. . . sind die qualen,

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20. November 2011

Isaac,

es ist drei Uhr morgens und ich sitze im Auto, geparkt in der Nähe eines Parks, der außerhalb der Stadt liegt. Ich bin von purer Dunkelheit umgeben, aber seltsamerweise verspüre ich keine Furcht mehr; vielleicht weil ich mich zu sehr an meine eigene Dunkelheit gewöhnt habe, dass die der Außenwelt mir nichts mehr ausmacht.

Wie es in letzter Zeit üblich ist, konnte ich nicht einschlafen. Gestern bin ich beim Arzt gewesen, der mir neue Schlafmitteln verschrieben hat. Sie wirken nicht, obwohl die Dosierung erhöht wurde. Es ist ironisch, dass die Dosis immer stärker wird, während meine Müdigkeit sich verringert. Man müsste meinen, dass mich das ständige Geheule erschöpfen sollte, aber irgendwie scheine ich anders als normale Menschen zu funktionieren.

Ich fühle mich eigentlich unendlich müde, aber es ist nicht die Müdigkeit, die sich nach einigen Stunden Schlaf auflöst. Es ist die Erschöpfung vom Leben, wofür es keine Heilmitteln gibt. Schlaf wird mir nicht helfen, wenn im Grunde meine Seele müde ist. Es ist wesentlich einfacher, in einem Heuhaufen eine Nadel zu finden, als Ruhe im Chaos, das in meinem Kopf herrscht. Trotzdem versuche ich es. Jeder gescheiterte Versuch raubt mir ein bisschen mehr meiner Energie. Sag mir, wie ich das hier weiterschaffen soll. Mir fehlt die Kraft. Mir fehlt die Lust. Mir fehlt die Hoffnung auf irgendeine Besserung. Das Leben ist so hart.

Ich habe das Gefühl, dass alle denken, dass ich unheimlich stark sei. Niemand sieht mir an, wie ich kurz davor bin, komplett zusammenzubrechen. Ich bin so kurz davor, alles hinzuschmeißen. Es gibt immer weniger Gründe, die mich noch hier halten.

Inzwischen bist du auch kein Grund mehr, Isaac. Es tut weh, mir einzugestehen, dass die Person, die ich mehr als mein Leben liebe, nicht imstande dazu ist, die gleiche Liebe zu erwidern, mich zu ermutigen und mir die schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Es tut weh, wenn ich mich nun zurückerinnere, dass die Person, der ich mich physisch und psychisch vollkommen gewidmet habe, meinen miserablen Zustand verursacht hat. Es tut weh, dass die Person, in deren Leben ich Licht gebracht habe, meines mit Dunkelheit gefüllt hat.

Hast du mich absichtlich gequält, Isaac? Ich habe mir diese Frage während unserer Beziehung schon etliche Male gestellt, aber ausgesprochen habe ich sie nie, weil ich befürchtet habe, dass du mich lediglich ausdruckslos anstarren würdest. Dein Schweigen würde mir die Frage beantworten. Allein der Gedanke zersplittert mein Herz. Aber ich schreibe sie trotzdem in diesem Brief auf, für den Fall, dass ich es nie schaffen sollte, sie dir persönlich zu stellen. Solltest du die Chance haben, diese Briefe irgendwann zu lesen, hoffe ich, dass du dir darüber Gedanken machst, eventuell wenn du nicht berauscht bist.

Ich habe immer gedacht, dass du mich nie absichtlich verletzen würdest, dass alles, was du tust, Missgeschicke gewesen sind, weil du selbst seelisch ein Wrack bist. Für dein abscheuliches Verhalten habe ich stets eine Ausrede gefunden, weil ich mir dadurch erhofft habe, dass du dich irgendwann bessern würdest. In deinem Leben ging vieles vor sich; deine Sucht, Depression, Familienprobleme, und schließlich deine Schuldgefühle für deine vergangene Liebe. Ich habe versucht, dich zu verstehen, mir deine giftigen Worte nicht zu Herzen zu nehmen.

Aber du hast mir bewiesen, dass selbst Liebe einen im Stich lassen kann, denn ich habe dir mein Herz geschenkt, es dir anvertraut, aber du hast es eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken zerstört. Du hast es immer und immer wieder getan und jedes Mal, wenn du mir das kaputte Teil zurückgegeben hast, habe ich die Stücke zusammenklebt, nur damit du sie wieder auseinandernehmen kannst. Nun sind die Splitter so durcheinander, dass ich nicht mehr weiß, wohin welches Stück gehört. Du hast mich so oft enttäuscht und verletzt, dass mein Herz all diese Schmerzen nicht mehr aushält.

Aber jetzt weiß ich zumindest, dass du kein Teil meines Herzens mehr bist.

In Liebe,
Vanda

Was Uns BleibtWhere stories live. Discover now