Kapitel 28

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Früher, als wir noch Kinder waren, hatte Ben mir einmal erklärt, dass er nicht wahllos töten konnte nur weil er der Überlegene war. Dies hatte sich auf eine Spinne in meinem Zimmer bezogen, welche ich selbst nicht töten konnte, da ich dem ekelhaften Insekt nicht nähertreten konnte. Anstatt einen Schuh danach zuwerfen sammelte er sie behutsam ein und ließ sie im Garten wieder frei. Ich konnte mich noch gut an sein unbeschwertes Lächeln erinnern, welches er trotz der Umstände bewahren konnte. Es war makaber, immerhin zierte sein Gesicht ein blaues Auge, seine Lippen waren aufgeplatzt und auch seine kleinen Ärmchen waren voll von Blutergüssen. Trotzdem strahlte er wie die Sonne, als er zu sah, wie die Spinne davon krabbelte. Nachdem ich die Lagerhalle betreten hatte, Ben und einen anderen Typen vor einem festgebundenen abstoßenden Dämon, welchen sie mit einer Waffe, die entfernt wie eine Machete aussah, folterten, stehen sah, überkamen mich die Kindheitserinnerungen wie eine Welle der Nostalgie. Ich erinnerte mich an eine Nacht, kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag, als Ben sich in mein Zimmer geschlichen hatte, nachdem meine Pflegemutter mit mir fertig war, und mich aus nassen Augen aufmunternd anlächelte. Schweigend hatte er sich zu mir ins Bett gelegt und mich fest in seine Arme gezogen. Ich begann sofort zu weinen und schluchzte, dass ich das Spiel hasste. Ich erinnerte mich, dass er darauf versprach, dass wir bald nicht mehr mit machen müssten, dass er eine Lösung findet und mich niemals alleine lassen würde. Während ich beobachtete, wie er mit verkniffender Miene auf den Dämon einschlug, dachte ich an den jungen Ben, der nachdem er Spielen musste, wie es unsere Pflegeeltern zu nennen pflegten, mit erhobenen Hauptes in mein Zimmer spazierte und trotz dessen was sich vor nicht einmal zehn Minuten abgespielt hatte, ehrlich lachte, als er mich beim versuch zu singen erwischt hatte. Ich versuchte meine Gefühle herunter zu würgen, was mir gut gelang, währenddessen ich mit leisen Schritten an sie heran schlich. Unter meinen Füßen knackste etwas, zog die Aufmerksamkeit der beiden VT Soldaten auf mich und brachte einen von beiden dazu, kalkweiß zu werden. Seine geweiteten blauen Augen trafen die meine, lösten abermals einen Blick in die Vergangenheit aus. Weckten Bilder von meinem besten Freund, der Stunden vor dem Computer der Schulbibliothek verbracht hatte und Mittels Darknet und unglaublichen Talent versucht hatte die kleinen Videos, welche unsere Pflegeeltern gedreht hatten um sie zu verkaufen, aus dem Internet zu löschen. Erfolglos. Ich erinnerte mich, als er drei Tage danach mit einem dicken selbstgefälligen Grinsen nachhause kam, mir mein Matheheft wegzog und verkündigte, dass unsere Pflegeeltern, von denen wir abgehauen waren, wegen Kinderpornografie verhaftet wurden. Er hatte wohl anonym einen Tipp an die Polizei geschickt, etwas worauf ich nie gekommen wäre. Egal wie viel Mist wir erlebt hatten. wie oft er zusammengeschlagen oder zu gewissen Dingen gezwungen wurde, er hatte stehts dieses Funkeln und sein aufrichtiges Lächeln bewahrt. Zu erkennen, dass seine Augen leer und seine Mundwinkel nach unten gezogen waren, brachte das Fass in mir zum übergehen. Zurück blieb unglaublicher Hass. Hass gegen mich, denn ich war der Grund, weshalb er, der unglaublich viel Dreck überlebt hatte ohne sich selbst zu verlieren, letztendlich zerbrochen war. Dieser Hass feuerte das Ungeheuer in meinem Kopf, welches nach Rache lechzte, ungemein an.
„Fia?" seine Stimme war nicht mehr als ein Hauch.
„Hallo, Ben" ich sah von ihm auf den Fremden, dann zu dem Dämon und wieder zu Ben. „Du brauchst den Eingang zur Hölle nicht suchen. Ich werde nicht mehr ganz unfreiwillig festgehalten."
Er sah mich verwirrt an, ehe er mit wackligen Beinen auf mich zu ging. Instinktiv wollte ich in seine Arme laufen, mich an ihn drücken und Trösten lassen. Wie früher, doch musste ich diesmal die starke sein. Ich hatte eine Aufgabe und durfte diese nicht von meinen Gefühlen beeinflussen lassen. Deshalb machte ich einen Schritt rückwärts und beobachtete, wie Ben bei meiner Reaktion zum Stillstand kam und mich aus großen Augen ansah. Tränen rollten über sein von Schmerz verzerrtes Gesicht.
„Was geht hier vor sich?" fragte er krächzend.
„Ich bin hier, um dich zu warnen. Schnapp Rhi und verschwinde."
„Warnen?" fragte der Fremde, ich ignorierte ihn.
„Ben du musst das VT heute noch verlassen." nachdrücklich sah ich ihn an.
„Kommst du mit mir, wenn ich das VT verlasse?"
„Nein, ich kann nicht."
„Wegen Luzifer?"
„Nein, nicht wegen ihm. Ich muss etwas erledigen aber das ist jetzt nicht wichtig. Versprich mir, dass du mit Rhiannon abhaust okay?" Meine emotionslose Stimme ließ ihn zusammenzucken, bevor er lachte. Es war ungläubig und spottend.
„Es ist verdammt wichtig, Fia! Ich passe."
„Verdammt, das was die Spinner im Diner ab und zu von sich geben ist wahr. Der Tag des Jüngsten Gerichts naht und ich will Gott davon aufhalten, die Menschen einfach in die Hölle zu schicken. Aber jetzt musst du deine Sachen packen und verschwinden, denn Morgen wird es das VT nicht mehr geben."
„Wenn das stimmt, dann, dann willst du dich gegen Gott auflehnen?"
„Wir werden ihn aufhalten."
„Du hast sie nicht mehr alle. Wie willst du, ein einfacher Mensch, den Plan von Gott aufhalten, der der uns erschaffen hat? Wenn es sein Plan ist, dann müssen wir das akzeptieren und hoffen gut genug für den Himmel zu sein. Wen meinst du überhaupt mir „Wir"?" Ich wollte gerade antworten als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Erschrocken sah ich in die goldenen Augen Luzifers, welcher wie aus Zauberhand erschienen war. Er setzte zum sprechen an, als ich ein lautes zischen, welches die Luft durchschnitt, wahrnahm. Mir entkam ein entsetzter Schrei, als sich die komische Machete tief in die Brust des Höllenkönigs grub. Erschrocken griff ich nach seinen Schultern, da er überrascht nach hinten stolperte. Aus meinem Augenwinkel konnte ich Nina beobachten die ihre Schlangen auf Ben, welcher die Waffe ohne zu zögern geschmissen hatte, hetzte.
„Stopp!" schrie ich, während eine Energiewelle meinen Körper verließ und jeden außer mich und Luzifer, dessen Schultern ich noch immer festhielt, drei Meter nach hinten schleuderte. Die Schlagen, welche Ben angreifen wollten, wurden gegrillt und vielen zur Asche gewandelt zu Boden.
Luzifer erlange seine Fassung, zog die Waffe aus seiner Brust und schmiss sie abwertend zu Boden. Das Loch in seiner Brust, schloss sich vor meinen Augen wieder zu, bis es aussah, als wäre er nie aufgespießt worden. Er flüsterte mir, sodass nur ich es hören konnte etwas zu: „Diese Waffe hätte auch einen höheren Dämon auf Nimmer wieder Sehen geschickt." dann drehte er sich zu Ben und warf ihm einen tödlichen Blick zu.
„Mensch, du kannst froh sein, dass du ihr wichtig bist. Das nächste Mal zerfetzte ich dich und weide dich vor den Augen aller aus."
Ich schluckte, drehte mich ebenfalls zu meinem besten Freund, welcher mich entsetzt anstarrte.
„Ben, dass deine Freundin kein Mensch ist, hast du ausgelassen." sprach der fremde Typ etwas verstört.
„Sie ist ein Mensch. Er hat dich verändert?" das letzte war an mich gerichtet. Ich wollte ihm nicht die ganze Sache erklären, es würde ihm nur verwirren. Okay, es lag auch daran, dass ich Angst hatte ihn dadurch zu verlieren.
„Ben du musst das VT verlassen!" sagte ich stattdessen erneut.
„Es tut mir leid aber ich werde dort bleiben."
„Dann wirst du sterben," flüsterte ich. „Und Rhiannon auch"
„Du arbeitest mit ihm zusammen?" Mir blieb keine Zeit zum Antworten.
„Mit dem der dich entführt hat? Scheiße und du leidest auch noch an Stockholmsyndrom."
„Was?"
„Dein Gesicht als die Occidere ihn durchbohrte hat dich verraten. Für einen kurzen Augenblick hast du die Fassung verloren und ich konnte es sehen, deine Gefühle. Du empfindest etwas für ihn."
Ich rang nach meiner Beherrschung, denn seine Augen strahlten pure Enttäuschung aus. Er sah mich an, als wäre ich eine Verräterin.
„Wir sind anscheinend nicht mehr auf der gleichen Seite. Ich werde das VT nicht verlassen, jetzt erst recht nicht. Fia, ich gebe dir keine Schuld. Er hat irgendetwas mit dir gemacht. Du bist anders, nicht nur vom Aussehen. Ich werde kämpfen, vielleicht auch sterben aber wenigstens mach ich etwas. Wie du hier stehst, sprichst und mich ansiehst. Er hat dich mir genommen. Das bist nicht du." Die Entschlossenheit, welche man klar heraushören konnte, während er sprach, drang durch die Mauer vor meinen Gefühlen. Innerlich starb ich, denn mir war klar, dass ich ihn nicht aufhalten konnte. Er würde nicht auf mich hören, was unmittelbar zu seinem Tod führte.
„Ben, es ist größer als du glaubst. Ich bin auf deiner Seite, der Seite der Menschen aber das VT ist zu gefährlich für unsere Mission. Jeder Soldat, jeder Mensch in den Basen, wird sterben. Du würdest damit nicht nur dich umbringen, sondern auch Rhiannon."
„Wer sagt, dass wir nicht einen Plan B haben?" damit stupste er seinen Kollegen an und sie begaben sich zu dem hinteren Ausgang, vor dem ich Foras breitbeinig stehen sah. Er würde Ben bewusstlos schlagen, wenn ich es wollte. Damit würde er den Stützpunkt nicht mehr rechtzeitig erreichen. Ich sah, dass mein dämonischer Freund nur auf ein Zeichen wartete. Doch gab ich keines, denn jemand musste bei Rhiannon sein, wenn alles den Bach unter ging. Ich verdrängte das Wissen, dass ich gerade zuließ, dass er in seinen eigenen Tod marschierte. Foras trat zur Seite, als die beiden Männer den Ausgang erreicht hatten und Ben drehte sich ein letztes Mal zu mir,  sagte etwas, ehe er hindurch schritt: „Es tut mir leid, dass ich dich nicht beschützen konnte." Damit war er weg.

Ben POV

Ich hatte sie verloren, diesmal endgültig. Ihr kalter Gesichtsausdruck, die emotionslose Stimme, alles waren Zeichen dafür, dass sie nicht mehr existierte. Etwas war gewaltig schief gelaufen, dass verrieten ihre noch dunkler gewordenen Augen, denn sie strahlten keinen Schimmer Menschlichkeit aus. Sie glaubte vielleicht, dass sie auf unserer Seite war, doch konnte ich während des Gesprächs mit ihr beobachten, wie manchmal etwas Dunkles sie übernahm. Es war als würden ihre Augen für eine kurze Zeit leblos glitzern.
„Wir müssen die anderen warnen." Wayne sprach ruhig und gefasst, sah mich allerdings besorgt an. Ich nickte und schickte Rhi eine Nachricht. Ich hatte ihr gesagt, dass sie in die Kirche zu Mrs. Gibson gehen sollte, da ich mir Sorgen über deren Gesundheit machte. Sie sollte in Sicherheit sein, falls man die Basis nicht rechtzeitig evakuieren konnte.
„Wie wollen sie den heiligen Boden betreten?" fragte ich, da ich daran noch gar nicht gedacht hatte.
Wayne zuckte mit den Schultern, schnappte sein Handy und wählte eine Nummer.
Als ich erneut an Fia dachte, verschwamm meine Sicht. Ich hatte sowas von versagt, schon wieder. Etwas was sie zu mir gesagt hatte, kurz bevor wir von unseren Pflegeeltern weggelaufen waren, schoss mir durch den Kopf.

„Es gibt Sachen die konnte man nicht retten. Dein Pullover, den ich zu heiß gewaschen hatte, war einer von diesen Sachen und manchmal glaube ich, dass ich ebenfalls in diese Kategorie falle. Was ich damit sagen will ist, dass man kaputte Dinge loslassen muss und irgendwann gibt es den Tag, an dem du mich loslassen musst, denn ich bin definitiv kaputt."

Ich glaube dieser Tag war tatsächlich gekommen, doch statt los zulassen, hielt ich sie fester denn jäh. Scheiße, mir war bewusst, dass ich mich dabei selbst verlieren würde, wenn ich das nicht schon getan habe.

Apokalypse - BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt