Und aus Regen ward' Schnee (Teil 1)

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HÖRBUCH: 

https://www.youtube.com/watch?v=TWS2V-vb4QU

Weiß wie Gustavs Zähne war der Schnee, der vom Himmel fiel – außer an den Stellen, an denen sich Hunde oder andere Tiere den Schnee zu eigen machten; dort entsprach die Farbe den Zähnen von Pastor Peter, der es einfach nicht lassen konnte, die Produktion von Kindersüßigkeiten zu unterstützen, in dem er sie nicht etwa an Kinder verschenkte, sondern diese selbst verzerrte, weshalb man Peters Predigten immer besonders lauschen musste, da er meist mit fast geschlossenem Mund sprach, damit seine Zähne nicht sichtbar wurden und die Gruppe, die zu den gelangweilten Kirchenbesuchern gehörten, nichts zum Lachen hatte. Fiele es Peter nur auf, dass beim Singen nicht jeder Kirchenbesucher in das Gotteslob blickte...

Kehren wir aber wieder zu den weißen Zähnen zurück...

Gustav stieg mit seinem Vater die verschneiten Treppenstufen empor, die zu dem leicht erhöhten Friedhof führten. Sie mussten sich am Geländer festhalten, damit sie nicht ausrutschen konnten. Oben angekommen liefen sie zwischen den Gräbern entlang, die von einer dicken Schneedecke bedeckt waren, als würde es den Toten frösteln.

Vor einem Grab blieben sie stehen und blickten auf dieses hinab. Zwar wares auch mit Schnee bedeckt, aber die Inschrift auf dem Grabstein konnte man dennoch entziffern: Herbert Wirbel, 12.06.1895 - 13.07.1976 – Möge es im Himmel viele Fichten geben.

Unter der Inschrift stand: Hilde Wirbel, geboren Reb, 11.12.1894 –10.10.1974 – Die ewige Ruhe hast du Dir redlich verdient.

Nach einer Schweigeminute fragte der Vater leise: „Möchtest du die Kerze für deine Großeltern anzünden?"

„Ja, gerne", antwortete Gustav, ließ eine rote Kerze entflammen und stellte sie auf das Grab. Sie erleuchtete den glänzenden Schnee, was Gustav sehr gefiel.

„Ich hoffe, im Himmel ist er nicht alleine", murmelte Gustav vor sich hin.

Der Vater setzte ein spöttisches Lächeln auf und antwortete: „Schau dir doch mal den Friedhof an! Sag mir, wie viele Gräber du siehst. Und dann multipliziere die Anzahl aller Friedhöfe auf Erden damit. Ich stelle mir oft die Frage, ob es da oben wirklich so toll ist, wie viele meinen. Überfüllt wie das Freibad im Sommer ist der Himmel bestimmt doch auch.

Gustav kicherte daraufhin leise vor sich hin und wollte noch ergänzen, dass er hoffe, sein Opa ist im Himmel in guter Gesellschaft, da er auf Erden eher ein Einzelgänger gewesen ist, doch dazu kam er nicht mehr. Ihm blieb nämlich der Mund offen stehen, als er ein paar Grabreihen entfernt ein hübsches Mädchen mit glatten, blonden Haaren entdeckte. Nein, die Haare waren gold! Ihr Aussehen glich einem Engel und obwohl Gustav nicht viel von ihr sehen konnte, war er von ihrem Antlitz sehr fasziniert. Eingekleidet in einem weichen, braunen Mantel stand sie neben einer älteren Dame. Ob das Mädchen auch um ihren Großvater trauerte?

Plötzlich drehte sie sich um und blickte Gustav tief in die Augen. Rasch schaute er zur Seite, als hätte ihr Blick seine Augen verbrannt. Daraufhin begann das Mädchen zu grinsen, weshalb die alte Frau neben ihr auf sie aufmerksam wurde und nun ebenfalls in Gustavs Richtung starrte. Die Frau murmelte dem Mädchen etwas zu und sie gingen auf Gustav und seinen Vater zu, während das Herz des Jungen wild zu pochen anfing, als wollte es jemand fangen.

„Na Friedrich! Ganz schön verschneit unser Örtchen Seulenach, gell?"

Gustavs Vater drehte sich zur Seite und sagte lächelnd: „Ach Bärbel! Schön dich zu sehen!"

„Das kann ich dir nur zurückgeben!", sagte sie beglückt.

„Und das ist bestimmt deine Enkeltochter, oder?", fügte Friedrich noch hinzu.

Und aus Regen ward' Schnee (Teil 1)Where stories live. Discover now