Schmecken

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Der Fernseher lief, doch irgendwie rückte der Film, den wir uns ausgesucht haben, eher in den Hintergrund. Zumindest war es für mich so; Levi hatte seinen Blick auf den flackernden Bildschirm gerichtet, doch auch er schien abwesend. Seine Augen waren glasig, unfokussiert. Das war etwas, was mir immer passierte, wenn ich in Gedanken versunken war, also nahm ich an, dass er es auch war. Einen Moment lang blieben wir so: Levis Augen auf den Fernseher gerichtet, meine Augen auf ihn gerichtet. „Tam?“, brach seine Stimme heiser die Stille. „Hm?“, ich blickte kurz weg und dann wieder auf ihn, damit er nicht merkte, dass ich ihn angestarrt hatte. „Worum geht’s in dem Film überhaupt?“

Ein leises Kichern steig in mir auf und steigerte sich innerhalb weniger Sekunden zu einem lauten, bellenden Lachen. Er sah mich an, einen leicht belämmerten Ausdruck im Gesicht, während ich hilflos nach Luft schnappte. „Willst du mich verarschen? Wir gucken den jetzt schon eine verdammte Stunde!“ Er hob den Arm und kratzte sich im Nacken. „Ich hab nicht wirklich aufgepasst“, sagte er. Sein Shirt rutschte hoch und legte einen Streifen nackter Haut und Boxershorts frei, und plötzlich war es gar nicht mehr so lustig. Sein unterer Bauch war flach und weiß und ein kleiner Pfad dunkler Haare verlief in Richtung seines Bauchnabels. Ich riss meinen Blick davon weg, als ich merkte, dass ich glotzte, und versuchte, mich auf sein Gesicht zu konzentrieren. Seine Augenbrauen waren leicht zusammengekniffen und er blickte mich mit in einer Art an, die ich nur als Unsicherheit deuten konnte. Es wollte so gar nicht zu ihm passen, jedenfalls nicht zu dem Levi, den ich vor den Anderen gesehen hatte: Laut, selbstbewusst, beliebt und sarkastisch. Dieser hier sah verlegen und irgendwie bittend aus, als hätte ich etwas, was er brauchte. Ich lächelte leicht. „Weißt du was? Ich auch nicht“, gab ich zu und er erwiderte mein Lächeln. Dann beugte er sich vor und seine Lippen berührten meine.

Er schmeckte nach Gummibärchen und Rauch und Hunger. Woran ich den Hunger festmachte, wusste ich nicht und ich wusste auch nicht, wonach er hungerte. Doch er wurde deutlich in der Art, wie er küsste; als ob er etwas suchte, was er brauchte wie die Luft zum Atmen. Er schmeckte nach dem Wind vor einem Gewitter und nach Abenteuer, und ich wusste, dass ich diesen Geschmack nie für ein letztes Mal auf meinen Lippen haben wollte, sondern immer wieder, immer mehr, immer mehr.

Sie schmeckte nach Sommernächten und Schokolade und Glück. Ich versuchte, es irgendwie aufzunehmen, dieses Glück, dass sie ausstrahlte, es mein zu machen, sodass sie es immer wieder bei mir finden könnte. Doch als sie lächelte, in unseren Kuss hineinlächelte, wurde mir klar, dass sie genau wusste, wie sie ihr Glück beschützen konnte und dass sie selbst ihr Glück war. Sie schmeckte wild und frei, wie eine Naturgewalt, und das Glück war wie ein Grundinstinkt für sie. Mir wurde klar, dass ich sie unbedingt halten wollte; sei es, um sie wieder und wieder zu schmecken, oder sei es, damit sie mich ein kleines bisschen an ihrem Glück teilhaben lassen würde.

Mit allen SinnenWhere stories live. Discover now