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[BRYAN]

"Ihr müsst also nur dafür sorgen, dass ihr unbemerkt rein kommt, die Statue nehmt und durch den Hintereingang entkommt", sprach Bryan und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

Das Büro des blonden Anführers lag nicht im Bunker unten, wo sich alle Spezialräume der White Skulls befanden. Bryan bezog sein Quartier wie jeder normale Bewohner Hoplors in dem Haus, welches er geerbt hatte. Das prachtvolle Steinhaus stand auf einer leichten Anhöhe, am Rande der Hafenstadt, die sich um die Bucht herum zog.

Die großen Fenster, die hinter Bryans Rücken waren und fast die ganze Wand einnahmen, gaben einen Ausblick auf den Wald, der ins dunkle Nichts führte. Die Nadeln der Bäume waren von feinem Frost überzogen und das Laub auf dem Boden unter einer feinen Schneeschicht bedeckt. Wäre Bryan noch ein Kind, würde er jetzt draußen Schneemänner bauen und sie anschließend seinem Vater zeigen. Doch der war abgehauen, als er noch ein Kind war. Statt zu einem Auftrag zu gehen, wie er das immer angenommen und seine Mutter ihm erzählt hatte, war Bryans Vater mit seiner Liebhaberin abgehauen.

Er konnte sich noch genau an das wutverzerrte Gesicht seiner Mutter erinnern, als er ihr gesagt hatte, er wüsste die Wahrheit über seinen Vater und dessen nicht mehr Wiederauftauchen. Sie hatte ihn geschlagen und geschrien: "Immer musst du alles sagen was dir durch den Kopf geht. Du zerstörst dadurch Beziehungen, brichst Herzen. Siehst du das denn nicht?" Und dann ist sie gegangen. Es war Winter und Bryan war zu diesem Zeitpunkt kälter, als jemals in den Wintern zuvor.

"Und Orion wird das Hintertor öffnen und falls er es nicht hinbekommen sollte, wird Grace rechtzeitig bei ihm sein?" Scor zog fragend eine Augenbraue hoch und Bryan sah die Sorge ins einem Blick.

"Ja. Grace wird das Tor vorne für euch öffnen und sich direkt auf den Weg zu Orion begeben. Ihr habt da drinnen maximal eine halbe Stunde Zeit, ehe die Alarmanlage wieder eingerastet ist und sorgenlos funktioniert. Das System ist kompliziert von dem was ich gehört habe. Nur Profis können dieses Umgehen und lange genug ausschalten."

"Gut, dass wir Grace und Orion haben. Sie sind Profis und werden für uns die Tore öffnen." Ein schelmisches und zugleich angriffslustiges Grinsen hatte sich auf die Lippen des Mannes gelegt, was Bryan erwiderte.

"Ich beschäftige eben nur die Besten. Aber genug davon. Timbers wird sich um die Hoverbikes kümmern. Ich habe ihm gesagt, dass er den Motor so modifizieren soll, dass lediglich ein leises Summen verrät, dass ihr überhaupt fahrt. Ihr könnt also unbemerkt so nah an das Grundstück fahren, dass man euch nicht hören wird."

"Was ist mit dem Ratsherrn? Wird er wirklich zwei Stunden vor Mitternacht das Haus verlassen?", fragte Scor. "Es wäre riskant und vielleicht sollten wir noch eine Stunde warten, ehe wir reingehen? Am Ende steht er im Bademantel mit Latschen und Gesichtsmaske vor uns und fragt, was wir wollen."

"Das wird nicht passieren. Meine Quellen waren sehr präzise und sie haben mir gesagt, dass der Ratsherr nur für zwei Stunden weg sein wird. Ihr solltet also wirklich nur eine halbe Stunde einplanen. Besser noch, wenn ihr schneller seid. Seine Leibgarde schickt der wehrte Herr nämlich gerne mal eine Stunde früher zurück."

Bryan hatte seine Hände sorgfältig auf dem Schoß gefaltet und drehte sich leicht. Er machte einen relativ gelassenen Eindruck, während Scor ausdruckslos ihm gegenüber saß. Seinen Hut hatte er nicht auf, sodass ihm seine braunen Locken bis auf die Schultern fielen. Als dieser langsam nickte, wippten seine Haare mit.

"Die Wachen die er dort behält werden Gemma und Viper ausschalten, richtig?"

Bryan stimmte zu. "Ich habe Viper aufgetragen, Gemma Scharfschützenunterricht zu geben. Viper selbst wird dich nach drinnen begleiten."

"Das heißt, dass Gemma nicht ihre Qualifikationen im Messerwerfen nutzen, sondern sich einer völlig fremden Waffe annehmen soll?" Scorpions Misstrauen in Bryans Plan und Anweisungen ließen Wut in dem blonden Mann aufkochen, doch er konnte es seinem zweiten Anführer nicht übel nehmen. Es klang wirklich absurd die Fähigkeiten der begabten Messerwerferin nicht sinnvoll einzusetzen, doch Bryan hatte einen Plan und er gab die Anweisungen.

"Ich weiß, dass sie euch drinnen behilflich sein kann, doch zu dritt könntet ihr zu schnell auffallen. Außerdem braucht ihr noch jemanden draußen, der euch Rückendeckung gibt und im Notfall warnen kann. Zudem kann Gemma die Bedrohungen ohne Probleme ausschalten. Einen Schalldämpfer besitzt Viper."

"Ja, ich weiß, aber dann kann doch auch Gemma reinkommen und Viper als Rückendeckung dienen? So müssen wir kein unnötiges Risiko eingehen", entgegnete Scor. Seine grauen Augen funkelten.

"Denkst du, das weiß ich nicht? Scorpion, ich vertraue dir, dass du die Gruppe anführst und sicher wieder hinaus bringst. Dich brauche ich drinnen, um dort für Sicherheit zu sorgen. Viper hat durch seine Scharfschützen Erfahrung die ruhigsten Hände von uns allen. Seine Fingerfertigkeiten und sein Feingefühl brauchen wir beim Raub der Statue. Zwei Begabte im Nahkampf sind drinnen nicht zu gebrauchen, wenn sich keiner um diese verdammte Statue kümmert."

Bryans Stimme war beunruhigend leise und er hatte sich nach vorne auf den Tisch gelehnt, sodass sich seine breiten Oberarme automatisch anspannten.
"Wenn du etwas gegen meine Anweisungen oder meinen Plan hast, dann sag es bitte jetzt."

Scorpion schwieg.

"Du weißt, dass ich dir vertraue. Also bring mich nicht dazu dieses Vertrauen in Frage zu stellen."

Scorpion nickte.

"Gut." Bryan stand auf und ging um den Tisch herum. "Bereite die anderen vor. Gib Gemma auch die Anweisung, sie soll sich bei Grace ihre Montur mit Fell auskleiden lassen. Ihre genaue Position als Scharfschützin werde ich noch bestimmen und ihr mitteilen. Nichtsdestotrotz wird sie draußen sein und der Winter ist dieses Jahr kälter als die Jahre zuvor."

"Ich kümmere mich drum. Verlass dich auf mich."

"Ich verlasse mich immer auf dich", murmelte Bryan und klopfte ein letztes Mal auf die Schulter von Scor, ehe er ihn losließ und sich wieder an seinen Tisch setzte.

Einige Minuten nachdem Scorpion gegangen war und Bryan sich längst in Karten vertieft hatte, um für Gemma einen Standort herauszusuchen, von dem aus sie einen guten Überblick über das Anwesen des Ratsherrn hatte, hörte er ein lautes Klopfen von unten. Kurz hielt er Inne, doch als er kein weiteres Geräusch bemerkte schüttelte er den Kopf und betrachtete weiter die Karten. Wenige Sekunden später hörte er das Klopfen erneut und diesmal war er sich sicher, dass es von der Haustür kam.

Seufzend schob er den Stuhl zurück und sah aus dem Fenster seines Büros, welches sich direkt über dem Hauseingang befand. Er erblickte einen jungen Mann, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt mit dunklen Haaren und einer dicken Jacke, der fröstelnd seine Hände zusammen rieb. Er sah sich immer wieder um, so als hätte er Angst bei etwas verbotenem erwischt zu werden. Dann klopfte er noch einmal.

Bryan hatte die Neugierde gepackt, weshalb er die Treppe runter ging und die Tür öffnete. Der Junge sah ihm aus großen blauen Augen entgegen ehe er sich räusperte.

"Ich...ähm...ich bin auf der Suche nach einem gewissen 'Bryan Maganti'. Wohnt der zufällig hier?"

Bryan verschränkte misstrauisch die Arme vor der Brust. Woher wusste dieser Fremde wie er hieß?

"Wer will das wissen?"

"Mein Name ist Yuris, Sir. Yuris Tripan. Und ich bin auf der Suche nach meinem Halbbruder."

White SkullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt