16. Kapitel - Kein Weg zurück

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Sylan schlug die Augen auf und starrte angestrengt in die Finsternis. Es war bereits das dritte Mal, dass er in dieser Nacht aufwachte, die peinigenden Schmerzen in seinem Rücken erlaubten ihm nicht, in einen erholsamen Schlaf zu fallen. Die kleinste Bewegung riss den Schorf auf den langen Striemen auf, die die Peitsche hinterlassen hatte, und er konnte förmlich spüren, wie sich der weiße Verband langsam rot färbte. Mit dem unguten Gefühl, dass es dieses Mal nicht der Schmerz gewesen war, der ihn aufgeweckt hatte, schloss er wieder die Augen. Sein Blickwinkel war in seiner liegenden Position ohnehin nicht wirklich gut, und wenn es doch etwas zu sehen gegeben hätte, wurde es durch die Finsternis innerhalb des Zeltes verborgen. Der dicke Stoff, aus dem sein Gefängnis bestand, war so dunkel, dass nicht einmal das Mondlicht für einen Schimmer Helligkeit sorgte. Sylan seufzte und versuchte ein weiteres Mal einzuschlafen. Er wusste nicht, wie lange die Nacht noch dauerte, doch er wollte jede Gelegenheit nutzen, seinen Gedanken durch einen möglichst traumlosen Schlaf zu entfliehen.

Doch es war ihm nicht vergönnt, ein weiteres Mal Schlaf zu finden. Sein Körper war vollkommen erschöpft, hatte er doch die letzte Nacht bereits keinen Schlaf gefunden, er schrie förmlich danach sich endlich ausruhen zu dürfen, doch sein Kopf sah das anders. Gedanken schoben sich quälend langsam durch seinen Kopf, immer wieder dieselben Fragen und Ängste, als wäre er in einem endlosen Kreislauf gefangen. Welche Rolle werde ich in diesem Krieg spielen? Sollte ich auf Seiten des Königs, oder der Sucher stehen? Dieselben Fragen, die ihn schon die letzte Nacht wach gehalten hatten, doch heute kamen noch weitere hinzu. Was will Tealon von mir erfahren? Auf wessen Seite steht er, und welches Ziel verfolgt er damit? Langsam begann ihm zu dämmern, dass ihn das Vermächtnis seiner Mutter keine Wahl ließ. Er konnte sich nicht einfach gegen das von Phiala geführte Leben entscheiden und weiterleben wie zuvor. Zu viele Spieler waren daran beteiligt und zu viele Geheimnisse sind ihm noch verborgen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Wird Tealon mich verschonen, wenn ich ihm erzähle, was ich über die Sucher weiß, oder führt dies nur zu weiteren Strafen?

Wieder erklang ein reißendes Geräusch und dieses Mal war er sich sicher, dass er es sich nicht eingebildet hatte. Sylan riss die Augen auf und suchte in der rabenschwarzen Dunkelheit nach einem Hinweis auf die Herkunft. Sekundenlang sah er nichts, als plötzlich ein Lichtschein auftauchte. Viel zu schwach für eine Laterne war in seinem Rücken, außerhalb seines Sichtfensters, eine Lichtquelle entstanden. Der Mond. Es ist das Licht des Mondes! Jemand muss ein Loch in das Zelt geschnitten haben. Es raschelte leise, als eine Gestalt für einen kurzen Moment das Licht verdunkelte und dann in seinen Sichtbereich trat. Sie kniete sich vor ihn, um ihm leise zuzuflüstern: "Ich bin es, Einauge ... kannst du laufen?" Schwach versuchte Sylan zu antworten, doch mehr als ein Krächzen bekam er nicht heraus, seine Kehle war vollkommen ausgetrocknet. Der Sucher hielt ihm einen Wasserschlauch an die Lippen und Sylan begann zu trinken, wobei er die Hälfte der Flüssigkeit verschüttete. Ist er gekommen, um mich zu retten? Sylan konnte kaum glauben, was geschah, als er sich mit Hilfe Einauges aufsetzte. Von einem Tag auf den nächsten schien er nicht mehr der unwichtige Rekrut unter tausenden, sondern eine Person, für die sich sogar Waffenmeister und Sucher interessierten. Und das alles nur wegen des Amuletts, dass seine Mutter ihm geschenkt hatte.

Wieder einmal schwenkten seine Gedanken zurück zu seiner Mutter, zu den Unstimmigkeiten zwischen seinen Vorstellungen und wie er sie in Erinnerung hatte, und den Erzählungen Einauges, der ein ganz anderes Bild zeichnete. Doch der Sucher ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken und mit dessen Hilfe gelang es ihm sogar, sich auf den Beinen zu halten und nicht direkt wieder auf die Liege zurückzufallen. Angesichts der Schmerzen, die ihm dieser erste Schritt in Richtung Freiheit einbrachte, keuchte er auf. Einauge musterte ihn skeptisch, als schätze er ab, wie weit Sylan es schaffen würde, bis er vor Schmerzen umfiel und das Ergebnis schien ihn nicht zufriedenzustellen. Mit gerunzelter Stirn beugte er sich vor und seine Hand wanderte sachte über seinen Rücken. Die Folge war ein angenehm kühles Gefühl, welches sich schnell in seinem ganzen Oberkörper verteilte und den Schmerz aus seinem Körper vertrieb. Magie, wurde Sylan klar und er starrte Einauge nur mit großen Augen an. „Die meisten Sucher sind mehr oder weniger starke Magier", offenbarte ihm dieser und nickte dann mit dem Kopf in Richtung des Loches, welches er in die Rückseite des Zeltes geschnitten hatte: „Wir sollten uns beeilen, das Schlafmittel, welches ich den Wachen verabreicht habe, wird bald in seiner Wirkung nachlassen." Eine Schweißperle glänzte im Licht des Mondes auf der Stirn des Suchers, als Sylan wortlos seinen Anweisungen folgte, er schien nicht zu den stärksten Magiern der Gilde zu gehören, schätzte Sylan, ohne den blassesten Schimmer von Magie zu haben. Oder bin ich so schwer verletzt, dass die Milderung der Schmerzen selbst einen mächtigen Magier anstrengt?

Im Bann der DelaniWhere stories live. Discover now