Kapitel 1

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Ich wälzte mich im Bett hin und her, unfähig eine halbwegs bequeme Lage zu finden, als meine Schwester eintrat. Schnell zog ich mir die Decke über den Kopf, wie ich es so oft tat wenn jemand das Zimmer betrat. Obwohl es im Moment nicht sonderlich viel brachte, immerhin war es bereits Abend und das Licht hatte ich sowieso nicht an, weswegen Lilien keine Chance hatte mich zu sehen.
Es war ja nicht so das ich jeglichen Kontakt unterband, ich wanderte oft durch das Haus oder auch von Zeit zu Zeit durch die Stadt, aber jedes Gespräch das irgendwie Vermeidbar ist, vermeide ich nun mal. Ich rede einfach nicht mehr gerne mit irgendwem, es ist zu...

...angsteinflößend.

Das ich Gespräche als unangenehm empfinde, weiß mittlerweile vermutlich jeder in Woodstone, dies ist immerhin Tratsch der höchsten Qualität.

Die Matratze verbog sich leicht, meine Schwester hatte sich also neben mich gesetzt. Ich rolle mich noch enger zusammen und versuche gänzlich in den Falten der Decke zu verschwinden, als jedoch Liliens Hand meinen Rücken findet und beginnt mich sanft zu streicheln, weiß ich das mir das definitiv nicht gelungen war. Verdammt.

„Ich habe dich heute noch gar nicht gesehen."

Was, wirklich nicht? War es nicht schon wieder Dunkel? Oh Mist, heute war ich so in meinen Gedanken gefangen, dass ich ganz vergessen hatte aus meinem Zimmer zu gehen um meinen Geschwistern zu beweisen das ich noch lebte. Ich musste mich ihnen mindestens einmal, lieber öfters am Tag zeigen, denn wann immer ich dies nicht tat, kam jemand vorbei um nach mir zu schauen. Das bedeutet in der Regel ein Gespräch und ein Gespräch bedeutet Umgang mit Menschen und Umgang mit Menschen ist gerade überhaupt nicht in meinem Fähigkeitenarsenal. Ich habe keine Angst davor, ich habe die reinste Panik davor und Panik ist etwas, wie ich lernen musste, dass man unter keinen Umständen unterschätzen sollte.

"Hast du überhaupt schon was gegessen?"

Hmm, vermutlich nicht, wann hatte ich eigentlich das letzte Mal was zu mir genommen? Vielleicht Gestern? Nein eher Vorgestern... Das sollte ich ihr wohl lieber nicht erzählen, sonst macht sie mir was und besteht darauf, dass ich das dann vor ihren Augen esse.

"Soll ich dir was machen?"

Nein! bloß nicht, ich gehe mir auch versprochen selbst was machen! Also, wenn ihr alle schlaft.

"Wir hatten heute Hamburger, ich beleg dir einen und bring ihn dir hoch."

Die Matratze hob sich wieder leicht und ich konnte die Tür schließen hören. Verdammt. Jetzt hatte ich wirklich keine andere Wahl mehr als mich von ihr Zwangsernähren zu lassen. Vielleicht hab ich ja ausnahmsweise mal Glück und sie vergisst mich? Oder sie denkt ich liege nicht mehr im Bett, wenn ich mich ganz klein mache!

Natürlich funktionierte das nicht. Das musste ich wohl oder übel hinnehmen, nachdem Lilien wieder in meinem Zimmer angekommen war, vermutlich leider auch mit einem Teller in der Hand...

"Okay, das ist jetzt ein extra große Schwester Spezial Sandwich mit gaaaaaaanz leckerem Spargel und Rosenkohl..." oh nein, sie macht die Stimme! Ich kann mein schmunzeln tatsächlich nicht unterdrücken, als ich ihre furchtbare Mädchenstimme höre, die Lilien gerne auflegt um irgendetwas ins absolut lächerliche zu ziehen. Sie fängt doch wirklich an, alles Essbare aufzuzählen, das ich nicht ausstehen kann.

"... und Senf, ein paar Grünkohlscheiben habens auch geschafft. Ach und nicht zu vergessen die CD die ich in die Soße geschreddert habe." Bitte was? Okay jetzt hat sie sogar ein leichtes kichern aus mir herausgekitzelt. Lilien überhörte das natürlich nicht.
"Ha! Ich wusste das du wach bist!" Jup, sie hatte das nicht überhört. Nur das sie jetzt wieder ruhig wird. Warum?

„Teddy fragt schon den ganzen Tag wo du bist. Weißt du, er hat dich sehr lieb." Ja, das wusste ich und es zerreißt mich Sekunde für Sekunde. Immerhin ist es meine Schuld, er liebt mich, aber ich bin nicht für ihn da, ich habs versucht, aber ich konnte es nicht. Das kurze ansatzweise glückliche Gefühl von gerade eben war mit einem Schlag weggefegt. Ich bin einfach zu schwach, war es schon immer, seit zwei Jahren. Ein zittern erschüttert meinen Körper, nein! Verdammt nein! Nicht jetzt! Ich darf nicht weinen solange mich jemand sieht! Nicht solange Lilien noch hier ist! Ich will keine Schwäche zeigen, nicht vor anderen. Ich will so stark erscheinen wie sie, aber ich kann das nicht, noch einer meiner furchtbaren Schwächen die mich Tag für Tag quälen. Gott wie ich das alles hasste, ich hasse was mir passiert ist, hasse das das passierte nicht aus meinem Kopf verschwindet, ich hasse das ganz Woodstone sich darüber tottratscht, ich hasse meine Schwäche damit nicht einfach klarzukommen, ich hasse mich.

Schmerzhaft bohrten sich meine Fingernägel in meine Arme, immer tiefer und tiefer in dem Versuch nicht vor Lilien zu weinen. Immerhin hatte ich mir geschworen meiner Familie nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten, ich hatte ja bei meiner Rückkehr schon gesehen wie sehr es ihnen weh tat zu hören was passiert war. Teddy hatte das alles zwar nicht verstanden, aber er hatte den Schmerz in jedem von uns älteren spüren können.

Seufzend stand Lilien auf und ich hörte wie sie sich auf den Weg zur Tür macht, „Ich liebe dich, das weißt du oder?" Ja, das wusste ich, es tat unglaublich gut diese Worte immer wieder zu hören aber es tat auch sehr weh. Immerhin liebte ich sie ja auch und wollte daher nicht das sie, noch ein anderer wegen mir leidet, aber das würden sie solange ich noch in ihren Herzen war.
Die Tür schloss sich und ich hörte Lilien die Treppe hinuntergehen, da atmete ich endlich zitternd aus. Mir war gar nicht aufgefallen das ich die Luft angehalten hatte, ich weiß auch nicht mehr seit wann, aber das ist mir auch egal.

Ein paar Tränen kullerten mir über die Wangen, aber nur ein paar, den Rest konnte ich unterdrücken, ich durfte jetzt nicht weinen. Wenn ich jetzt anfing würde ich in den nächsten Stunden nicht mehr aufhören können und Lilien hatte recht, Teddy vermisst mich und wenn ich ihm nicht zeige das alles in Ordnung ist, dann wird es ihm meinetwegen nicht gut gehen. Ich will nicht das es ihm wegen mir schlecht geht, er soll nicht durch meine Probleme belastet werden, keiner sollte das sondern nur ich, immerhin waren es ja auch meine Probleme.

Also rappelte ich mich mühsam auf und meine Bettdecke rutschte von mir runter, es war ganz schön kalt, aber gut ich hatte ja auch nur ein Top und eine Unterhose an. Okay, um Teddy glücklich zu machen, muss ich mich zuerst hinstellen. Also Beine aus dem Bett... ein Schauer durchzog meinen Körper, Gott wie ich das hasste. Okay, jetzt stell dich nicht so an! Teddy, denk an Teddy, er braucht dich!

Mit diesen Gedanken quälte ich mich nun also entschlossen aus dem Bett und ignorierte dabei all die Schmerzen die mich mit dem aufstehen ebenfalls überfluteten. Oder eigentlich versuchte ich das mit dem ignorieren nur, was natürlich grottig schief ging und weitere Tränen fanden ihren Weg über meine Wangen.

Irgendwann hatte ich es dann doch bis vor meinen Kleiderschrank geschafft, aus dem ich mir noch eine Jogginghose und einen Sweater holen wollte, jedoch blieb ich davor stehen und öffnete die Türen noch nicht. Am Schrank war ein großer Spiegel angebracht und natürlich konnte ich mich darin jetzt komplett sehen.
Mist.
Ich hatte dieses blöde Drecksding schon völlig verdrängt, denn im Ernst ich wollte mich selber garantiert nicht sehen. Und doch konnte ich meinen Blick nun nicht mehr abwenden, immerhin stand da eine Fremde vor mir.

Ihr völlig ausgemergelter Körper, wie ich in T-Shirt und Shorts, Kleidungsstücke ausgewählt um einen Teil ihres Körpers zu verbergen und nun hier, um auch noch alle anderen Überbleibsel ihrer Qualen zu vertuschen.

Ich schluckte schwer als ich all die Narben auf meiner mittlerweile blassen Haut schimmern sah, sehen wollte ich sie wirklich nicht. Trotzdem konnte ich mich noch halbwegs zusammenreißen und musste nicht weinen, bis ich mich auch mit einem gewaltigen Kraftaufwand schließlich auch aus meiner Schock starre lösen konnte. Schnell reiße ich die Schranktür auf, einfach nur um mein Spiegelbild nicht länger sehen zu müssen.

Richtig, Sweater und Jogginghose wollte ich da ja eigentlich rausholen, ich greife mir beides jeweils in schwarz und streife mir die Sachen über.

So, jetzt nur noch aus der Tür raus, die Treppe runter und Teddy finden. 

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⏰ Last updated: Aug 27, 2019 ⏰

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