Kapitel 32 - Konfrontation

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Jalia Bließmann

,,Magst du sie?!'', funkelte mich Christian aufgebracht an und durchbohrte mich förmlich mit seinem Blick. Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich antworten sollte.
,,Magst. Du. Sie?'', wiederholte er, nun jedes Wort einzeln betonend. Mist. Was sag' ich jetzt?
Die Wahrheit, dass ich mir nicht sicher war? Dass ich innerlich auf und ab gesprungen bin, als ich Linelle erkannt habe? Nein, wohl kaum. Das würde ihn nur verärgern. Zurecht... Mein Gewissen quälte mich außerdem schon genug, weil ich so etwas überhaupt dachte.
,,Wie kommst du denn darauf?! Natürlich nicht! Sie ist eine ehemalige Schülerin!'', erwiderte ich ähnlich emotional.
Herrje, was war ich nur für eine furchtbare Heuchlerin! Ich belog meinen eigenen Freund. Obwohl ich nicht wusste, ob ich Linelle wirklich mochte, wie er es nannte, war sie gewissermaßen nicht bloß eine ehemalige Schülerin. Sie sollte es sein, aber dafür hatte ich mich eindeutig zu sehr gefreut, sie wiederzusehen. Du bist so unfair, Jalia!, ermahnte  mich meine innere Stimme. Dennoch wich ich Christian gegenlenkend aus, in der Hoffnung, ihn, und irgendwie auch mich selbst, davon zu überzeugen, was ich sagte. Immerhin hatte ich Linelle seit einem halben Jahr nicht gesehen und kannte sie ohnehin kaum - was gut war. Genau aus diesem Grund konnte ich mir gar nicht erst die Frage stellen, ob ich sie mochte. Bei Weitem war das nicht mein eigener Verdienst.
Ich fand sie attraktiv, ja, denn - verdammt - das war sie. Vor Monaten ebenso wie heute. Aber mehr auch nicht. Nicht wahr? Erstrecht, weil ich mir nicht sicher war, darauf mit Nein antworten zu können, lag es absolut nicht in meinem Interesse, ihretwegen eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Ich hätte mich lediglich um Kopf und Kragen geredet.

Warum um Himmels Willen musste Linelle auch auf einmal wieder auftauchen? Ich hatte doch gar nicht mehr an sie gedacht. Das letzte halbe Jahr ohne sie war wunderbar geradlinig verlaufen und ich fühlte mich nicht dauernd in meinen Gedanken gefangen, die ich niemandem mitteilen durfte. Ich sah nicht ständig ihre blauen Augen vor mir oder stellte mir vor, wie es gewesen wäre, sie zu küssen. Trotz langer, stetiger Zweifel hatte ich versucht einzusehen, dass es am vernünftigsten war, mich auf meine Beziehung und mein reales, zukünftiges Leben zu besinnen. Dass ich offensichtlich geistig verwirrt sein musste, mir über solche Szenarien überhaupt Gedanken zu machen und dass es besser war, an dieser Stelle einen Cut zu setzen.
Kaum hatte ich das allerdings halbwegs hinbekommen, stolperte sie wieder in mein Leben. Sowohl in leibhaftiger Gestalt beim Spazieren, als auch in futuristischer, wenn ich an die ein oder andere Wendung beruflicher Neuigkeiten dachte. Ich war gerade erst mit meinem Referendariat fertig und freute mich, endlich in eine gewisse Selbständigkeit aufzubrechen, indem ich mir eine Schule suchte, die meine Fächer brauchte, als sich genau dieser Punkt etwas anders gestaltete, als ich erwartet hatte. Überraschend meldete sich nämlich tatsächlich das Gymnasium, an dem ich meine Lehrprobe absolviert hatte, zurück und bot mir ab dem neuen Schuljahr eine Stelle an. Natürlich freute ich mich, weil ich die Schule ohnehin sehr mochte, und nahm sie nach einigen Überlegungen an. Auch wenn ich wusste, dass Linelle Teil dieses Gymnasiums war, überwogen für mich eindeutig die Vorteile, die diese Stelle bot. Außerdem blieb mir nach dem Sommer lediglich noch ein einziges Jahr, das ich mit Linelle als eventuelle Schülerin überstehen musste, bevor das alles spätestens der Vergangenheit angehörte. In Anbetracht meiner Zukunft schätze ich das zu diesem Zeitpunkt als einen vergleichsweise guten Deal ein.
Chris hingegen war von meiner Entscheidung nicht sonderlich angetan, da er sich vorgestellt hatte, ich würde nach Abschluss meiner Ausbildung endlich mit nach Schweden kommen. Immer wieder hatte er davon gesprochen und sich bereits darauf gefreut. Das war zwar schön für ihn, nur stand für mich fest, dass ich nicht nach Schweden ziehen würde. Obwohl er das wusste, hoffte er, mich noch überzeugen zu können. Er recherchierte und informierte sich, um mir möglichst viele Sonnenseiten des Landes zu präsentieren und mich meine Pläne überdenken zu lassen, die ihn nie maßgeblich eingeschlossen hatten. Sei es die Wassernähe mancher Ecken oder die Landschaftsbeschaffenheit der Natur, er suchte allerhand Argumente, die für mich als Wald- und Wassermensch hätten stark wirken können. Seit er hier war, diskutierten wir kaum über etwas anderes, als über die Zukunft unserer Beziehung. Die Stimmung war also per se schon angespannt. Er wollte nicht einsehen, dass ich für ihn nicht mein Zuhause verließ. Schon gar nicht jetzt, wo so einige Themen noch in den Sternen standen. Dementsprechend wollte ich aber auch unbedingt ein hinzukommendes nervenraubendes Eifersuchtsdrama, weil Linelle auf die Schule ging, an der ich künftig arbeiten würde, verhindern. Vor allem angesichts der Tatsache, dass Chris zum Wochenende schon wieder abreiste, wollte ich den letzten Abend mit ihm nicht im Streit verbringen.

Das Wunder ihrer AugenWhere stories live. Discover now