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„Am Ende müssen wir alle irgendwann und irgendwie sterben." Das waren die letzten Worte, die mein Vater an mich und meine Mutter richtete, bevor er in den Krieg zog. Ich hörte noch wie er die Tür langsam hinter sich zu machte und wie die schweren Stiefel dumpf auf der Steintreppe ertönten. Aus dem Fenster blickte ich ihm nach, bis er in einer düsteren Aschewolke verschwand. Eine Träne kullerte mir über die Wange während ich immer noch regungslos vor dem Fenster stand, aus lauter Hoffnung er würde zurückkommen.

Meine Mutter näherte sich langsam dem Fenster und legte ihre Hand auf meine Schulter. „Wir werden ihn nie wieder sehen oder?" Sie antwortete nicht und begann zu weinen. Ich wendete mich vom Fenster ab und sah ein ungewöhnliches Bild vor mir. Da sass sie am Boden, den Kopf in die Hände gestützt und laut schluchzend. So kannte ich meine Mutter nicht, denn eigentlich war sie eine recht emotionslose Frau, welche nur in Ruhe gelassen werden wollte.

Ein lautes Grollen ertönte und einzelne Soldaten rannten die Strasse, welche nur noch aus Schutt und Asche bestand entlang. Berlin würde nicht mehr lange sicher sein, da war ich mir sicher. Ich blickte zu meiner Mutter, welche immer noch auf dem kalten Steinboden hockte und sich die Seele aus dem Leib weinte.

„Mutter wir müssen von hier weg, das wird sonst unser Ende." Sie blickte mich aus ihren kalten blauen Augen an und nahm meine Hand. „Mein Kind, es ist zu spät. Wir werden hier in Berlin, in unserem Haus unser Ende gemeinsam finden." Das konnte sie nicht gerade ernst gemeint haben. Ich zog meine Hand aus ihrem festen Griff und verschwand mit wütenden Schritten so schnell ich konnte in meinem Zimmer.

Mein Zimmer konnte man nicht wirklich als Zimmer bezeichnen, es war eher eine grössere Abstellkammer mit einem kleinen Fenster das einen Ausblick auf die verstaubte und dunkle Strasse bot. In einer Ecke stand ein altes Bett, was nächstens auseinander viel, da die Holzlatten schon sehr alt und die Nägel sehr rostig waren.

Auf dem Bett fand man eine alte Decke, welche meine Grossmutter mir aus Schafwolle gestrickt hatte und ein kleines Plüschreh, welches mir mein Vater von einer seiner vielen Geschäftsreisen mit nach Hause brachte, denn er wusste genau dass ich fasziniert war von allen Tieren des Waldes, aber vor allem vom Reh. Dann hatte ich in der anderen Ecke noch eine alte Kommode in welcher ich meine wenigen Kleider aufbewahrte. Mehr hatte ich nicht in diesem Raum, aber es hätte auch nicht mehr hinein gepasst.

Ich fand unter dem Bett einen Alten grünen Rucksack, welcher einmal vor unserer Tür auf der Strasse lag. Er musste von einem Soldat gewesen sein, denn im Nacken war er mit den Initialen J.K angeschrieben. Ich suchte alles zusammen was mir als wichtig erschien um überleben zu können. Zwei Pullover und eine Hose waren das einzige was meine Kommode hergab und eine Mütze welche noch en meinem Bett hing. Ich schmiss alles in den grünen Rucksack und schmiss ihn mir über die Schulter. Ich drehte mich um und ging zur Türe, wo mich das Gefühl dass ich etwas vergessen hatte quälte.

Als ich mich nochmals zu meinem Zimmer drehte viel mein Blick auf das alte Plüschreh. Es war das einzige, was mir von meinem Vater noch geblieben ist. Ich ging mit schweren Schritten nochmals zu meinem Bett und hob das Reh auf. Meine Augen füllten sich mit Tränen und kullerten schwer über meine Wangen. Mit langsamen Bewegungen strich ich über die Lederstrippen des grünen Rucksacks und öffnete ihn um das Reh einzupacken.

Ich blickte mich nochmals um und atmete noch ein letztes Mal die schlechte und doch so vertraute Luft aus meinem Zimmer ein und schloss dann die Türe hinter mir zu. Mit schweren Schritten ging ich zur Haustüre und streifte mir die dickste Jacke welche ich finden konnte über, quetschte mich in die alten Stiefel, welche schon mit Löchern übersät waren und fand noch einen grossen Wanderstock, welcher einmal meinem Grossvater gehörte.

Die Türe knackste laut als ich sie öffnete. Meine Knöchel schmerzten jetzt schon nach den ersten Schritten, da mir die Stiefel viel zu klein waren. Ich schloss die Türe und ging die Steintreppe, welche zu unserem Haus führte hinunter. Nach den ersten Schritten auf der von Asche und Staub überhäuften Strasse drehte ich mich nochmals um und blickte zum Haus. Ich sah die doch so gewohnte Tür, die schiefen Fenster und die alte Steintreppe, alles gehörte zu diesem Haus, dem Ort an dem ich meine Kindheit verbringen durfte. Eine Träne kullerte mir über die Wange und landete vor mir auf der staubigen Strasse. Das war die letzte Möglichkeit nochmals umzudrehen und mit meiner Mutter das Ende hier an diesem Vertrauten Ort zu finden, Aber wollte ich das wirklich? „Will ich Anna Fischer, wirklich mein Ende mit meiner ach so rücksichtslosen Mutter finden?" Schoss es mir durch den Kopf.

Ich schüttelte meinen Kopf und ging die Strasse entlang. Von meiner Mutter hatte ich mich nicht verabschiedet, denn ich glaube das hätte sie nicht verkraftet und sie konnte mich nicht von meinem Vorhaben abhalten. Links und rechts rannten gestresste Soldaten an mir vorbei und keiner blickte mich an. In Ihren Gesichtern sah ich Angst und Schrecken. Ihre Augen schienen tot zu sein und schienen sich mit ihrem Schicksal schon abgefunden zu haben. Ich fühlte mich durchsichtig und doch sehr entschlossen. Meinen Vater konnte ich nicht mehr retten, das war mir bewusst, aber ich wollte wenigstens mich selbst aus Berlin raus bringen um vielleicht eine kleine Chance um zu überleben zu haben.

Es rannte ein Soldat nach dem anderen an mir vorbei, bis plötzlich ein sehr junger, ich schätze ihn etwa gleich alt wie mich ein, also circa 16 Jahre in mich hineinrannte. „Was machst du hier draussen? Bist du wahnsinnig? Möchtest du dich etwa umbringen? Du könntest jeden Moment von einer Bombe erschlagen werden!" Er nahm mich bei der Hand und zog mich in die düstere Aschewolke hinein.

Ich kannte ihn nicht und vertraute ich ihm hier gerade mein Leben an. In der Aschewolke verlor ich meine komplette Orientierung, ich wusste nicht mehr wo hinten und wo vorne war. Er rannte zielbewusst immer vorwärts, bis wir in einer dunklen Gasse landeten. Ich versuchte ein wenig zu verschnaufen, doch er zog mich schon wieder weiter. Es kam mir langsam ein wenig seltsam vor. Die Strassen waren leer, es waren keine Soldaten mehr zu sehen und auch die Häuser waren leergeräumt oder schon ihn Trümmer zerfallen. Die Aschewolke wurde langsam wieder ein wenig weniger und ich konnte mich neu orientieren.

Wir befanden uns nicht mehr in Berlin, sondern in Pichelsberg, ein kleines Dorf welches gerade neben Berlin lag. Hier war ich oft mit meinem Vater um meine Grossmutter zu besuchen, bevor sie vor zwei Jahren leider starb. Ich war schockiert als ich all die doch so bekannten Häuser in ihren Trümmern sah. Alles aber auch wirklich alles war zerstört. Der kleine Laden oder das gemütliche Café an der Strassenecke, alles wahr zerstört.

Ich sah wie mein Vater und ich früher immer in den kleinen Laden gingen um für meine Grossmutter einzukaufen und wir dann immer mit zwei riesen Tüten aus dem Laden stolperten und ich immer eine Zimtschnecke in der Hand hielt, wie Vater immer fast umfiel, weil er über die zwei Tüten jeweils fast nicht mehr sah wohin er eigentlich tritt. Tolle Erinnerungen und nun stand ich hier vor dem Geschäft von welchem genau noch das Gestell mit Backwaren dort stand. Es blieb mir aber keine Zeit um dem Laden nachzutrauern, denn der junge Soldat zog mich weiter die Strasse entlang.

SchutzpatronWhere stories live. Discover now