Vater und Sohn (Teil 3)

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Heute gibt's für euch den finalen Part von Kapitel 11. Diesmal wieder mit Playlist-Vorschlag. Ich liebe das Lied. Besonders der ruhigere Teil davon. Ich finde es macht sehr nachdenklich und passt perfekt zu diesem Kapitel. Unbedingt reinhören. :)

Als ich die Augen aufschlug, brummte mir noch immer ein wenig der Kopf. Die roten Ziffern der Digitaluhr auf meinem Nachttisch zeigte nun 1:38 und draußen war das bisschen Sonne längst dem Mond gewichen. Doch bis auf das Brummen war der Schmerz weitgehend verschwunden. Manchmal spürte ich regelrecht, wie der Heilungsprozess, ausgelöst durch das Wolfsgen, die von Caius zerstörten Teile in mir wieder regenerierte. Von einem leichten Ziehen bis hin zu starken Krämpfen war alles möglich, aber Letzteres hielt sich in Grenzen und war lange nicht so schlimm wie jener Schmerz, den ich in diesen zwei Wochen gespürt hatte.
Ja, ich erinnerte mich noch immer an ihn. Wenn ich die Augen schloss, dann sah ich auch wieder die verzerrten Bilder vor mir, hörte die dumpfen Geräusche. Ich sah noch immer die goldenen Augen Edwards. Der schlimmste Moment, den ich mit ihm in Verbindung brachte, war der gewesen, als er mir das Gift abnehmen wollte. In diesem Augenblick hatte es sich so angefühlt, als wollte er mir den Kopf abreißen oder den Kiefer brechen. Ich hatte einfach nur noch blanke Panik in mir gespürt. Alles andere, was ich von dieser Zeit noch wusste, war weniger furchteinflößend gewesen. Ich hatte wohl die Anwesenheit meiner Familie gespürt, ich hatte gewusst, dass meine Schwester und meine Mutter immer da gewesen waren. Ich hatte ihre Worte teilweise vernommen, wenn sie mit mir geredet hatten, wenn sie mir versichern wollten, dass alles wieder gut werden würde. Ich erinnerte mich auch noch an Edwards Zureden an mich, als ich im Flur auf dem Boden zusammengebrochen war. Aber ich hatte all das nicht hören wollen. Ich hatte schlafen wollen. Nur schlafen. Fern von allem. Fern von den traurigen Gesichtern meiner Familie, fern vom leisen Wimmern meiner Mutter, fern vom Schmerz. Es war genauso, wie ich es Catriona gesagt hatte: den Tod fürchtete ich nun nicht mehr. Was ich gelernt hatte zu fürchten, war der Weg dahin.

Ich stand auf, zog meine Vorhänge zurück, setzte mich auf meine Fensterbank und sah durch das kleine Kellerfenster den Wolken zu, wie sie am Mond vorbei schwebten und ihn in dunkle Schatten hüllten. Ebenso fühlte ich mich auch: in Schatten gehüllt. Wenn ich so zurückdachte, gab es nicht wirklich viele Momente in meinem Leben, in denen ich einfach nur glücklich gewesen war. Natürlich hatte ich mich wohl gefühlt, wenn ich mit meiner Schwester gespielt hatte, wenn ich in der Bibliothek mit ihr gescherzt oder mit meiner Mutter ein vertrautes Gespräch geführt hatte. Aber das Glücklichsein aus tiefster Seele, jenes Gefühl, von dem ich ausging, dass meine Eltern, meine Geschwister und der Rest der Familie es kannten, hatte ich noch nie verspürt. Ich hatte nie zu mir selbst sagen können: 'Das ist es, so soll es bleiben, so bin ich glücklich.' Mir hatte immer etwas gefehlt, um wirklich glücklich sein zu können. Während meine Geschwister mit ihren Partnern ein eigenes Leben geführt hatten, hatte ich immer in diesem Zimmer gelebt. Ich war genauso alt wie sie, aber während sie Erwachsene waren, war ich irgendwo als Teenager stehen geblieben. Ich ging zur Schule, machte Hausaufgaben und hatte diverse Liebschaften gehabt, aber ich war nie irgendwo angekommen. Ich war rastlos gewesen. Immer in Bewegung. Immer irgendwo. Aber nie zuhause. Ja, vielleicht, dachte ich, vielleicht fehlte mir jemand, mit dem ich mein Leben verbringen wollte oder eine Perspektive. Aber bevor ich eine Perspektive würde finden können, müsste ich erst die Dinge verarbeiten, die mich belasteten
Und ganz vorn unter diesen Dingen stand mein Vater. Ich erinnerte mich an seine Worte, während ich hier saß. Im Prinzip hatte er mir nur bestätigt, was ich schon längst vermutet hatte. Und er hatte sich dafür entschuldigt. Ich hatte jetzt die Wahl. Ich konnte seine Entschuldigung zurückweisen und so weitermachen wie bisher. Oder aber, ich konnte ihm verzeihen und einen neuen Anfang machen. Der eine Weg war der, den ich immer gegangen war, der andere würde Überwindung kosten. Meistens hatte ich die einfacheren Dinge den Schwierigen vorgezogen. Und wohin hatte mich das gebracht? Nirgendwo. Ich war gefangen in einem ewigen, rastlosen, perspektivlosen Leben.
Mit meinem Vater stritt ich seit drei Jahrzehnten, mein Bruder war tot und irgendwo im entfernten Italien waren drei Dutzend Halbvampire, die wie Tiere gehalten wurden. Meinen Bruder würde ich nie wieder sehen, die Halbvampire zu retten, das hatte ich mir fest vorgenommen, auch ohne Cats Hilfe. Jetzt gab es nur noch meinen Vater...


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Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin