Heute

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»Ich habe übrigens herausgefunden –mein Mondzeichen ist Krebs. Mondzeichen sind ja das, was man ganztief innen ist, und der Aszendent ist, wie man sich präsentiert.«Das Mädchen hat eine hektische Art, zu sprechen, und ihre Bewegungenpassen sich dem an. Ihr dunkelblonder Zopf schwingt beim Laufen hinund her, während sie von links nach rechts schaut, als müsste siemit jeder Person aus der Gruppe um sie herum Blickkontakt halten.

Die Tatsache, dass ich verstehe, wovonsie redet, stimmt mich unzufrieden. Ich muss aufhören, mir dieseZodiac-Posts auf Instagram anzusehen, ganz egal, wie sehr michinteressiert, welches Gebäck zu welchem Sternzeichen passt, oderwelches Paar Schuhe ich entsprechend meines Geburtsmonats tragensollte.

»Der Mond kommt vom Vater und dieSonne von der Mutter, glaube ich«, wirft jemand anderes ein. »Oderandersrum.« Einer der Jungs zieht nickend an seiner Zigarette, alswürde irgendetwas in diesem Gespräch Sinn ergeben.

» Also, jedenfalls«, fährt dasMädchen ausladend gestikulierend fort, »ich bin ja Schütze, alsobin ich selbstbewusst und so, aber tief im Inneren bin ich einemotionaler Krebs!«

»Das glaube ich dir sofort!« EineFreundin neben ihr legt lachend den Arm um das Mädchen, und dieintime Geste bestätigt mir, dass ich völlig fehl am Platz in dieserGruppe bin.

»Ich bin Jungfrau!«, wirft Fiona ein.Zumindest sie kenne ich namentlich, wir haben mal eine Gruppenarbeitzusammen gemacht.

Ich bin Steinbock, aber das merkt ihrsicherlich bereits an meinem professionellen Schweigen.

Die anderen – es sind insgesamt vierMädchen und drei Jungs – lachen abermals, und ich frage mich,woher manche Menschen die Energie nehmen, das Uni-Leben zu führen,das man direkt in einer Broschüre festhalten könnte.

Ich bin, unglücklicher Weise, inmittender Gruppe, es läuft aber niemand direkt neben mir. Sophie – einMädchen, das so freundlich und offen ist, dass sogar ich zu ihremBekanntenkreis zu gehören scheine, und durch die ich überhaupt indiese Gruppensituation geraten bin – läuft weiter vorne. Es istvon irgendeiner Party die Rede, und die Feststellung, dass sie allesogar außerhalb der Uni miteinander Zeit verbringen, lässt mich einwenig neidisch werden. Jemand anderes an meiner Stelle würde sichdavon möglicher Weise nicht einschüchtern lassen, sondern würdesich mit einer Selbstverständlichkeit in das Gespräch einbringen,vielleicht sogar fragen, ob man sich dem Ganzen anschließen dürfte.Unter den richtigen Umständen wäre ich vielleicht sogar diesePerson – doch heute fehlt mir die Energie. Und um ehrlich zu sein,auch die Lust.

Als ich – endlich – in meine Bahnsteige, schaut zumindest Sophie kurz auf, um sich zu verabschieden,bevor sie sich wieder ihrem Gespräch widmet. Die Türen schließensich. Wie bei einem Ballon, dem die Luft entweicht, fällt dieAnspannung von mir ab. Ich würde laut durchatmen, will aber nichtdie Person sein, die in der Straßenbahn vor sich hin seufzt. Heutegibt es keinen Durchbruch, kein Erfolgserlebnis, keine neuenBekanntschaften. Doch das ist in Ordnung.

ZeitlupeWhere stories live. Discover now