41st chapter

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Man wirft uns seltsame Blicke zu, als wir eintreffen. Kein Wunder, schließlich trägt mich der muskulöse Riese huckepack auf seinem Rücken und ich muss dazu noch sehr fertig aussehen. Noch dazu ist Louis nicht bei uns, und das ist es, was den Leuten wahrscheinlich am meisten auffällt. Kein Wunder, mich besorgt es auch am meisten und es handelt sich um den Anführer der Gruppe.

„Was ist passiert?", fragt Ada, sie hat sich durch die Menge nach vorne gekämpft und zieht nun besorgt die Stirn in Falten. Ihre dunklen Haare sind unordentlich und sie sieht aus, als sei sie bis gerade eben noch gerannt, aber sie ist wohlauf und das ist das Einzige, worum es momentan geht.

„Der Kleinen sind die Beine unter'm Körper weggeknickt", murmelt Bobo ihr leise zu. Ich bin froh, dass er es nicht alle wissen lässt, denn es ist mir peinlich, im Gegensatz zu allen anderen so schwach zu sein. „Ich hab' sie also hergetragen."

Ada mustert mich sofort anders als zuvor. In ihrem Blick liegt weniger Mitleid und Besorgnis um mich, dafür macht sich nun ein gewisser Vorwurf sowie Unverständnis breit.

„Und wo ist Louis?", ist ihre nächste Frage und das, was scheinbar auch sie am meisten interessiert.

„Nicht da", brummt Bobo und sieht sie mahnend an, worauf er scheinbar unauffällig in meine Richtung nickt. Ich bemerke es und mir schießt das Blut in die Wangen. Er will also nicht vor mir darüber reden, was auch dazu führt, dass mein Herz zu rasen beginnt. Ist die Lage etwa ernster, als er mir erzählt hat und er will mich möglicherweise nur beruhigen?

„Er ...", beginne ich, doch Ada sieht sich um und bedeutet uns dann, ihr zu folgen. Bobo trägt mich noch immer auf seinem Rücken und aus Angst, vor versammelter Mannschaft schon wieder umzukippen, wenn er mich loslässt, sage ich nichts dagegen.

Louis' beste Freundin führt uns in eine winzige Kammer, in der Bobo nicht einmal aufrecht stehen kann, weshalb er mich nun doch absetzt. Dafür ist hier allerdings auch niemand anderes, sodass wir ungestört reden können. Scheinbar will Ada nicht, dass jeder das erfährt, was ich ihr berichten werde und ich kann sie verstehen. Eine Massenpanik kann keiner gebrauchen. Es ist schon verdächtig genug, dass ich, als Louis' kleiner Schützling, nun ohne ihn auftauche.

„Wir wurden getrennt", beginne ich ihr mit zittriger Stimme zu erklären. „Die Soldaten haben ihn verfolgt und er wollte sie abschütteln, bevor er hierher kommt." Meine Augen werden nass und eine Träne kullert an meiner Wange herunter. Weitere folgen ihr.

„Was, wenn sie ihn gefangen genommen haben?", schluchze ich und lasse meinen Gedanken damit freien Lauf. „Sie werden alles tun, um an Informationen zu kommen, sie werden ihn foltern, ihn töten ..."

Ich breche ab, da ich mich vor Weinen verkrampfe und dann kraftlos an der Holzwand heruntersinke. Allein der Gedanke, dass Louis, die Liebe meines Lebens, durch die Leute, die einmal meine Vertrauten, engsten Verbündete und Freunde gewesen sind, gequält oder umgebracht worden sein könnte, ist so unerträglich schmerzlich, dass ich meine, es in meinem eigenen Körper nicht mehr aushalten zu können. Von Schluchzern erbebend schlinge ich meine Arme um mich selbst und versuche nicht an meinen geliebten, kriegerischen, verträumten, romantischen und in jeder Hinsicht zuvorkommenden und charmanten Louis zu denken. Die Farben, die ich nun bald nicht mehr sehen werde – nie hätte ich erwartet, dass ich sie vielleicht nie wieder sehe, weil er dann schon gestorben ist. Es ist mir vorher nicht in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken.

„Mira", meint Ada, nun ist sie einfühlsam und hockt sich zu mir hinunter, „er wird kommen. Wir lassen gar nicht zu, dass man ihn gefangen nimmt. Wir sind eine Familie, schon vergessen? Wir lassen niemanden zurück."

Ihre Worte können mich nicht beruhigen. Es sind die Worte, die man immer sagt, um jemanden zu beruhigen. Nur selten sind sie wirklich die Wahrheit.

„Jetzt reiß dich mal zusammen, Mira!", sagt Bobo, doch sein Tonfall lässt das Ganze geradezu zärtlich wirken. „Dein Rumgeheule bringt jetzt auch niemanden weiter."

Er hat natürlich Recht, aber ich kann mich nicht so zusammenreißen, dass ich aufhöre. Es ist einfach alles zu viel für mich.

„Wie lange ist er denn jetzt schon weg?", fragt Ada mit einem Mal und mir entgeht erneut der Blick nicht, den sie mit Bobo austauscht. Sie verlagert ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und wickelt sich eine Haarsträhne um den Finger. Auch Bobo streicht sich mit einer Hand über den Kopf und kratzt sich das kantige Kinn.

„Er braucht eben ein wenig mehr Zeit", grummelt er vor sich hin, klingt aber auch nicht mehr so überzeugt, wie noch einige Minuten zuvor. Das Ada nervös wird, bringt scheinbar auch ihn aus der Fassung.

„Normalerweise braucht er nicht so lange", gibt Ada zu, was mich nicht unbedingt beruhigt.

Meine Handflächen werden schwitzig und ich fummele mit den Händen an meinen Klamotten herum, ziehe an einem losen Faden und kaue auf meiner Lippe herum, bis ich das Blut schmecke. Der rostige Geschmack ist widerlich, doch lenkt mich der leichte Schmerz von all den dunkeln Fantasien ab.

„Wir sollten zu den anderen gehen", beschließt Bobo. „Sie werden sonst noch misstrauisch."

„Ich fühle mich gerade nicht gut genug, um zu den anderen zu gehen", versuche ich ihm klarzumachen und ziehe die Nase hoch. „Soll ich etwa jedem erklären, warum ich geweint habe?"

„Es denkt ohnehin jeder, du wärst verletzt, weil ich dich getragen habe", stellt Bobo klar, der das Problem an der Sache nicht zu sehen scheint.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und wir alle blicken erschrocken auf. Erst jetzt fällt mir auf, dass alle Geräusche der anderen, die davor wie ein leises Brummen durch die Wände zu uns gedrungen sind, verstummt sind. Da die Person im Schatten steht, kann keiner von uns sie erkennen und mein Herzschlag setzt kurzzeitig aus. Ist es ein Soldat?

„Hier seid ihr also!", sagt die Stimme, die mein Herz nun dazu bringt, erneut heftig zu schlagen. Ich kenne sie. Es ist unverkennbar Louis'.

Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon