Glitzernde Pfütze

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Ach verdammt. Frustriert werfe ich meinen Pinsel auf den Boden und fahre mir durch die Haare. Damit schmiere ich wahrscheinlich Farbe in diese, weil ich oft nach dem malen bunte Hände habe, aber das stört mich gerade herzlich wenig.

Schlecht gelaunt betrachte ich die Leinwand vor mir. Darauf ist ein halb fertiges Bild aber ich weiß jetzt schon das es auch diesmal nichts geworden ist. Es fühlt sich falsch an. Bildlich sieht es genauso aus wie in meinem Traum, aber etwas fehlt. Vielleicht schaffe ich es in ein paar Jahre es so zu malen das ich es mag. Ich will es schaffen. Abgesehen von meiner Zeit mit Namjoon im letzten Jahr habe ich mich nie wirklich wohl gefühlt. Aber in diesem Traum war ich glücklich. Alles war perfekt . . . Ein dumpfes Gefühl in meinem Magen lenkt mich ab. Plötzlich fühle ich mich eingeengt und sehne mich nach frischer Luft. Spontan springe ich auf und verlasse mein Zimmer. Nur 5 Minuten später stehe ich vor dem Schulgebäude im kalten leeren Hof. Das Schuljahr ist beinahe zu Ende und der Winter kündigt sich an. Schließlich endet hier das Schuljahr wie es beginnt: voller Schnee. Momentan warte ich sehnsüchtig darauf das der erste Schnee fällt. Namjoon lacht mich deswegen aus. Er behauptet ich benähme mich wie ein Kind. Aber er mag den Winter auch. Nur vielleicht nicht ganz so sehr wie ich.

Ich schiebe meine Hände in die Taschen meiner dicken Jacke und lege den Kopf in den Nacken. Der Mond scheint hell und geheimnisvoll. Fast schon automatisch gehe ich einen Weg um das Schulgebäude rum, in die Richtung der Party auf der Namjoon gerade sein müsst. Normalerweise würde ich um diese Uhrzeit nicht rausgehen, es ist 3 Uhr morgens! Aber ich konnte einfach nicht aufhören zu malen und so ist die Zeit unbemerkt verstrichen. Außerdem wäre ich ohne frische Luft fast erstickt. Immer noch mit dem Kopf im Nacken stolpere ich über etwas das am Boden liegt. Unsportlich wie ich bin, reagiere ich zu spät und falle unsanft bäuchlings auf den harten Boden. Meine Handflächen, mit denen ich mich abfangen wollte, brennen. Mir entschlüpft ein leiser Fluch. Vorsichtig schaue ich auf meine Hände. Sie sind leicht gerötet aber bluten zum Glück nicht. Ich will aufstehen als ich vor mir auf dem Boden etwas weiß glitzerndes sehe. Ich konzentriere meinen Blick darauf und halte den Atem an. Gleich drauf greife ich an meinen Hals. Mamas Kette! Mein Hals ist leer. Meine Hand greift dort, wo immer der Anhänger war ins leere. Suchend betaste ich meinen Nacken und kriege die feingliedrige Kette zu fassen. Als ich sie von meinem Hals ziehe und in meine Hand fallen lasse merke ich direkt das der Anhänger wirklich weg ist. Langsam gleitet mein Blick wieder vor mir auf den Boden. Ich erkenne was da liegt. Oder eher schwimmt. In einer winzigen Pfütze hat sich noch ein wenig des weiß glitzernden Pulvers gesammelt. Weg. Die Kette meiner Mutter, das einzige was ich von ihr geerbt habe. Die Kette die ich schon mein ganzes Leben trage. Einfach weg. Zitternd strecke ich meine Hand aus, meine Fingerspitzen berühren die glitzernde Pfütze. Verdammt! Wütend fahre ich hoch und drehe mich um, um zu sehen worüber ich gestolpert bin. Auf dem Boden liegt mit dem Gesicht nach unten eine Person. Der Kleidung nach zu urteilen ein Mädchen. „AAAH!“ Ich bin kein temperamentvoller Mensch. Aber der Gedanke dass das wertvollste was ich besitze weg ist, wegen einer betrunkenen Schülerin, macht mich fertig!!!! „Hey!“ Sie rührt sich nicht. Muss wohl sehr besoffen sein. „Steh auf verdammt!“ Mit einem großen Schritt gehe ich auf das Mädchen zu und trete leicht gegen ihr Bein. Immer noch nichts. Genervt lasse ich mich in die Hocke sinken. Während des letzten Jahres habe ich mich nach Partys öfter um Namjoon kümmern müssen damit er nicht erwischt wird. Er hatte die Angewohnheit einfach einzuschlafen, egal wo. Das war nicht immer leicht aber er war gewiss nicht so schwer aufzuwecken wie die hier. Vor allem rührt sie sich nicht. Namjoon dreht und wendet sich immer. Ich weiß das man das eigentlich nicht vergleichen kann aber was solls. „Hey. Steh auf.“ Ich rüttele an ihrem Arm. Meine Wut ist schon wieder verpufft. Ich bin müde und will einfach nur noch ins Bett. Einen Moment überlege ich sie einfach hier liegen zu lassen, aber dann beschließe ich, sie wenigstens zum Wohnheim der Mädchen zu bringen. Vielleicht kann ich sie einfach auf einer Bank in der Nähe absetzen damit sie nicht hier mitten im weg rumliegt. Vorsichtig schiebe ich meine Hand unter ihren Kopf um sie hochzuheben. Dabei tauche ich meine Hand in etwas klebriges. Na toll, sie hat gekotzt. Angewidert lasse ich ihren Kopf wieder sinken und ziehe meinen Arm zurück. Ich will sie an meiner Hose abwischen, aber . . .

Blut. Das ist Blut. Ein paar Sekunden lang starre ich einfach nur auf die klebrige, rote Flüssigkeit auf meiner Hand. Dann wandert mein Blick zu dem Mädchen. Um ihren Kopf herum hat sich eine Blutlache gebildet und sie wird langsam größer. Scheiße. Rasch drehe ich sie um. Ihre Augen sind offen aber leer, ihre Haut leichenblass. Zitternd lege ich meine Finger an ihr Handgelenk. Nichts. Aber ich war noch nie gut darin den Puls zu fühlen. Obwohl es offensichtlich zu spät ist mache ich mir noch Hoffnungen und lege meinen Kopf an ihre Brust. Ich hoffe ihr Herz schlagen zu hören, aber meine eigenes schlägt so heftig das ich mich nicht konzentrieren kann. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Mit schrecklichen Kopfschmerzen krabbele ich ein paar Meter von der toten weg. Ich schaffe es nicht weit als ich innehalten muss. Mein Magen fühlt sich an als würde er Karussell fahren. Ich hätte nie gedacht das ich so sensibel und schwach bin aber immer noch den Anblick der leeren Augen vorm Gesicht beuge ich mich vor und erbreche mich auf den Boden vor mir. Ich besitze gerade noch genug Verstand auszuweichen um mich nicht einzusauen.

„Taemin? Bist du das?“ Eine Stimme durchdringt den Nebel der sich in meinem Kopf festgesetzt hat. Mit Mühe hebe ich den Kopf. Der Jahrgangssprecher Taekwon steht vor mir und blinzelt. „Ich hätte dich nicht für einen von denen gehalten, der zu diesen Partys geht. „ Missbilligend runzelt er die Stirn. Ich höre lautes Gelächter. Offenbar ist die Party zu Ende. Mein ganzer Körper fühlt sich vor Kälte steif an. Trotzdem rappele ich mich hoch und taumele in Richtung des Mädchens. Die anderen müssen sehen was passiert ist. Irgendjemand muss die Polizei rufen. Als die Gruppe näher kommt fällt der Blick eines Mädchens auf die Tote neben mir. Sie stößt einen spitzen Schrei aus. „Se Na! Se Na, was ist mit dir?“ Panisch läuft sie zu ihrer Freundin und rüttelt an ihrem Körper. Die anderen schauen geschockt, bis sich eine weitere Freundin dazu gesellt. Eine vertraute Stimme hebt sich über die anderen. „Was ist passiert?“

Die anderen tuscheln und jetzt entdecken mich die anderen auch. „Ist das Taemin? Meinst du er hat sie umgebracht?“

„Er war nicht auf der Party oder?“ Was? Worüber reden die da? „Ich würds ihm zutrauen. Er ist immer alleine, wer weiß was in dem vorgeht.“ Das kann nicht sein. Halten sie mich für den Mörder? „Ich wars nicht.“, will ich rufen, aber eine Kehle ist wie zugeschnürt. Mein Blick gleitet über die abweisenden, kalten Gesichter. Hilfesuchend schaue ich Namjoon an. Er weiß das ich nicht dazu fähig bin jemanden umzubringen. Er guckt verwirrt. Sein Blick gleitet zwischen der Leiche und mir hin und her. Unsicher schaut er die anderen an die inzwischen langsam auf mich zugehen. Einer packt mich am Arm und reißt mich auch. „Hast du Se Na umgebracht?“ Ich schüttele den Kopf. Mein Gegenüber lacht kalt. „Und das soll ich dir glauben? Außer denen die auf der Party waren und Taekwon, bist du der einzige hier draußen. Taekwon habe ich durch das Fenster die ganze Zeit in der Bibliothek gegenüber sitzen sehen. Lügen bringt nichts, gib es zu.“ Er schüttelt mich heftig und schlägt mir ins Gesicht. Meine Wange brennt und meine Sicht verschwimmt leicht. Nur stockend gelingt es mir zu sprechen. „Ich wars nicht . . . Bitte . . . Ihr müsst . . mir glauben . . . Bitte . . .“ In den Gesichtern der anderen um mich herum sehe ich nur Hass. Niemand glaubt mir. Verzweifelt gehe ich einen Schritt auf Namjoon zu und packe seinen Arm. „Du weißt das ich so was nie machen würde . . . du weißt das ich das nicht kann.“ Meine Hand, die seinen Arm festhält, zittert. Taekwon wendet sich an ihn. „Du bist doch mit ihm befreundet. Weißt du ob er es war?“ Ich selbst spüre das flehen in meinen Augen. Ich fühle mich hilflos und vor all diesen Leuten erniedrigt, aber es ist besser als wenn alle denken das ich ein Mörder bin. Namjoon sieht mich an und wendet dann den Blick ab. Ich kann seine Antwort kaum hören, so leise spricht er. „Ich weiß es nicht.“ 

Ich höre nichts. Nur das rauschen meines Blutes und das stockende schlagen meines Herzens. „Ich weiß es nicht.“ Das hat er wirklich gesagt. Er glaubt mir nicht? Ich dachte wir wären Freunde gewesen und hätten uns besser kennengelernt, aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Er hat mich dem Hass der anderen ausgeliefert. Meine Beine geben unter mir nach und ich sitze auf dem harten Boden. Ich spüre nur Kälte am ganzen Körper. Jemand zerrt an meinem Kragen. Über mir steht ein Mädchen. Sie weint. Tränen laufen ihr Gesicht herunter und sie schreit mich an. Ich höre keinen Laut. Was sagt sie?

Schließlich werde ich wieder hochgezogen. Ich erkenne nicht von wem, aber es scheinen zwei Männer zu sein. Sie führen mich von den anderen weg zum Schulgebäude und bringen mich in ein Zimmer. Als sie gehen höre ich, wie jemand von außen die Tür verschließt.

Remember the School DaysWhere stories live. Discover now