadurch die Stimmung ein wenig zu lösen.

„Also, hier schlafen wir vier", deutete Lucius auf die Strohlager und dann auf Julius, Calvus, Fabianus und sich selbst. „Ihr könntet natürlich woanders schlafen, oder wir sehen zu, dass wir euch auch ein Lager hier machen." Quintus sah die anderen an. „Also ich wäre ja für ‚hier schlafen'", gab er seine Meinung kund. Die anderen nickten zögerlich. Julius hatte offenbar Lucius' Plan durchschaut, einfach so offen wie möglich zu den Neuen zu sein und sagte also: „Hier hinten ist noch frisches Stroh. Und eure Sachen könnt ihr zu unseren legen, wir sammeln sie dort drüben auf einem Haufen." Dann ging er zu dem frischen Stroh in einer Ecke des Raumes und nahm sich schon einmal einen Arm voll, um es neben seinem eigenen Lager zu verteilen. Die Neuen sahen sich verwundert an, sie hatten wohl selten erlebt, dass ein Adeliger selbst anpackte. Lucius tat es Julius nach und half auch mit, die Strohlager vorzubereiten. Schließlich halfen sie sich alle gegenseitig und schnell hatten sie vier Neue in ihrer Ecke.

„Na, das klappt mit dem Zusammenarbeiten ja schon sehr gut", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Marcus Sestius war zu ihnen gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Er lobte sie alle und gab dann Bescheid, dass es Mittagessen gäbe. Die acht Rekruten folgten ihm an Deck und entdeckten einen großen Kessel, in dem ein gut riechender Eintopf blubberte. Darin waren vermutlich Karotten, restliches Fleisch, das gestern nicht gegessen wurde, erstaunlich, dass noch überhaupt etwas da war, Linsen, Erbsen und Bohnen. Mehr konnte Lucius auf die Schnelle nicht identifizieren.

Sie setzten sich mit den anderen Matrosen auf die Bänke und bekamen ihre Portion gereicht. Beim Essen konnten sie prima das Treiben am Hafen beobachten. Es sah hier ähnlich aus, wie in Ostia, ebenfalls Händler mit Waren auf Karren oder dem Rücken. Es war allerdings weniger voll. Lucius fand, dass Genua eine wirklich schöne Stadt war und erkundigte sich, ob jemand hier in der Nähe lebte. Ein Junge meldete sich, von dem Lucius später erfuhr, dass er Appius hieß. Die anderen waren Valerius und Florus. Sie unterhielten sich noch über die Höfe, von denen sie kamen und wo diese lagen. Die längste Anreise hatte Florus gehabt, er war am Abend vorherigen Tages aufgebrochen.

Am Nachmittag legten sie ab, also gab es für die Rekruten wieder viel zu tun. Wie jetzt immer übernahm Lucius die Segel und kletterte an den Masten und Netzen herum, um sie für die Fahrt fertig zu machen. Schließlich legten sie ab und fuhren in Richtung ihres neuen Zieles, Massilia. Von dort aus ging es über den Landweg weiter. Sie würden über die letzten Ausläufer der Alpen quer durch die Gallische Provinz bis an die Grenze zum germanischen Gebiet reisen. Und dann fing die Ausbildung erst richtig an.

Die Ankunft in Massilia war in zwei Tagen geplant. Solange saßen die jungen Männer regelmäßig mit Marcus Sestius zusammen und er vermittelte ihnen schon die wichtigsten Begriffe und Regelungen, die im Lager gelten würden. Dazu gehörte zum Beispiel, wer wessen Vorgesetzter war, beziehungsweise die einzelnen Ränge, welche Bestrafungen es gab, welche Trainingseinheiten üblich waren. Einige Grundlagen sollten sie ja schließlich wissen. Lucius versuchte, möglichst alles zu behalten.

Die Fahrt selbst war eigentlich ganz lustig. Die Jungen verstanden sich gut und sie alle wollten Spaß haben, solange sie noch nicht im Training waren. Einige ältere Matrosen spielten mit ihnen Würfel und erzählten währenddessen von ihren großen Seefahrten, wie sie es regelmäßig bei den Abendessen taten.

Lucius ging regelmäßig nach Coenomi sehen, damit er sich nicht alleine fühlte. Denn viele andere Pferde gab es nicht und sie waren auch alle angebunden. Lucius musste ihn auch selbst füttern, aber das machte ihm nichts aus. Er verbrachte gerne Zeit mit Tieren aber auch mit anderen Menschen. Er genoss es ebenso, bis tief in die Nacht mit den anderen Jungen zu reden. Über ihren Alltag, ihre Heimat, ihre Familie. Doch Stirrius erwähnte Lucius nur kurz, nicht dass die anderen Jungen da noch etwas hinein interpretierten. Und er war innerlich sehr dankbar, dass Quintus ihn auch nicht weiter thematisierte. Denn er hatte immer noch zu viel Angst davor, dass seine Liebe zu einem älteren, germanischen, männlichen Sklaven entdeckt wurde. Denn wenn doch, stand es seinem Vater frei, ihn auf jede erdenkliche Art loszuwerden. Es war ja schon ein Wunder, dass er es zuvor nicht getan hatte. Lucius konnte auf Risiko verzichten.

Venimus, vidimus, amavimusWhere stories live. Discover now