Sage Snowdrop | Kapitel 25

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Immer noch der Meinung, dass dies alles eine schlechte Idee sei, saß ich mittlerweile in einem Baum, nahe des Camps von Vetchs Gruppe. 
Gerade wurde wieder die Hymne von Panem gespielt und danach die Gesichter der Toten gezeigt. Ich musste nicht aufsehen, da ich schon wusste wer seit der letzten Verkündung gestorben war. 
In der Nacht, das Mädchen aus Distrikt Sieben, welches sich den Bogen geholt hatte.
Valerian hatte mir, nachdem die fünf Tribute in der Nacht zuvor, außer Hörweite, schnell erklärt, was wir als erstes tun würden. Ihnen folgen und herausfinden, wo sie ihr Camp aufschlagen würden.
Also waren wir ihnen in der Nacht hinter her geschlichen, immer weit genug entfernt, dass sie uns nicht sehen und hören konnten. Auch wenn dies übertrieben vorsichtig gewesen war, da die anderen so laut mit einander gesprochen hatten, dass sie uns wahrscheinlich nicht einmal bemerkt hätten, wenn wir nur wenige Meter hinter ihnen gegangen wären. Sie hielten in der Nähe zu den Bergen, wo die Bäume sich etwas lichteten. Valerian hatte Recht gehabt mit ihrer Vermutung, dass sie nicht nur rasten würden, sondern einen Platz suchen, wo sie länger bleiben können und immer wieder zurück kehren konnten. 
Mit all den Sachen, die sie aus dem Füllhorn erbeutet hatten, konnten sie sich ein gemütliches Lager errichten, bevor sie sich schlafen legten. Zwar waren sie unachtsam, stellten aber trotzdem eine Wache auf. Mein Bruder schien die erste zu sein. 
Valerian und ich zogen uns wieder in unsere eigene Höhle zurück, wo sie mir den Plan erklärte. Wir hatten ausgemacht, dass wir warten würden, bis die Gruppe auf jagt nach anderen Tributen gehen würde. Wir waren uns sicher, dass zumindest Vetch dies tun wollte und die anderen schienen alle seine kleinen Lakaien zu sein. Wenn sie weg waren, wollte Valerian alles für eine Feuerschneise vorbereiten, die ich an verschiedenen Stellen anzünden würde, da ich mich schneller in diesen Dschungel bewegen konnte als sie. Dadurch mussten die anderen in die Richtung fliehen, in die wir sie drängten. Meine Verbündete, würde dann von der anderen Seite, den Bogen aus dem Lager holen und verschwinden, damit der Rest verbrennen konnte, und sie in einer ähnlichen Lage waren, wie alle anderen Tribute. Sie waren zwar immer noch die größte Gruppierung, aber wenn wir Glück hatten, und wir erfolgreich waren, würde die dadurch entstehende Spannung dazu führen, dass zumindest die Tribute aus Distrikt Eins auf einander losgingen.
Noch vor dem Morgengrauen, waren wir also zurück zu ihren Camp geschlichen und warteten darauf, dass die Jagd begann. Valerian sollte wieder Recht behalten und ich war erstaunt über die Menschenkenntnis von ihr. Während ich die letzten Tage damit verbracht hatte über mein Leben und was ich alles verloren hatte zu grübeln, schien sie alle Tribute studiert zu haben. Ohne große Worte, hatte das Mädchen daraufhin geschwind mit ihrer Arbeit begonnen, während ich Wache hielt. Wir waren fertig, bevor die Kanone überhaupt erklang. Wir hatten uns angeschaut und gelächelt.
"Das wird ein Spaß.", hatte Valerian prophezeit, bevor sie mich noch einmal drückte. "Und jetzt heißt es warten, bis es dunkel wird und sie es sich im Lager bequem machen." Ich hatte ihr noch einmal kurz zugenickt, bevor sie in ihrer Richtung verschwand und ich auf einen nahegelegenen Baum geklettert war. Genaustens kontrollierte ich, dass man mich nicht irgendwie sehen konnte und versuchte es mir bequem zu machen. 
Dort saß ich nun, mittlerweile in der Dunkelheit, meine Augen auf das Camp gerichtet, nicht mehr so sicher, ob dies so ein großer Spaß werden würde. Die Stunden waren nur langsam verstrichen und jeder Muskel in meinem Körper schmerzte oder war taub. Ich hoffte nur, dass ich es schaffen würde, schnell genug von dem Feuer jeweils selber wegzukommen. Valerian hatte mir zwar gezeigt von welcher Seite ich ran gehen musste und in welche Richtung ich rennen musste, aber bei ihrer Aussage, dass das Feuer unter Kontrolle bleiben würde, war ich mir dann doch nicht so sicher.
Wieder verlangte mein rechter Fuß, dass ich mich umsetzte. Innerlich fluchend, versuchte ich dabei keine Geräusche zu machen. 
Es war noch einfacher gewesen, als die Gruppe von Vetch noch unterwegs gewesen war. Ein zweites Mal war am Tag die Kanone zu hören gewesen und ich wusste, dass sie es waren, bevor sie überhaupt prahlerisch zurück in ihr Camp gekommen waren. Als wenn dies nicht schon schlimm genug gewesen wäre, mussten sie im Lager auch noch mal jedes Detail ihrer zwei Morde durchgehen. Mir war dabei regelrecht schlecht geworden und das einzige, was mich davon abhalten konnte, nicht einfach mein nicht vorhandenes Frühstück wieder hochzubringen, war das ebenfalls angeekelte Gesicht meines Bruders. Er war vielleicht bei ihnen, und hatte zumindest zum Tod des ersten Tributes heute mit bei getragen, aber das hieß anscheinend nicht, dass er es mochte.
Ich schaute zum Himmel auf, als gerade die Nummer 12-02-16 aufleuchtete, und das Gesicht des Jungen aus Distrikt Zwölf eingeblendet wurde. Das zweite Opfer der mordlustigen Truppe knapp unter mir. Auch wenn ich das erste Bild nicht gesehen hatte, wusste ich, dank ausführlicher Erzählung, dass es das Mädchen aus Distrikt Neun gewesen war. 
Es war erst der zweite Tag und schon waren es nur noch die Gruppe da unten, Valerian, Canola, Bamboo und die Jungen aus Distrikt Sieben und Neun. Wenn es so weiterging, würden sie bald jagt auf uns machen.
Zumindest für den heutigen Tag schienen sie zufrieden, denn sie jubelten aus, als die Musik verklang. Ich fing an diese Gruppe wirklich zu hassen. Es schien ihnen Spaß zu machen, die anderen zu töten. Die Frage war nur, ob es ihnen immer noch Spaß machen würde, wenn sie anfangen mussten, sie gegenseitig zu töten. Als sie wieder anfingen über belanglose Dinge zu reden und schlechte Witze zu erzählen, wäre ich am liebsten von meinem Baum gesprungen und hätte jeden einzeln von ihnen erwürgt. 
Erst gefühlte Stunden später, legte das Mädchen aus Distrikt Vier den Bogen ab und lehnte ihn gegen einen der Bäume, in ihrer Nähe. Während die weiblichen Tribute und Kale sich schlafen legten, redeten Vetch und der Junge aus Distrikt Eins, noch ein wenig weiter.
Das war der perfekte Moment.
Ich konnte regelrecht spüren wie Valerian, von ihrem Versteck aus, auf meinen Baum starrte und wahrscheinlich am liebsten laut los gebrüllt hätte.
So wie ich es oft in meinen Heimatdistrikt gemacht hatte, lies ich mich vom Baum fallen und rollte mich geräuschlos ab. Mit dem Messer in der rechten Hand, lief ich zu der ersten Stelle und entfachte das Feuer. Es würde wenige Sekunden dauern, bevor die anderen es bemerkten würden, wodurch ich genug Zeit hatte um noch zwei andere Stellen anzuzünden und somit sicher zu stellen, dass sie nicht in diese Richtung kommen würden. Ich versicherte mich, das nichts ausging und weiter Feuer fing, bevor ich mich auf den Weg zur nächsten Stelle machte, die etwas weiter weg war. Hinter mir hörte ich, wie Äste in dem Feuer knackten und musste mir ein Schauern unterdrücken. 
Denk jetzt nicht darüber nach, ermahnte ich mich und lief weiter. 
Endlich hörte ich auch die Gruppe.
Vetch und der andere Junge hatten das sich schnell ausbreitende Feuer bemerkt und hatten den Rest ihrer Gruppe alarmiert. Ich hörte eines der Mädchen ängstlich aufschreien und Vetch Befehle brüllen, in welche Richtung sie rennen sollten.
Adrenalin schoss durch meine Adern und ich war sogar noch schneller an meiner nächsten Stelle, um sie anzuzünden, als ich mir je erträumt hätte. Mein Teil des Planes war getan und ich zog mich in Richtung unseres Treffpunktes zurück um mich dort zu verstecken. 
Das Feuer erleuchtete den ganzen Wald. Rauch stieg in meine Nase und ich hatte das ungute Gefühl, dass irgendetwas schief lief. Ich drehte mich in Richtung der Flammen. Ich kannte mich nicht mit Feuer legen aus, aber ich war mir sicher, dass es nicht so nah an unseren Treffpunkt heranreichen sollte und auch immer näher auf mich zu kam.
Verdammt.
Irgendetwas war hier ganz und gar nicht richtig.
Der Rauch nahm mir mittlerweile komplett die Sicht und ich konnte mich nur an der Hitze orientieren, von welcher Seite, dass Feuer näher kam.
Fluchend verdrängte ich die Bilder, die sich in meinen Kopf schlichen und kämpfte darum Ruhe zu bewahren. Wo blieb Valerian? Sie sollte längst hier sein!
Ein Schmerzensschrei und ein darauf folgender Kanonenknall erschreckte mich zu tiefst. Mein rationales Denken setzte aus und wurde vom reinen Überlebensinstinkt übernommen. Meine Beine bewegten sich fast wie von alleine. Es war fast ein Wunder, wie lange ich es schaffte, durch den dichten Rauch zu laufen, ohne zu stürzen. Aber alles Glück hat einmal ein Ende und ich stürzte hart zu Boden, wobei meine Wunde am Arm wieder aufriss und mich daran erinnerte, dass ich mich immer noch nicht um sie gekümmert hatte.
Ich blieb kurz liegen und versuchte, die etwas sauberer Luft hier unten einzuatmen. Mein Atem kam in rasselnden Stößen, die sich alles andere als gut anhörten. Aus Erfahrung wusste ich, dass man auch leicht an einer Rauchvergiftung sterben konnte. Viel schien davon nicht mehr in meinen Lungen zu fehlen. Ich sah wieder die Menschen vor mir, die nach dem Bombenangriff zwar noch gelebt haben, aber an ihrer Vergiftung oder ihren Verbrennungen elende zu Grunde gegangen waren, ohne dass einer von uns etwas hätte dagegen tun könnten. So wollte ich nicht sterben. So wollte ich nicht, das Peeta mich sterben sah. Mehr durch Willenskraft, also durch wirkliche Muskelbetätigung, drückte ich mich vom Boden ab und schaffte es auf Händen und Füßen zu knien. 
Okay, ein Schritt nach dem anderen. Ich musste hochkommen und Valerian finden. Auch wenn der Schrei vorhin mich erschreckt hatte, war er eindeutig männlich gewesen. Sicher nicht meine Verbündete. Weitere Kanonen waren noch nicht gefallen, also lebte sie noch. Ich hatte versprochen sie zu beschützen und ich würde dieses Versprechen versuchen zu halten, auch wenn ich gerade wohl selber keine große Hilfe war. Bei meinem Glück würde ich aber wahrscheinlich erst in einen der Anderen rennen, als in Valerian. 
Kichernd kämpfte ich mich weiter nach oben und fing an weiter vom Feuer, welches mittlerweile anscheinend langsamer voran kam oder sich eine andere Schneise gesucht hatte, wegzulaufen, sicher, dass ich mittlerweile durchgedreht war oder dass die ersten Anzeichen einer Vergiftung waren. Ich taumelte eine Weile, bis der Rauch sich endlich löste und ich wieder frische Luft atmen konnte, auch wenn meine Lungen bei jedem Atemzug protestierten. Auf meine Knie herabsinkend, schaute ich mich um und versuchte mir ein Bild zu machen, wo ich war, als hinter mir, aus dem Rauch ein Schatten immer größer wurde.
Ich versuchte ganz still zu halten und hielt mein Messer fester, bereit zu zustoßen, wenn derjenige mich sah und feindlich gesinnt war. 
Gerade als ich den Mut gefunden hatte, los zuspringen, wurde die Gestalt von dem Rauch freigegeben und vor mir stand Valerian. Wir starrten uns beide gegenseitig an, nicht sicher, ob wir vielleicht einen Geist sahen.
"Valerian?", krächzte ich und hätte das Wort am liebsten sofort zurück genommen, so schmerzte es zu sprechen. Russverschmutzt grinste sie mich an und schaute auf ihre Hände, die sie krampfhaft um Bogen und Köcher geschlungen hatte. Als wenn sie erst in dem Moment festgestellt hätte, dass sie die Dinge wirklich hatte schaute sie mich an und sagte: "Ich hab deinen Bogen."
Ich lächelte zurück. Wir hatten es geschafft.
"Du hast es geschafft!", erklärte ich strahlend zu Valerian, doch die legte nur ihren Kopf schräg, als wäre sie ein verwirrtes Tier.
Mein Lächeln verschwand. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Gerade als ich meine Verbündete fragen wollte, was los war, kippte sie einfach zur Seite weg.
Irgendwie schaffte ich es, trotz meiner Erschöpfung, sie aufzufangen, bevor sie auf den Boden aufschlug. Verwirrt wie ich war, bemerkte ich erst beim zweiten Blick, was der Grund für ihr seltsames Verhalten war. 
Ein Messer steckte in ihren Rücken. Besser gesagt, das Messer, welches ich am Vortag n och auf das Mädchen aus Distrikt Eins geworfen hatte.
Valerian griff nach meiner Hand und ich schaute auf sie herab. Tränen standen in ihren Augen als sie flüsterte: "Entschuldige. Irgendwie ist das Feuer außer Kontrolle geraten."
"Schon gut.", gab ich leise zurück und spürte, wie sich auch in meinen Augen die Tränen sammelten.
"Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.", stellte sie fest und ich wusste nicht ob sie von unserem Plan oder ihren Tod redete. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, nahm ich ihre Hand fester in die Meine.
Sie schloss die Augen und kuschelte ihren Kopf noch etwas mehr in meinen Schoß.
"Danke, dass du dein Versprechen hältst und ich nicht alleine sterben muss.", flüsterte sie leise, bevor sie ein letztes Mal ausatmete.
Ich starrte eine Weile auf sie. Wartete darauf, dass ihre Brust sich noch einmal hob und senkte. Das ihr Körper, dass natürlichste der Welt tat.
Als die Kanone ertönte, fühlte es sich an, als wäre auch ich gerade gestorben.

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