Gefühlslos

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Ich nehme mir meine Tasche und gehe. Wohin? Raus. Einfach weg von hier. Ständig bekomme ich schräge Blicke von den anderen Mitarbeitern. Kein Wunder, so wie ich förmlich aus dem Gebäude nach draußen stürme. Draußen ist es beschissen kalt. Ich renne zur Bushaltestelle, um den nächsten Bus nicht zu verpassen. Der gütige Busfahrer wartet auf mich und ich steige ein. Meine Lunge brennt. Meine Füße schmerzen. Meine Hände sind gefroren und noch nie habe ich mich so elend gefühlt. In den Minuten der Stille realisiere ich, dass meine Reaktion alles andere als reif war, doch das ist mir so egal. Dieser Job war mein Traum. Jetzt ist er ein zerplatzter Traum. Es gibt keine einzige freie Stelle als Assistents Managerin im Umkreis.
Mein Kopf trifft mit einem dumpfen Geräusch das Fenster und die Scheibe beschlägt. Ich bin verzweifelt. Wie soll ich das meinen Eltern beibringen? Mama würde mir zusprechen, aber Nikolaj? Er würde mich ständig mit seinen Sprüchen aufziehen. Dieser mies gelaunter Mann raubt mir noch den letzten Nerv. Aber er ist Mamas Mate. Ich seufze. So schnell werde ich ihn wohl nicht los.
Ich steige aus und bemühe mich nicht auszurutschen. Meine geliebte Eisschicht hat auch ihre Nachteile. Kälte läuft mir den Rücken hoch und ich schließe meine Arme fest um mich.
Zuhause angekommen, mache ich mir nichtmal die Mühe meinen Schlüssel zu suchen. Ich drücke zwei mal auf die Klingel und Nikolaj öffnet sie mir. "Gut, dass du so früh da bist. Wir haben viel zu besprechen", begrüßt mich Nikolaj. Stumm folge ich ihm. Er wundert sich nicht, wieso ich keinen Mantel trage oder wo meine Stiefel sind. "Was ist?", frage ich und versuche interessiert zu klingen. "Deine Mutter und ich, haben uns überlegt umzuziehen und das Haus zu verkaufen. Da du mittlerweile dein eigenes Geld verdienst wäre es auch mal an der Zeit für dich, auf eigenen Beinen zu stehen", erklärt er mir. Druck baut sich in meiner Brust auf, aber ich würde ihm nie zeigen, dass es mich trifft. "Okay. Ich kümmer mich schnellstmöglich drum", antworte ich mit einer Stimme, die so klingt, als wäre sie nicht meine. "Du hast ja noch deinen Bonzenbuben. Der nimmt dich bestimmt auf", lacht er und ich verlasse den Raum. Ich tausche die roten Highheels gegen die wärmsten Boots die ich habe. Schnappe mir eine Jacke und verlasse das Haus erneut. Erst als ich das Haus verlasse, fällt mir auf, dass ich mir meine dünne Sommerjacke geschnappt habe. Trotzdem laufe ich weiter die Straße entlang, während warme Tränen meine brennenden Augen verlassen. Wütend trete ich gegen eine Mülltonne. Nichts passiert. War ja klar. Wütend schnaube ich. Nichtmal dazu bin ich fähig. Ich schluchze und setze mich an einen Altglascontainer. Die Kälte erdrückt mich. Stumm bete ich keine Blasenentzündung zu bekommen. Ich weine. Relativ laut, da ich in irgendeiner abgelegenen Gosse bin. Ich habe mich doch immer so sehr bemüht alles richtig zu machen. Ich war immer pünktlich und habe alle Aufgaben sauber erledigt. So viele kurze Nächte, wegen nichts. Und Nikolaj hat Recht. Ich bin alt genug um auszuziehen, weg von seiner gestressten Aura und seinen dummen Sprüchen. Die Vorstellung in einem Haus zu wohnen, welches ich aussuchen und dekorieren kann, ist ein Traum.
Ich wische mir über die Augen und beruhige mich. Gleich, wenn ich zuhause angekommen bin, rufe ich Dima an, um mit ihm zu sprechen. Ich will ihn fragen, ob es okay ist, wenn ich zu ihm ziehe. Meine Gliedmaßen sind gefroren, gefühlslos, taub. Gerade als ich auf die Hauptstraße einbiegen will, hält ein Auto direkt neben mir. Ein schwarzer Audi A8.

Hello MateWhere stories live. Discover now