12. Into your arms I fall

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Ich dachte ja, ich hätte Caro schon oft ausser Rand und Band erlebt. Aber ihre Reaktion gerade eben sprengt jeden Rahmen. Ich muss mich zusammenreissen, um nicht selbst hysterisch zu werden.
„Hat er seinen Ehering getragen?"
Ich schmunzle in mich hinein. Klar, dass das eine ihrer ersten Fragen sein würde. Ich bringe Caro ihren Kaffee und setze mich zu ihr an den Küchentisch.
„Jep. Alles da, wo es sein soll."
„Ach, ALLES da, wo es sein soll? Hast du denn auch ALLES kontrolliert? Ich glaube ja immer weniger an die Bett-und-Sofa-Story!" Sie funkelt mich vergnügt an.
„Caroline!" Ich spiele die Entsetzte. „Es stimmt wirklich. Ich fange doch nichts mit einem verheirateten Mann an."
„Ich ziehe dich doch nur auf", beschwichtigt sie lächelnd. „Aber du musst schon zugeben, dass das komplett abgefahren ist." Sie beugt sich verschwörerisch vor und flüstert beinahe: „Du hast mit P-a-d-d-y   K-e-l-l-y eine Nacht in seiner Hotelsuite verbracht. Ich krieg mich nicht mehr ein!"
Das ist jetzt der Moment, von dem ich vermutet hatte, dass er ganz bestimmt kommen würde: Ja, auch mir kommt es jetzt wie ein Traum vor. Wie oft habe ich schon unseren Chatverlauf wieder und wieder durchgelesen, nur um sicherzugehen, dass ich mir das alles nicht eingebildet habe.
„Den Song lässt du dir aber nicht entgehen, oder? Also du wirst doch sicher zu diesem Konzert fahren? Morgen, oder?" forscht Caro hibbelig weiter.
„Ja, morgen. Werde ich", versichere ich strahlend.
„Und dann?"
Ich runzle die Stirn. „Wie und dann?"
„Was geschieht als nächstes? Ich meine... Wo führt das Ganze hin?"
„Ich habe nicht den geringsten Schimmer," gebe ich zu.
Wir starren uns dämlich grinsend an.
„Wirst du dir die Beine enthaaren?"
Ich verschlucke mich an meinem Kaffee.
„Caro", huste ich, „für's Konzert? Ääh, nein? Oder doch? Das habe ich mir doch noch nicht überlegt! Wieso fragst du das denn." Ich lache schallend.
„Du hast also wirklich nicht vor, mit ihm zu schlafen", stellt Caro ernst fest.
„Doch, ich stürme wahrscheinlich die Bühne und rufe ‚Hey Paddy, altes Haus, ich habe mir die Beine rasiert! Na, Bock?' Nun bricht auch Caro in schallendes Gelächter aus.
„Das habe ich doch schon gesagt," fahre ich fort. „Und darum geht es wie gesagt auch gar nicht."
Caro wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Hm, mmh", gluckst sie.
Ich liebe Caro wirklich und kann mit ihr über alles reden. Sie war schon immer mein Fels, mein sicherer Hafen, und ist mir während meiner persönlichen Hölle unerschütterlich beigestanden. Aber für diese Seelenbegegnungs-Geschichte jetzt mit mir und Paddy hat sie irgendwie keinen Draht. Ich glaube, sie kann sich einfach nicht vorstellen, was Mr. Superstar und Dorfmädchen voneinander wollen könnten, wenn nichts Berufliches oder Erotisches. Aber ich kann mich momentan nicht auch noch darauf konzentrieren, ihr das irgendwie nahezubringen.
Mr. Rockstar und „nebenher" meinen ganz normalen Job unter einen Hut zu bringen fordert schon jede Kapazität, die mein armes Hirn aufbringen kann. Das ist auch der Grund, weshalb ich entschieden habe, ihr das Detail mit der kurzen erotischen Situation zu verschweigen- das hätte ihre Theorien nur weiter angeheizt.
In dieser Nacht, der Nacht vor dem Konzert, träume ich zum ersten Mal von Paddy. Ich habe noch nie realer geträumt. Als wäre ich wirklich da. Ich stehe auf einer hohen Klippe und sehe auf's stürmische Meer hinaus. Plötzlich entdecke ich ihn auf einer anderen Klippe, schräg gegenüber. Auch er hat mich entdeckt und nun sehen wir einander einfach lächelnd an. Der rauhe Wind peitscht uns um die Ohren und zerrt an der Kleidung. Wir stehen und lächeln. Eine Ewigkeit scheint zu vergehen. Irgendwann treffen wir eine Art stille Übereinkunft, denn wir wenden uns zeitgleich ab und ich weiss, dass ich den Weg runter zur Bucht gehen muss. Ich klettere mühelos hinunter, bis ich den Sand der Bucht an meinen nackten Füssen spüre. Da ist er. Er kommt mir entgegen und ich ihm. Je näher wir uns kommen, desto wärmer und heller wird die Umgebung. Wir beide strecken gleichzeitig die Arme nacheinander aus. Die Umarmung ist eine Verschmelzung; wir greifen ineinander, zerfliessen ineinander. Alles wird eins.

SoulgirlWhere stories live. Discover now