Und aus Regen ward Schnee (Teil 2)

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Eine lange, in tiefer Trauer ertrunkene Schlange aus schwarzen Regenschirmen bewegte sich auf die durch den Regen, der auf den matschigen Schnee prasselte, rutschig gewordene Friedhofstreppe zu und versuchte gegen die Glätte zu kämpfen. Nachdem die Messdiener die vereisten Treppen bewältigt haben, versuchte Pastor Peter sein Bestes, doch er rutschte aus, fiel auf die Knie und stieß versehentlich seinen Hintermann, den Urnenträger, an, was wiederum dafür sorgte, dass die verbrannte Bärbel hinab fiel, jedoch glücklicherweise in ihrem verschlossenen Gehäuse blieb. Einige Trauergäste, die nicht allzu betrübt daher blickten, hievten Pastor Peter wieder hoch, während dieser vor Anstrengung seinen Mund öffnete und seine großen, gelben Zähne zusammendrückend entblößte, was es seinen Helfern umso anstrengender machte, da diese kurz vor einem Lachkrampf standen. Nachdem es alle Trauernden geschafft haben, sprach Pastor Peter einige tröstenden Worte, fasste sich aber aufgrund der gegenwärtigen Wetterlage kurz, segnete die Urne und stieg anschließend als erster die Treppen wieder hinab, damit es nicht so auffiel, falls er wieder ausrutschen sollte, was ihm zum Glück aber erspart blieb.

Nachdem sich alle von Bärbel ein letztes Mal verabschiedet hatten, traf man sich in der Goldenen Ente zum Leichenschmaus. In diesem Gasthof hatte Bärbel während des Zweiten Weltkrieges einen Teilzeitjob absolviert, weshalb sich die Mitarbeiter der Goldenen Ente dazu entschlossenen haben, dass zu diesem Anlass alles aufs Haus ginge. Dies ist dem Sohn von Bärbels ehemaligem Küchenchef zu verdanken, der von seinem Vater allzu oft eingetrichtert bekam, dass Bärbel eine der wenigen Kellnerinnen gewesen ist, der nie etwas zu Bruch ging und bei der es kaum Schwierigkeiten gab. Dies wurde auch besonders in dessen Rede hervorgehoben.

Des Weiteren sprach der Sohn des ehemaligen Küchenchefs: 

„Ein Leben ohne uns're Bärbel 

Ist wie eine Welt aus Nebel;

Die Ferne wirkt so ungewiss

Nun gibt sie uns'rem Herz 'nen Riss

Letzte Woch' aß sie noch hier

Ein alter Mann, der aß mit ihr

Der Tisch bleibt nun für immer leer

Wir haben keine Bärbel mehr."


Die meisten waren froh, als die schreckliche Rede beendet war, da man beim Leichenschmaus gewöhnlich wieder auf andere und heitere Gedanken kommen sollte. Das Leben ging schließlich weiter, so wie ein Fluss auch hinter einem Staudamm noch stets weiterfließt.

Gustav und Linda wechselten nur wenige und unbedeutende Worte miteinander. Sie befand sich noch in tiefer Trauer und großem Schock, während er sich Selbstvorwürfe gab, dass er der Schuldträger an Bärbels Tod ist. Schließlich kam von Gustav die Idee mit dem Schlitten und wäre er nicht Hals über Kopf in Linda verliebt gewesen, hätte sie ihn nicht auf den mit Schnee bedeckten Hügel begleitet und unter Umständen ihre Großmutter vom Tod befreien können. Die meisten gingen davon aus, dass Bärbel an Altersschwäche während ihres Mittagsschlafes starb, allerdings schenkte Gustav dieser These keinen großen Glauben, denn er vermutete, dass es sich um einen Unfall, einen Herzinfarkt oder dergleichen handeln musste.

Nachdem der Streuselkuchen verzehrt worden war und sich die Trauergäste voneinander verabschiedet haben, fragte Gustav Linda: „Darf ich dich mal in der Stadt besuchen?"

Ein langes Schweigen folgte und schließlich antwortete sie schniefend: „Ach Gustav, das ist lieb gemeint, aber ich glaube, ich brauche jetzt erstmal meine Ruhe."

Und mit diesen Worten verließ sie mit ihrer Familie das kleine Dörfchen Seulenach. Gustav lief alleine nach Hause. Seine Eltern waren stark erkältet und konnten deswegen erst gar nicht bei der Beerdigung erscheinen.

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⏰ Last updated: Dec 10, 2019 ⏰

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Und aus Regen ward' Schnee (Teil 1)Where stories live. Discover now