01 - Sammeln

681 80 69
                                    

Hallo liebe Leser und Leserinnen, 


herzlich Willkommen bei meiner ersten Geschichte im BTS-Fandom. Die Idee spukt schon so lange in meinem Kopf herum, dass ich sie nicht noch länger ignorieren konnte. Sie hat sich als erstaunlich hartnäckig erwiesen. :)
"Unter Wasser hören wir einander mit dem Herzen" wird drei bis vier Kapitel umfassen.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Ersten davon und hoffe, dass ich nicht zu viele Fehler eingebaut habe.
Hinterlasst mir doch bitte ein kurzes Review, ich würde mich wahnsinnig darüber freuen.

Liebe Grüße
V

______________________________________________
[Kapitel 1 - Sammeln]

In Yoongis Kopf ist es immer laut. Das ist schon so, solange er denken kann. In Gesprächen verliert er deswegen oft den Faden, weil andere Gedanken sich vordrängeln und ausgesprochen werden müssen, auch wenn gerade nicht nach ihnen gefragt wurde. Yoongi hat schnell gemerkt, dass andere Menschen nicht so gut mit seinen Gedankenloopings klarkommen. In ihren Köpfen ist es scheinbar leiser. Jedenfalls erklärt sich Yoongi so die seltsamen Blicke, die ihm schon oft zugeworfen wurden, wenn sich mal wieder ein zufälliger Gedankengang unangebracht laut bemerkbar gemacht hat. Die Blicke der anderen sind ihm unangenehm. Er weiß, dass die Leute ihn seltsam finden, obwohl er eigentlich ein ganz normaler Typ ist. Deswegen hat Yoongi aufgehört viel mit anderen Menschen zu reden. Wenn er die Gespräche kurz hält, kommen ihm nicht so viele andere Gedanken dazwischen. Es ist besser, wenn die anderen ihn für einen schweigsamen Typen halten, als für einen seltsamen. Die Blicke sind dann leichter zu ertragen.

Samstagabend, 21:06 Uhr

Das Sea-Life hat vor wenigen Minuten geschlossen und Yoongi ist froh darüber, dass er gleich endlich Feierabend machen kann. Die meisten seiner Kollegen sind schon gegangen, doch er hat sich heute extra viel Zeit damit gelassen, die großen Glasfronten im Haibecken zu säubern. Denn Yoongi ist gerne unter Wasser. Wenn er taucht, dann ist es leiser in seinem Kopf. Das Wasser dämmt die Lautstärke seiner Gedanken, die in letzter Zeit ein bisschen dunkler geworden sind als sonst.
Der stille Junge tauscht gerade seinen Taucheranzug gegen seine Freizeitklamotten. Seine Haare sind noch nass, aber das ist schon in Ordnung. Es ist Hochsommer in Busan und so sind die Tage kochend heiß und die Nächte immerhin lauwarm. Die warme Sommerluft wird dafür sorgen, dass Yoongis Haare auch so sanft trocknen können.

Er läuft eine letzte Runde durch das Aquarium und kontrolliert, ob alle Türen verschlossen sind. Dabei fällt ihm auf, dass er heute Abend wohl der letzte Angestellte ist, denn auf einem Kontrollgang begegnet er keinem weiteren Kollegen. Die Tiere sind alle gut versorgt und das Licht bereits ausgestellt. Die Gänge sind in den schimmernden Blauton der Wasserbeleuchtungen getaucht und sehen so ganz leer irgendwie unwirklich aus. Yoongi ist es lieber, wenn er ganz allein im Aquarium ist, weil er sich dann am wohlsten fühlt. Trotzdem findet er es irgendwie doof, dass sich heute Abend keiner seiner Kollegen von ihm verabschiedet hat. Das ist wirklich nicht besonders freundlich. Vor allen Dingen, weil er eigentlich ganz gut mit ihnen zurechtkommt. Zwar redet Yoongi nicht so viel mit ihnen, aber er ist immer höflich, zuvorkommend und hilfsbereit. Er hätte sich auf jeden Fall von ihnen verabschiedet. Yoongi beschließt nicht weiter darüber nachzudenken. In seinem Kopf sind viele andere Gedanken, mit denen er sich beschäftigen kann.

Zum Beispiel fragt er sich gerade akut, warum da noch jemand auf der Bank vor dem Wasserbecken mit den Leuchtquallen sitzt. Die Umrisse der fremden Person werden von den Schatten fast verschluckt, doch Yoongi weiß bereits aus einiger Entfernung, dass es keiner von seinen Kollegen ist. Die Wasserlichter tanzen auf dem Gesicht des Besuchers herum und lassen es fast schon fantastisch schön erscheinen. Da sind volle, blaue Lippen und schwarze Augen.
Yoongi weiß, dass der Effekt nur durch die Beleuchtung entsteht, dass die Lippen nicht wirklich blau sind, und trotzdem kann er seinen Blick nicht von dem Anblick lösen. Kann sich nicht dazu durchringen, die Erscheinung vor sich durch die Realität entzaubern zu lassen. Yoongi hat den Besucher schon oft im Sea Life gesehen, er ist ein häufiger Gast, der sich vor den großen Aquarien fast immer in irgendwie Bücher oder unsaubere Notizzettel vertieft. Der Angestellte hat den Jungen schon ein paar Mal ein bisschen beobachtet, unauffällig, wenn er sich eigentlich hätte auf die Tiere konzentrieren sollen. Yoongi weiß, dass der Besucher nicht nur durch die diffusen Lichter und Schatten so weichgezeichnet wird. Er ist bei jeglicher Beleuchtung schön. Yoongi hat sich nie getraut ihn anzusprechen. Jetzt bleibt ihm keine andere Wahl.

„Hey, wir haben bereits geschlossen", spricht er den schönen Jungen vorsichtig an. Dabei versucht er sich ganz fest an dem Gedankengang zu halten, damit er ihm nicht entgleitet.
„Oh", sein Gegenüber blickt von dem Notizblock auf, „haben wir schon so spät?"
„Offensichtlich. 21:23 Uhr", antwortet Yoongi.
„Oh", wiederholt sich der fremde Junge, „ich hab gar nicht bemerkt wie die Zeit vergeht."
Yoongi denkt nicht, dass er auf diese Aussage hin antworten muss. Er hat seine Gesprächsabsicht ja bereits deutlich genug gemacht. Also schaut er ihn lediglich weiter auffordernd an.
„Ich war vollkommen in meine Notizen vertieft. Ich lerne momentan für eine Prüfung in der Uni. Ich studiere Meeresbiologie, weißt du. Die Atmosphäre im Aquarium hilft mir dabei zu lernen", fühlt sich der ungebetene Gast dazu verpflichtet weiterzusprechen. „Ich heiße übrigens Jimin. Hi, schön dich kennenzulernen. Du arbeitest hier, oder? Ich glaub, ich hab dich schon öfter im Aquarium rumlaufen sehen. Was genau machst du hier so?"

„Hier ist es immer laut", antwortet Yoongi. Nur ein halber Gedankenlooping, zum Glück. Die Aussage passt immerhin ein bisschen zum Gesprächsinhalt.
„Laut? Es geht. Das viele Wasser dämpft die Geräusche doch ein bisschen. Klar, wenn man am Wochenende nachmittags hier ist, ist es schon manchmal recht laut. Die vielen Kinder, die von Becken zu Becken laufen und die Eltern, die hoffnungslos versuchen sie nicht aus den Augen zu verlieren. Aber ich kanns den Kindern nicht verübeln, war früher genau so. Komme schon her, seit ich ganz klein bin. Hab die meisten Veränderungen hier mitbekommen und finde trotzdem, dass es immer noch unheimlich viel zu sehen und neu zu entdecken gibt... Aber abends ist es nicht so laut. Ich komme meistens ne Stunde bevor ihr zumacht, dann ist schon Feierabendstimmung und die meisten Besucher verschwunden. Dann ist es fast leise. Ne gute Lernatmosphäre. Besser als ne Bibliothek. Da ist es so langweilig, dass ich immer einschlafen will", erklärt sich Jimin mit ausufernden Worten. Yoongi ist beeindruckt davon, wie viel der Junge vor ihm sagen kann, ohne auch nur einmal den Faden zu verlieren. Deswegen hängt er wie gebannt an den vollen Kirschblütenlippen und lauscht jedem einzelnen Wort als wäre es für sich eine ganze Geschichte. Er bemerkt erst ein bisschen zu spät, dass er nun auffordernd angesehen wird und scheinbar eine Reaktion von ihm erwartet wird. Er versucht sich auf seine eigenen Gedanken zu konzentrieren.

„Ich mag Blau", sagt Yoongi schließlich. Äußerlich bleibt er ganz ruhig, fast ein bisschen desinteressiert. Innerlich schlägt er sich gegen den Kopf. Jimin hat ihm so viel angeboten, auf das er hätte antworten können. Warum tut er es also nicht einfach?

„Ach, deswegen arbeitest du hier bestimmt", interpretiert Jimin seine Aussage als Antwort auf eine Frage, die nie gestellt wurde und redet weiter, als hätte ihn Yoongi ebenfalls ungestellte Fragen gefragt: „Ich möchte später als Meeresbiologe arbeiten. Irgendwie logisch bei meinem Studiengang. Meeresbiologie – Meeresbiologe, erklärt sich ja ein bisschen von selbst. Könnte mir auch vorstellen, mich hier zu bewerben. Hab schon öfter mit dem Gedanken gespielt, bin ja ohnehin schon so viel Zeit hier. Könnte mir aber auch vorstellen in die Forschung zu gehen. Viel Zeit auf dem offenen Meer zu verbringen und ganz oft zu verreisen. Ein bisschen Berufserfahrung in der Heimat sammeln, wäre sicher trotzdem nicht verkehrt, also mal sehen. Bin ja eh noch nicht so weit, also muss ich mir auch noch nicht so viele Gedanken darum machen. Wird schon alles hinhauen."

Und dann ist da wieder dieser erwartungsvolle Blick, der Yoongi symbolisiert, dass er jetzt etwas sagen sollte. Diesmal verweigert sich Yoongi seinen ersten Impulsen, presst die Lippen fest aufeinander und schluckt die Gedanken unausgesprochen wieder runter. Diesmal will er wirklich antworten, will nicht so wirken, als würde ihn das Gesprochene des Fremden gar nicht interessieren. Denn so viel hat schon lange niemand mehr mit Yoongi geredet und irgendwie ist das gar kein schlechtes Gefühl. Schließlich redet Yoongi eigentlich gerne mit anderen Menschen, sie verstehen ihn nur leider meistens nicht besonders gut. Sein Kopf ist immer noch aufbrausend laut, aber er konzentriert sich fest genug auf den richtigen Gedanken, bis die anderen nur noch aus einiger Entfernung mit ihm flüstern.

„Wenn du dich bewerben willst, musst du wohl bis morgen warten. Wir haben immer noch geschlossen." Ein kleines Lächeln schleicht sich auf Yoongis Gesicht. Er hat es geschafft. Wenn er wirklich will, dann klappt es scheinbar doch.

Auch Jimin lächelt. Ihm entgegen und wirkt dabei gar nicht so, als wäre es ihm unangenehm, dass er den anderen Jungen schon so lange von seinem wohlverdienten Feierabend abhält.
„Stimmt. Das hast du mir ja eben schon gesagt. Tut mir leid, dass ich dich so vollgetextet hab. Meine Freunde sagen mir immer, dass ich zu viel rede. Ich versuche schon es einzuschränken, okay, das muss jetzt so gar nicht auf dich wirken, aber glaub mir, ich kann noch viel mehr reden. Ich halte mich zurück, weil ich dich ja gar nicht richtig kenne. Ich mein, ich hab schon das Gefühl, dass ich dich kenne. Schließlich hab ich dich so oft hier gesehen, aber sehen ist eben kein Kennen, ne? Heute ist das erste Mal, dass wir ein Wort miteinander wechseln. Generell bist du nicht so der redselige Typ, oder? Sehe dich jedenfalls nie lange mit deinen Kollegen reden. Meistens bist du eh unter Wasser in den großen Aquarien, dann kann man ja auch generell nicht so gut reden. Also nicht, dass du jetzt denkst, dass ich dich beobachte. Man bekommt nur viel mit, wenn man jeden Abend hier rumsitzt und die Fische beobachtet. Oder die Quallen beobachtet, so wie heute. Daher nur um das klarzustellen, ich beobachte die Tiere, die hier leben, nicht dich."

Yoongi möchte darauf antworten, doch bis er den richtigen Gedanken zu fassen bekommen hat, springt Jimin schon auf seine Füße und verstaut sein Notizbuch schnell in einem alten Rucksack. Er ist ganz schwarz und unauffällig, schon ein bisschen verschlissen vom vielen Benutzen. An der Seite sind mehrere, kleine Wellensticker aufgebügelt wurden. Von der obersten Welle löst sich bereits die Spitze und hängt jetzt windschief über seinen Kameraden. Die losgelöste Kante irritiert Yoongi. Er verliert den Faden.
„Deine Welle löst sich", sagt er mit deutlicher Stimme, sein Gesicht so undeutbar wie zuvor.
„Wirklich?", Jimin schenkt dem Aufnäher kaum Beachtung, greift stattdessen nach einer Gitarre, die ebenfalls an der Bank gelehnt haben muss, auf der Jimin zuvor noch saß. Sie ist Yoongi bisher gar nicht aufgefallen. „Hab das Ding schon ewig", erklärt sich der redselige Besucher, „bestimmt schon seit 10 Jahren. Ist halt schwarz und damit zeitlos. Die Wellen hat mir meine Mutter aufgebügelt, weil ich schon damals total für das Meer und dessen Bewohner geschwärmt habe. Wenn sie abfallen, ist das vielleicht das richtige Zeichen für mich, dass ich mir endlich mal nen Neuen zulegen sollte. Aber solange er seine Dienste tut, werd ich ihn behalten. Glaube nicht, dass meine Mutter mir jetzt immer noch Wellenaufkleber draufbügeln würde und ich hab mich echt dran gewöhnt. Vielleicht muss ich sie dann doch danach fragen."

Yoongi nickt, um damit sein Verständnis zum Ausdruck zu bringen. Nonverbal zu kommunizieren, fällt ihm ein bisschen leichter als verbal. Außerdem schaut er die Gitarre fragend an und Jimin scheint von allein zu verstehen.

„Will dich jetzt auch nicht länger aufhalten. Bin ohnehin selbst auch schon viel zu spät dran. Spiele zwischen 21 und 22 Uhr immer vor dem Starbucks um die Ecke und versuche mich als halbprofessioneller Straßenmusiker, dafür hab ich auch die Gitarre dabei. Meine Fans werden sich bestimmt schon fragen, wo ich bleibe. Und mit Fans meine ich die Starbucks-Mitarbeiter, die heute Abend die Spätschicht haben, die kennen mich nämlich mittlerweile alle. Meistens bekomm ich nen Kaffee gratis, das ist ne ziemlich gute Sache. Sie sagen, dass meine Stimme die Leute anzieht und wenn sie einmal vor dem Laden stehenbleiben, auch öfter reingehen. Daher kurbel ich wohl das Geschäft an. Für mich ist es nur ein guter Nebenverdienst. Muss mir ja meine Monatskarte hier leisten können", zwinkert Jimin ihm frech zu.
„Also war schön dich kennenzulernen...?"

„Yoongi", antwortet der Tierpfleger automatisch, „Min Yoongi." Immerhin das Vorstellen funktioniert problemlos.

„Es war schön dich kennenzulernen Min Yoongi. Wir sehen uns dann morgen Abend, falls du arbeiten musst. Bis dann", schenkt ihm Jimin ein letztes Lächeln, bevor er sich auf dem Absatz rumdreht, um nun auch als letzter Gast das Sea Life endlich zu verlassen.

„Ich hab morgen frei", reagiert Yoongi noch gerade rechtzeitig, bevor der Fremde um die letzte Ecke verschwindet.

„Dann komm doch bei Starbucks vorbei, wenn du nichts Besseres zu tun hast. Dann kannst du mich auch mal bei der Arbeit stören. Ich würd mich freuen!", ruft Jimin zum Abschied und verschwindet in den blauen Schatten der Gänge.

Yoongi bleibt noch einen Moment allein vor den Leuchtquallen stehen und beobachtet sie dabei, wie sie langsam und majestätisch durch das Becken schweben. Jimin hat sich ähnlich majestätisch eben durch den Gang bewegt, als würde er schweben und den Boden gar nicht zum Gehen brauchen. Als wäre des Berühren des Bodens nur ein Nebeneffekt seiner Fortbewegung.
Als Yoongi sich vom Becken abwendet, bemerkt er, dass es in seinem Kopf ein bisschen leiser ist als sonst. Komisch. Dabei ist er doch gerade gar nicht unter Wasser.

Unter Wasser hören wir einander mit dem HerzenWhere stories live. Discover now