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Whitebeard war gerade aufgestanden und ließ sich leidlich vom Schiffsarzt untersuchen. Während der Quacksalber an ihm herumdokterte, genehmigte er sich den ersten Sake des Tages. Gierig kippte er den hochprozentigen Reiswein in sich hinein und erntete einen tadelnden Blick vom Arzt.
„Was?!“, grunzte der Alte hervor und nahm die Flasche vom Mund. Nur zu gut konnte er sich denken, was ihm der kleine Möchtegerndoktor sagen wollte, auch wenn es ihn nicht wirklich interessierte. Whitebeard war bedeutend länger auf der Welt als der kleine Kurpfuscher neben ihm und konnte tun und lassen was er wollte.
„Vater, meint Ihr nicht auch, dass es unratsam ist den Tag mit Alkohol zu beginnen?“, bemerkte der Arzt trocken und legte seinem Kapitän die Infusionsnadel, „Es ist schwer Sie wieder gesund zu bekommen, wenn Sie sich jedes mal aufs Neue selbst schwächen.“
„Alkohol, mein Kind, ist die beste Medizin von allen.“
„Ja, gerade weil es sich gut mit den Antibiotika verträgt, die ich Ihnen gebe!“, hustete der Doktor missbilligend und schob die Nadel in die voluminöse Armvene des Kapitäns, „Ich denke Missy würde Ihnen das Gleiche sagen.“
„Ah ja, Missy!“, gurgelte der Alte und soff weiter, „Wie macht sie sich?“
„Sehr gut, sie lernt schnell und ist begabt auf dem Gebiet der Körperheilkunde.“, lächelte der Mediziner, „Ich denke sie wird eine wunderbare Schiffsärztin.“
Lächelnd nickte Whitebeard und sah nachdenklich in die Flasche. Vor ein paar Jahren hattest du den Wunsch geäußert beim Schiffsarzt in die Lehre gehen zu dürfen, vor allem, weil dir der schwindende Gesundheitszustand deines Vaters Bedenken aufgab. Erst war Whitebeard dagegen gewesen, hatte er extra dafür ein paar Krankenschwestern angeheuert. Zugegeben, es war die schöne Aussicht die ihn gereizt hatte, nicht das Können besagter Damen. Aber als du ihn mit diesem Blick angesehen hattest, konnte er einfach nicht ablehnen. Dieser Blick, er liebte ihn so sehr! Still, missfällig und fordernd. Genauso hatte deine Mutter ihn immer angesehen, wenn sie von ihm verlangte seinen Stolz über Bord zu werfen und klein bei zu geben. Es war dieser Blick gewesen, der ihn hatte schmelzen lassen, der ihn in ihre Arme getrieben hatte. Du sahst ihr so ähnlich...

Deine Mutter war schön gewesen und leidenschaftlich, ja! Whitebeard hatte sie gewollt, begehrt und hätte, nur auf ihren Wunsch hin, die Welt in Schutt und Asche gelegt. Er war berauscht von ihr. Deine Mutter war wie ein Sog, ein wilder Sturm, der sich spielend mit seiner Dominanz messen konnte. Nicht zuletzt deswegen hatte sie ihn spielend um den Finger wickeln können. Du warst nicht anders. Es gab kaum etwas, was er dir ausschlagen konnte. Eigentlich nichts, wenn er ehrlich war…
Nach dem Tod deiner Mutter hatte er dich mit auf das Schiff genommen. Wo hätte er dich auch lassen sollen? Der Alte hatte keine Angehörigen und denen deiner Mutter traute er nicht über den Weg. Für einen Newgate war der sicherste Ort immer noch das Meer, welches nach Rogers Tod ruhig geworden war. Hätte er dich auf dem Festland gelassen, so wäre deine Herkunft schneller ans Tageslicht gelangt, als wie ihm lieb gewesen wäre. Hier auf der Moby Dick konnte er über dich wachen und dich aufwachsen sehen. Eine Gelegenheit, die wenigen Piraten vergönnt war, denn die meisten Räuber der Meere sahen ihre Kinder aller paar Jahre. Im ungünstigsten Fall wussten sie nicht einmal, dass sie welche hatten. Es stellte kein Problem dar dich an Bord großzuziehen. Keiner legte sich freiwillig mit der Crew von Whitebeard an und wer es tat, fand sich umgehend auf dem Grund des Meeres wieder.
Ja, Whitebeard war Vater mit Leib und Seele, auch wenn er versuchte keine Ausnahme zwischen dir und der Crew zu machen. Er nannte seine Mannschaft nicht umsonst seine Kinder. Es machte sie einfach glücklich, genauso wie es ihn glücklich machte von allen „Vater“ genannt zu werden. Das Streben nach ein bisschen Nähe und zwischenmenschlicher Wärme war auch unter Piraten kein unbekanntes Ding. In der Tat waren Sehnsucht und Träume der Grund, warum sich viele für die Piraterie entschieden hatten. Leider ging viel von der jugendlichen Illusion über die Jahre durch harte Kämpfe, Hunger und mühevoller Plackerei verloren. Wohl dem, der noch träumen konnte… es waren nicht mehr viel.

„Vater?“, rief Marco von Draußen und zog den Vorhang des Zeltes beiseite, ließ das helle Strahlen des Küste in das abgedunkelte Zelt wallen, „Guten Morgen!“
Geblendet kniff der Alte die Augen zusammen und gab ein tiefes Grunzen von sich. Herr Gott, dieser Junge! Konnte ein alter Mann nicht mal in Ruhe seinen Sake genießen?! Sein erster Kommandant hatte ihn fast zu Tode erschreckt.
Der Strand war warm und roch angenehm nach Tang, war erfüllt vom Lachen und Reden der Mannschaft, die sich behaglich sonnten, oder einfach das taten, was sie am Abend zuvor begonnen hatten. Trinken. Oh je, es würde Tage dauern, bis seine Kinder wieder einigermaßen tauglich waren, doch der Alte gönnte es ihnen, war er immerhin sehr stolz auf ihre geleistete Arbeit auf hoher See.
„Es ist bereits Mittag, Junge! Ich bin nicht senil!“, knurrte Whitebeard und winkte den jungen Kommandant verdrossen zu sich. Mit der anderen Hand, in der er noch den Sake hielt, forderte er den Schiffsarzt, der gerade die Tropfgeschwindigkeit der Infusion einstellte, auf aus dem Zelt zu verschwinden.  

Zügig trat Marco näher und stellte eine Kiste mit Sake ab. Verwundert schaute Whitebeard die Beschriftung auf dem Holz an und hob eine Augenbraue.
„Ja, ich weiß, eh.“, grinste Marco und vergrub die Hände in den Taschen, schabte verlegen mit seinen Sandalen auf dem Sandboden herum, „Der alten Kiste ist etwas zugestoßen, wenn man so sagen will.“
„Was denn?“
„Fragt nicht, eh.“, brummte Marco und eine kleine Schweißperle lief ihm dabei die Stirn entlang, „Jozu war so frei und hat für Ersatz gesorgt.“
„Na ja, dann…“, lächelte Whitebeard und öffnete die Kiste mit einem einzigen festen Griff seiner starken Hände. Es war nicht der Sake, den er sich vor ein paar Wochen hatte zukommen lassen. Er hatte gutes Geld dafür hingelegt und auch wenn es ihn ärgerte, dass der alten Kiste etwas „zugestoßen“ war, wie auch immer das aussehen mochte, freute er sich sehr über das kleine Ersatzgeschenk seiner Söhne. Es war eine nette Geste die angebrochene Flasche beiseite zu stellen und eine frische zu öffnen. Mit dem Blick eines Kenners roch der alte am Flaschenhals und setzte schließlich zu einem großen Zug an, kritisch beäugt von seinem ersten Stellvertreter. „Hm, nicht schlecht.“, stieß Whitebeard durch geschlossene Lippen auf.

Er hatte gelogen.

Der Sake war grauenhaft (!!), zumindest befand seine empfindliche Zunge so. Aber das erleichterte Lächeln auf Marcos ebenmäßigem Gesicht war diese kleine Heuchelei wert. Der alte Kapitän sah an der Flasche vorbei auf seinen ersten Kommandant, der verlegen auf seinen Füßen auf und ab wippte. Warum verzog sich der Knabe nicht endlich? Der Sake war furchtbar und so lange Marco dastand wollte Whitebeard das Gesöff nicht ausspucken. Aus purer Freundlichkeit trank er gequält weiter. Tränen traten in seine Augen, sein Hals brannte. Buah, wer auch immer diesen Sake gebraut haben mochte, musste wohl ein Verbrechen an der Menschheit geplant haben!
„Gibt es sonst noch etwas?“, fragte Whitebeard, setzte die Flasche ab und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, „Du siehst aus, als hättest du etwas auf dem Herzen, mein Sohn.“
„Nun… na ja…,“druckste Marco herum, „Wir haben auf dem Rückweg etwas gesehen, dass…“ Der Blondschopf wusste nicht, wie er das ganze in Worte packen sollte, ohne dem Alten einen Herzinfarkt zu verpassen…

Leuchtkäferlicht  Verbotene Liebe  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt