57.Kapitel- the black book

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Zayn und ich saßen allein auf dem großen weichen Bett. Der Regel prasselte leise gegen das geschlossene Fenster. Niemand sonst befand sich in unserem Hotelzimmer, wir waren völlig ungestört. Meine Finger strichen behutsam über den rauen Einband aus schwarzem Leder. Das Notizbuch hatte etwas düsteres und verborgenes an sich. Es war abgenutzt, die Ecken abgeplatzt, sodass die darunterliegende graue Pappschicht zum Vorschein kam. Durch den gebrochenen Buchrücken hatte der Welzer an Elastizität gewonnen. In der Mitte stach das eingeritzte Gangzeichen hervor. Ein großes M umschlossen von einer hauchdünnen Kreislinie in goldener Farbe. Nicht zu übersehen auf dem schwarzen Untergrund. Ich konnte kaum glauben, was ich in den Händen hielt. Es mochte so unscheinbar aussehen, doch hatte einen so hohen Wert, dass dafür getötet wurde. Ich hoffte wirklich, dass niemand mit einer Pistole in der Hand um die Ecke kam und mich erschoss, weil ich im Besitz ihres Eigentums war, Mindless Eigentum.

Vorsichtig schlug ich die erste Seite auf und fand einen zu hart mit Kugelschreiber aufgedrückten Schriftzug. Die Hand, die diesen Text verfasst hatte, musste in Eile oder Aufruhe gewesen sein, als sie die Zeilen auf das Papier niederschrieb. Wenn ich wütend war, schrieb ich in meinem Rausch auch immer meine Gedanken auf. Oftmals so energisch und kraftvoll, dass die Spitze des Stiftes, das Papier zerriss. Angstrengt versuchte ich den schwerleslichen Buchstabensalat zu entziffern.

  Schwarzes Buch, Auflage 1, 2008,
Agieren und Handeln nach dem Kodex Abstatz 5,
Im Notfall ist dieses Buch an den ersten Mann und Anführer weiterzuleiten

Zayn beobachtete das Geschehen über meine Schulter hinweg und räusperte sich.

"Wer ist der erste Mann?" fragte ich und sah hinter mich in sein ausrucksloses Gesicht. "Trevor?"

Er nickte bestätigend.

"Ich wusste gar nicht, dass es so etwas wie einen Kodex gibt."

"Doch, wenn man in die Gang eintritt, muss man den Kodex lernen, in- und auswenig. Du musst ihn im Schlaf können."

"Und was besagt Absatz 5?"

"Mitglieder behandeln alle Informationen streng vertraulich. Niemanden außerhalb des Mitgliedszirkels ist es gestattet in die Angaben und Angelegenheiten der Vereinigung eingeweiht zu werden, andernfalls drohen schwere Konsequenzen, des Absatzes 11." Es klang, wie die Zeilen eines stupide auswendig gelernten Gedichts. Zayn hatte wahrscheinlich den kompletten Kodex flüssig und immer abrufbereit drauf. Wie lange er daran wohl gelernt hatte?

Ich hob eine Augenbraue. "Abstatz 11?"

"Bei unangemessenem Verhalten, oder Nichtberücksichtigung der Vorschriften, sind Konsequenzen für den Verantwortlichen zu tragen. Diese werden vom ersten Mann entschieden. Dazu zählen Prügel, tödliche und riskante Aufträge, Massakrierung, Folter sowie der Rausschmiss aus der Gang und der darauf folgende Tod."

Ich verzog meine Gesicht zu einer erschütterten Mine. Ich dachte damals, dass die Konsequenzen in der Schule schon hoch waren. Zum Beispiel als ich aus Wut, meiner Lehrerin einen Apfel gegen Kopf warf. Mann war die sauer gewesen und hatte mich sofort zum Direktor ins Büro geschliffen. Stundenlanges Nachsitzen und Extraaufgaben waren sehr unerfreulich gewesen. "Das klingt aber nicht sehr tolerant. Aber was kann man auch anderes erwarten."

Zayn gab ein verächtliches Schnauben von sich. "Das letzte um was sich Gangmitglieder kümmern ist Toleranz. Solche Wörter existieren bei denen gar nicht."

Ich blätterte weiter. Jede Seite war versehen mit Namen und zugehörigen Adressen, alles mit Hand geschrieben. Seite für Seite, Blatt für Blatt. Es war eine saubere und ordentliche Schrift, für die eines Mannes. Ob es so etwas wie einen Schreiberling oder Buchhalter gab? Ich konfrontierte Zayn mit meiner Frage.

"Sozusagen." Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine vollen Lippen. "Der unfähigste von allen wurde wegen mangelden Fähigkeiten für die Dealerjobs dazu verdonnert, den Schreiber zu spielen. Dabei stellte sich heraus: er hatte die schönste Schrift von uns allen. Somit wurde das sein 'richtiger' Job." Er schüttelte belustigt mit dem Kopf. "Er war so strohdumm, für nichts zu gebrauchen."

Kichernd wandte ich mich wieder den Aufzeichnungen zu. Alles war ein einziges Wirr-Warr aus Kontakten. Wie das alte Adressbuch meiner Mutter. Da waren so viele Kontakte drin verzeichnet gewesen, dass ich eine gefühlte Ewigkeit nach der gesuchten Telefonnummer kramte.

"Lass mich raten, was ihr den Kunden liefert oder sie euch, steht hier nicht drinne, falls es in falsche Hände gelangt und dann als Beweis gegen sie verwendet werden kann, richtig?"

"Richtig. Allerdings bringt es ihnen kaum etwas, so wie in unserer Situation jetzt, wenn sie bei der Polizei sowieso schon vorgemerkt sind. Die wissen was für Schlitzohren Mindless sind."

"Und jetzt nutzen wir das ganze als Beweis für ihre Verbechen."

"Ja , jetzt kommt es uns zugute."

Ich schlug die nächste Seite um. Der erste bekannte Name, der mir in in die Augen stach, war Ricky. Ricky Banderas. Erst vor ein paar Wochen beim Autounfall in Las Vegas gestorben. Der Unfall, den Zayn nur knapp überlebt hatte und ich alles aus den getönten Scheiben des Escalades mitansehen musste. Festgehalten von Mindless. Ein Augenblick an den ich mich nur ungern erinnerte.

Unter seinem Namen standen weitere Personen, die den Nachnamen 'Banderas' trugen und anscheinend zu seiner Familie gehörten. Dazu Adressen, die nach Los Angeles und Mexico zurückzuführen waren. Auf der anderen Hälfte der Doppelseite fand ich Kians Namen. Bei ihm genau dasselbe Prinzip, Namen und Adressen von Angehörigen.

"Sind das Namen von Kians Freunden und Verwandten?"

Zayn antwortete mit einem zögerlichen "Ja".

"Und die sind dazu da, um die Gangmitglieder zu bestechen. Sowas in der Art wie-" Ich setzte ein böses Gesicht auf und sprach mit tiefer Stimme."'Wenn du das nicht tust wird deine geliebte Familie bald nicht mehr am Leben sein."

"Da liegst du goldrichtig." erklärte er und stütze sich mit den Händen auf der Decke ab. "Wenn einem Mitglied gedroht wird um zum Beispiel einen Job auszuführen, kann man in dieses Buch gucken und die Personen finden die ihm wichtig sind, um ihn mit denen zu erpressen."

Ich schluckte. "Dir haben sie bestimmt auch schon gedroht oder?"

"Die ganze Zeit." Seine Augen starrten auf einen leeren Raum vor sich. "Sie wollten meine Mutter töten, wenn ich nicht das getan hätte, was sie sagten." Seine Stimme brach ab.

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. So eine Situation war für mich kaum vorstellbar. Zayn setzte fort. "Es war der einzige Grund, weshalb ich in die Gang kam und bleiben musste." Er schluckte schwer. "Ich wollte nicht, dass ihr etwas passiert. Sie hatten mir schon meine Schwester genommen."

Ich blinzelte die Tränen in meinen Augen weg, die sich in den Winkeln gesammelt hatten. Zayns Leid bedrückte mich unendlich. Er hatte sowetwas nicht verdient.

"Wie dem auch sei," beschwichtigte er. "Kommen wir wieder zu den in diesem Moment wichtigen Dingen. Wir suchen nach Hinweisen."

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. "okay."

Roadtrip with MalikWhere stories live. Discover now