Prolog

25 5 0
                                    

Die Flammen waren überall. Um mich herum erklangen die verzweifelten Schreie der Menschen, die ich so lange gekannt, die ich immer geliebt hatte. Instinktiv wusste ich, dass sie bald nicht mehr da sein würden.
Mit letzter Kraft stolperte ich durch die stickigen Flure ins Freie und blickte zurück auf das große, lodernde Haus, das bald eine Ruine sein würde.
Mein letzter Gedanke war, dass ich es nie wiedersehen würde, dann wurde mir schwarz vor Augen.

Das Mädchen mit dem feurig roten, kurzen Afro und den großen braunen Rehaugen blickte zu seinem Vater auf. Dessen dunkelrotes, schulterlanges Haar mit dem eingeflochtenen, von goldenen Ringen gehaltenen Zopf flatterte im Wind um sein, von vier Hörnern geschmücktes Gesicht. Seine länglichen, spitzen Ohren erinnerten das Mädchen an sich selbst. Und doch sahen sie sich kaum ähnlich, denn wo er helle, bräunliche Haut hatte, war bei ihr eine helle, grün-bläuliche. Eine weitere Gemeinsamkeit jedoch war die robuste, an einigen Stellen von Schuppen übersäte Haut.
Hinter ihm ragte, für sie so hoch wie ein Berg, ein Drache auf. Seine reinweißen Federn und die güldenen Schuppen glänzten im Licht der untergehenden Sonnen wie frisch gefallener Schnee und die Eisblauen Augen ruhten auf ihr.
Sie blinzelte. „Warum muss ich eigentlich lernen, einen Drachen zu reiten? ...Ich meine...ich kann doch auch selbst Fliegen!"
Er lachte nur. „Das wirst du schon noch begreifen." Dann hob er sie hoch und ließ sie erst wieder los, als sie sich auf dem breiten, von einem weichen Ledersattel bedeckten Rücken des Tiers befanden.
Beeindruckt blickte sie hinauf, bis zu den gewundenen, goldenen Hörnern.
„Sie ist wunderschön."

Das letzte, was ich von der wundersamen Szene sah und hörte waren ihre leuchtenden Gesichter und das ausgelassene Lachen des Vaters, als der Drache sich mit seinen kräftigen Schwingen in die Luft erhob.

Ich erwachte in einem dunklen Auto und machte unabsichtlich mit einem Husten auf mich aufmerksam. Eine sanfte Stimme sagte es wäre alles in Ordnung. Aber mir war bewusst, dass das nicht stimmen konnte. Nein, nichts war in Ordnung, meine Eltern verbrannten in dem Feuer, welches auch mein Zuhause und alle meine Freunde ausgelöscht hatte. Mir lief eine Träne über die Wange. Sie sollte nicht die Letzte sein. Ich kauerte mich auf dem Sitz zusammen.
Ein paar Augenblicke später, die ich damit verbrachte aus dem Fenster zu starren, kamen wir an. Wo? In einem Waisenhaus, das für die nächsten elf Jahre mein Zuhause sein sollte.
Eine ebenso hübsche wie freundliche junge Frau begleitete mich zu den großen Türen, an denen die Leiter des Heims wohl schon auf mich gewartet hatten. Sie erklärten mir irgendwelche Rieten und Regeln, aber eigentlich konnte ich nur an das Mädchen aus meinem Traum denken. War es überhaupt einer gewesen? Es kam mir so vor, als hätte ich den Wind in meinem zerzausten Afro spüren können. Als wäre ich es gewesen, die auf der wunderschönen Kreatur saß. Es hatte mich beruhigt. Es hatte es scheinen lassen, als wäre alles okay, als wäre nichts passiert. Und nicht einmal die ruhige Stimme der Frau konnte das bewirken.
Die Heimleiter brachten mich in einen Raum, der wirkte wie ein großer Schlafsaal. Das war er auch. Und außerdem mein Zimmer, naja, meins und das neun Anderer.

Der Kirschblütenbaum - Die vier SäulenWhere stories live. Discover now