Der Schmetterling im Seidenkokon

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Unter den wachsamen Blicken mehrerer bewaffneter SEK-Beamten warteten Professor von Rosenberg, Peter und Susanne im Wohnzimmer. „Aber meine sehr verehrten Herren!" Der Professor, in einen seidenen Pyjama gekleidet, machte einen zögerlichen Schritt auf den Einsatzleiter zu. „Das ist alles ein ganz schreckliches Missverständnis..." Der Polizist unterbrach ihn „Ich bin sicher, wir werden die Angelegenheit bald klären können. Aber bis dahin bleiben Sie wo Sie sind, Herr- ähm, Blumenhügel" „Professor von Rosenberg! Ich möchte doch sehr bitten." Mit empörtem Gesichtsausdruck, der nicht ganz zu der schildkrötenähnlichen Kopfform des Professors passen wollte, wie Peter fand, ließ dieser sich auf das abgewetzte Ledersofa sinken. Susannes vorsichtiges Räuspern unterbrach die drückende Stille „Könnten Sie uns nicht wenigstens verraten, um was es sich bei dem mutmaßlich gefährlichen Gegenstand handelt?" Die Polizisten wandten ihr den Blick zu. „Völlig ausgeschlossen, junge Dame. Dies ist ein Fall mit großer Bedeutung für die nationale Sicherheit." Der Einsatzleiter schüttelte gewichtig den Kopf. „Tatsächlich? Und das in meinem Haus, ach herrje!" Die durch runde Brillengläser ohnehin schon vergrößerten Augen des Professors weiteten sich erstaunt, wodurch die Ähnlichkeit zur Schildkröte Peters Meinung nach teilweise der Assoziation einer Stubenfliege wich.
Auf einmal ertönte ein dumpfes Poltern, das aus dem Keller zu stammen schien, und alle im Raum zusammenzucken ließ. Einen Moment später erhielt der leitende Beamte offenbar einen Funkspruch. Er lauschte aufmerksam und gab eine knappe Antwort. „Verstanden. Bleibt, wo ihr seid. Wir befragen die Verdächtigen zu der Sache." Er drehte sich zu Lukas, Susanne und Professor von Rosenberg um. Sein Blick glich dem eines hungrigen Wolfes, der kurz davor ist, sich auf sein Opfer zu stürzen. „So." sagte er. „Meine Kollegen haben ein verdächtiges Objekt in Ihrem Keller sichergestellt, Herr Professor. Was haben Sie dazu zu sagen?" „Ich- ich weiß noch nicht einmal, wovon Sie überhaupt reden" stotterte von Rosenberg verdutzt. „Ach nein?" Der Polizist baute sich drohend vor dem alten Mann auf. „Ich rede von der Truhe."
Einen Moment lang war es absolut still im Raum. Lukas und Susanne blickten den Professor fragend an. Dann durchzuckte Peter eine Erinnerung und er fing an zu lachen. Die Polizisten und Susanne blickten ihn nur verständnislos an. Das Unverständnis wich zunehmend einem Anflug von Empörung. „Würden Sie sich bitte beherrschen? Der Ernst der Lage scheint Ihnen überhaupt nicht klar zu sein." Der Einsatzleiter musterte nun wieder eindringlich den Professor. Auch bei dem fiel endlich der Groschen und er stimmte in Peters Gelächter ein. Die Tatsache, dass der Professor dabei deutlich hörbar grunzte, ließ in Peters Kopf das Bild eines Nilpferdes erscheinen.
Die Wangen des Polizisten verfärbten sich zunehmend rot und er tat sein Bestes, um die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen, indem er das anhaltende Gelächter zu übertönen versuchte. „Haben Sie in der Truhe eine neuartige Waffentechnologie versteckt?" Peter und der Professor verstummten schlagartig.
„Waffe? Ich?" wiederholte der Professor erstaunt. „Aber wir reden doch hier von der großen Truhe aus massivem Eichenholz, die ich von meinem Großvater geerbt habe, nicht wahr?" Die Polizisten nickten ebenso stumm wie monoton. „Nun," fuhr von Rosenberg fort, „dann handelt es sich bei deren Inhalt um etwas zweifellos ganz und gar Ungefährliches." Während Susanne und die Polizisten den alten Mann entweder fragend oder misstrauisch ansahen, musste Peter all seine Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht wieder lauthals loszuprusten.
„Aha?" Der Einsatzleiter machte noch einen Schritt auf das Sofa zu. „Und was befindet sich ihrer Meinung nach in der Truhe?" „Unter anderem Blätter der Morus alba, die Grundlage meiner zukünftigen Seidenraupenzucht!" verkündete der Professor stolz. „Wie bitte?" Der Agent schien kein Wort zu verstehen. Susanne hingegen schien eher entsetzt als verblüfft zu sein. „Du willst kleine Baby-Schmetterlinge ermorden? Wie kannst du nur!?" „Aber um Himmels Willen, nicht doch!" Von Rosenberg hob beschwichtigend die Hände, wobei ihm die ballonartigen Ärmel des Seidennachthemdes beinahe bis zu den Schultern rutschten. „Mein Ziel ist es doch gar nicht, Seide herzustellen! Ich möchte lediglich diese faszinierenden Tiere beobachten..." Susanne schüttelte entschieden den Kopf. „Du bist verrückt. Hier herrschen weder die notwendigen klimatischen Verhältnisse, noch...und überhaupt. Wie kommt man auf so eine Idee? Das ist einfach absurd!"
Die junge Frau war inzwischen vom Sofa aufgesprungen und musterte den Professor als wäre dieser eine besonders unansehnliche, widerwärtige Raupe. „Und du?" schwungvoll wandte Susanne sich Peter zu. „Wusstest du etwa von seinen Plänen?" „Nun...ja." Er räusperte sich umständlich. „Ich dachte, es wäre gut für ihn, wenn er eine neue Aufgabe hätte. Du weißt schon, jetzt, wo er im Ruhestand ist..." Peter fühlte sich, als wäre er auf die Größe eines Fingerhutes zusammengeschrumpft. Susannes Augen schienen Funken zu sprühen. „Ja, sicher", erwiderte sie schnippisch. „Aber warum kann er nicht einfach Unkraut jäten oder Briefmarken sammeln?" „Also, etwas derartiges würde meinem intellektuellen Anspruch wohl kaum gerecht werden!" Nun beteiligte sich auch der Professor an der hitzigen Diskussion. Susanne wollte gerade zu einer Erläuterung über die nicht evidente Notwendigkeit von moralisch bedenklichen Freizeitbeschäftigungen ansetzten und zudem ihren Unmut über den Import von chinesischen Pflanzen und Tieren angesichts des dort wütenden Corona-Virus zum Ausdruck bringen, als der Einsatzleiter sie unterbrach.
Die Polizisten hatten die Debatte bisher wie ein Tennisspiel gebannt beobachtet. „Aufhören!" rief er „Das reicht jetzt. Wir werden den Inhalt der Truhe fachgerecht überprüfen lassen. Wir haben in unserer Zentrale Mittel und Wege, das Objekt zu öffnen." „Mittel und Wege" echote der Professor. „Mit ihrem Bolzenschneider werden Sie mir sicher das schöne Schloss ruinieren. Ich kann die Truhe auch einfach aufschließen." „Kommt nicht infrage. Sie bleiben von der Truhe weg."
Der Agent lauschte einem weiteren Funkspruch und brachte seine Kollegen auf den neusten Stand. Dann ließ er sich von dem Professor in Begleitung von fünf weiteren Polizisten zum Versteck des Schlüssels führen. Anschließend machte sich die Gruppe auf den Weg in den Keller. Als Susanne im Treppenhaus aus dem Fenster blickte, fiel ihr in dem Haus gegenüber ein Mann auf, der hämisch grinsend in einen Bademantel gekleidet am offenen Fenster stand. Sie stupste von Rosenberg an. „Sag mal, kennst du den dort?" Der Professor folgte Susannes Blick. „Ja, das ist Siggi. Ein alter Freund von mir. Leitet eine kleine Textilfirma am Stadtrand." „Interessant." Susanne runzelte die Stirn. „Er ist nicht zufällig auf Seide spezialisiert?" „Doch, genau so ist es! Ihm habe ich deshalb den Plan mit der Seidenraupenzucht erzählt, aber er wirkte daraufhin sehr zerknirscht. Seine Firma läuft nicht gut, wisst ihr..."
Sie waren mittlerweile im Keller angelangt und standen schon bald vor der massiven Holztruhe. Zwei Agenten platzierten den Professor in ihrer Mitte und fixierten seine Arme. Der Einsatzleiter schritt mit dem Schlüssel in der Hand zielsicher auf die Truhe zu. Das Einsatzteam hielt kollektiv die Luft an, als der Schlüssel sich im Schloss drehte. Vorsichtig wurde der Deckel angehoben. Blätter. Viele Blätter. Die ganze Truhe war gefüllt mit grünen, leicht gezackten Laubblättern. Die Schultern des Polizisten sackten herunter. Er seufzte resigniert. „Wo ist der Botanikexperte?" fragte er. Seine Stimme war leiser geworden, als hätte man die Spannung aus seinen Stimmbändern genommen. Einer der Polizisten trat vor und bestätigte, dass es sich um Blätter der weißen Maulbeere handelte. „Nun. Also..." Der Einsatzleiter schniefte kurz. „War wohl ein Fehlalarm. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten."
Er zögerte kurz. „Wissen Sie, schon seit ich ein kleiner Junge war, wollte ich immer mal etwas richtig Gefährliches sichern. Etwas Großes, worüber in der Presse berichtet wird. Aber ich kriege immer nur die kleinen Sachen. Stundenlang belanglose Telefonate abhören, Papierkram und so. Ich dachte, das hier wäre meine Chance. Laubblätter, und noch nicht einmal Raupen. Also wirklich." Er senkte den Blick.
„Aber das stimmt doch gar nicht", warf Susanne ein „möglicherweise haben Sie durch Ihren Einsatz den Ausbruch einer Seuche in Europa verhindert, wer weiß? Wenn der Professor in ein paar Wochen die Lieferung mit den Raupen aus China bekommen hätte, würde durchaus ein gewisses Infektionsrisiko bestehen." Die Miene des Einsatzleiters hellte sich etwas auf. „Wirklich?" Peter, Susanne und von Rosenberg nickten synchron. „Wir könnten auch der Presse einen Tipp geben, dass sie diese Katastrophe verhindert haben", fügte Peter hinzu. „Das wäre...großartig." Der Polizist gewann allmählich seine Fassung wieder zurück. „Wir wünschen Ihnen allen, ähm, noch einen schönen Tag", verabschiedete er sich von den dreien. „Gute Arbeit, Team. Wir sind hier fertig." Der Professor geleitete die Polizisten noch nach draußen.
„Tja." Susanne zerrieb ein Blatt der Morus alba zwischen zwei Fingern. „Ich denke, wir sollten dem Professor ein anderes Hobby suchen. Etwas ruhiges, friedliches. Ein bisschen Entspannung wird ihm guttun. „Wie bitte?" erklang da die Stimme des Professors vom oberen Treppenabsatz. Leise vor sich hin summend, einer Hummel nicht unähnlich, fand Peter, bog er um die Ecke. „Das war ein wundervoll aufregendes Erlebnis! Ich sollte dringend noch einige Abenteuer erleben, das weiß ich jetzt." Äußerst zufrieden dreinblickend breitete er seine Arme aus, als wollte er zum Flug ansetzen. Dabei hatte er durchaus entfernte Ähnlichkeit mit einem, wenn auch nicht besonders filigranen, Schmetterling, dachte Peter und nahm sich vor, dringend mit den Tier-Vergleichen aufzuhören. Er und Susanne tauschten einen langen Blick. „Ja, sicher", erwiderte Peter grinsend „Aber bitte ohne ein Sondereinsatzkommando." „Und ohne Raupen" ergänzte Susanne.

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⏰ Last updated: Feb 18, 2020 ⏰

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