Kapitel 1

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"Rose, hören Sie mir zu?" fragte mein Rektor. "Klar höre ich Ihnen zu, Herr May", sagte ich gelangweilt. Natürlich höre ich ihm nicht zu. Es war die gleiche langweilige Ansprache wie fast jedes Jahr. "Sie könnten echt was aus sich machen. Ich weiß, Ihre Lebensbedingungen sind nicht optimal, aber auch andere Personen aus diesen Verhältnissen haben es geschafft, sich ein gutes Leben aufzubauen." Er redete weiter, während mein Blick zum Fenster glitt. Was weiß er schon von meinen Lebensbedingungen?? Aber ich sagte nichts. Noch eine Verweisung von der Schule wegen schlechtem Verhalten konnte ich mir echt nicht leisten. "Rose, hören Sie mir zu?" fragte mein Rektor erneut. "Klar, Herr May", erwiderte ich und schaute weg vom Fenster in sein Gesicht. Herr May, ein älterer Mann mit grauen Haaren und einem leichtem, auch grauen Bart schaute mich resigniert an. Wenige Sekunden lang schauten wir uns nur in die Augen, bis er seufzte. Es war ein Ich-will-doch-nur-Ihr-Bestes-Seufzer und ich wusste, das das Gespräch fast vorbei war. "Ich versuche Ihnen wirklich nur zu helfen. Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie diese Hilfe annehmen oder nicht,"erläuterte Herr May und sah mich dabei eindringlich an. Ich nickte. Erneut seufzte er. "Sie können gehen." Bei diesen Worten verwies er mit seiner Hand auf die Tür, welche aus seinem Büro in meine Freiheit führte. "Und Rose?" kam es von hinten, als ich kurz davor war, das Büro zu verlassen, "bitte nehmen Sie sich meine Worte zu Herzen." "Geht klar", erwiderte ich und verlies das Büro. Hinter mir schlug ich die Tür zu. "Und, wie viele Tage darfst du wegbleiben?" Ich schaute zur Seite. Neben der Bürotür wartete bereits mein bester Freund auf mich. Jack. "Gar keine. Er meinte, ich könnte mir mal mehr Mühe geben", antworte ich ihm. "Komisch. Das hat er mir noch nie erzählt." Nachdenklich schaute er in die Gegend, während wir auf dem Weg aus der Schule raus waren. "Vielleicht weil du aktuell zum 3.Mal die 11.Klasse wiederholst?!" erwiderte ich ironisch und bekam dafür einen bösen Blick von Jack. Diesen ignorierte ich, hielt ihm aber dafür die Ausgangstür unserer Schule auf. " "Wie nett", gab er von sich. Entgegen der Aussage wirkte der Ton nicht besonders nett. Ich ignorierte Jacks schlechte Laune und verlies gemeinsam mit ihm die Schule. Wir gingen beide auf die Karl-Marx-Gesamtschule (fiktiv) in Berlin, hatten uns aber schon in der Grundschule kennengelernt. Auf unserer aktuellen Schule gab es alle Formen der typischen Schüler-Stereotypen. Die Sportler, die Nerds, die Normalen, die Perfekten und die Bad Boys. Letztes zeichnete sich durch Piercings, Tattoos, Lederjacken und Motorrädern aus. Außerdem ihre Gewaltbereitschaft und ihre Neigungen zu kriminellen Aktivitäten. Und zu genau dieser Gruppe gehöre ich. Das war bei Jack und mir nicht besonders schwer zu erkennen. Beide trugen wir schwarze Lederjacken und mehrere Tattoos waren auf unserern Körpernverteilt. Allerdings hatte ich im Gegensatz zu Jack keine Tattoos im Gesicht und auch keine Piercings. Meine langen, braunen Haare fielen mir ins Gesicht als ich in meiner Tasche nach meinen Zigaretten suchte. Ich fand sie, zog die Packung aus meiner Tasche und steckte mir eine Zigarette in den Mund. Ohne zu fragen nahm Jack mir die Packung aus der Hand und schnorrte sich selbst auch eine. "Kannst du behalten", murrte ich. War eh nur noch eine Zigartte drin. Wir hatten das andere Ende des Schulhofes erreicht und gesellten uns zu unserer Gruppe. Meine Freunde begrüßte ich mit den Worten: "Hat jemand Feuer?" Mein Feuerzeug war irgendwo in den Untiefen meiner Tasche verschwunden und ich wusste, das jeder hier ein Feuerzeug immer griffbereit hatte. "Hier, Babe." Mein Freund reichte mir sein Feuerzeug, mit dem ich sofort meine Zigarette anzündete. Ich nahm einen tiefen Zug und merkte, wie ich mich entspannte. Rauchen war meine Entspannungstherapie. "Wie wars beim May?"fragte mein Freund Eric und legte seinen Arm um mich. "Uninteressant. Hat nur geredet", erwiderte ich und fuhr auf Eric's Arm seinenTattoos nach. "He Rose," rief es von der Seite und ich blickte hoch. Dan, ein Typ aus der Gruppe nickte mir zu. Ich hob einen Augenbraue. "Kommst du heute Abend? Party auf dem Grundstück meines Bruders." "Natürlich kommt sie", beantwortete Eric die Frage an mich. Als Erics feste Freundin hatte ich in der Gruppe viele Rechte und Privilegien, aber was Eric sagte, gilt. Selbst ich durfte dem Boss nicht widersprechen. Und das obwohl ich mit ihm fickte. Somit war mein heutiger Abend verplant. "Ich hol dich." Ich nickte. Wie gesagt, was Eric sagt, gilt! Außerdemhatte ich kein Auto, geschweige denn einen Führerschein, deshalb war ich auf Eric's Mototrrad angewiesen. Ich schaute auf mein Handy. 12.54. In knapp einer Stunde fing mein Job an. Ich tippte gegen Erics Unterarm. Er hatte sich gerade mit einem Freund unterhalten, unterbrach aber sein Gespräch und schaute fragend auf mich runter. "Kannst du mich nach Hause bringen? Ich muss arbeiten." Er nickte. "Also Jungs, bis heute Abend", verabschiedete Eric sich und ich winkte kurz. Zusammen liefen wir zu den Parkplätzen, wo sein Motorrad stand. Sein riesiges, schwarzes Motorrad hatte er sich mit mehrere Jahre Fabrikarbeit finanziert und es war sein persönlicher Schatz. Wahrscheinlich liebte er es sogar mehr als mich. "Pennst du dann heute Abend bei mir?"unterbrach ich das Schweigen. Mein Zuhause war mit dem Bus leichter zu erreichen und im Gegensatz zu Eric hatte ich keine nervigen Geschwister, die am nächsten Morgen laut schreiend durch die Wohnungliefen. "Ja, ich lass mein Motorrad bei Dan stehen,"antwortete er und stieg auf das Motorrad. Ich kletterte hinter ihn und legte meine Arme um seinen Oberkörper. Keine Sekunde zu früh, denn unter mir machte die Maschine einen Ruck und wir fuhren los. Die Fahrt von der Schule zu mir dauerte wegen dem stockenden Verkehr noch länger als gewöhnlich. Als Eric vor meinem Haus hielt, hatte ich nur noch eine halbe Stunde bis ich bei der Arbeit sein musste. Eric bremste und hielt vor meiner Einfahrt an. Das Haus, in dem ich seit meiner Geburt lebte, war alt und baufällig. Besser gesagt abrissfällig. Schon von außen sah man, das sich niemand der Bewohner um das Haus kümmerte. In einem Viertel, in dem alle Häuser so aussahen und die Bewohner zur Unterschichte gehörten, fiel das aber nicht weiter auf. "Bis heute Abend", verabschiedete ich mich von Eric und gab ihm noch einen Kuss auf den Mund. "Tschüss Babe", antwortete er und fuhr los. Eilig lief ich auf das Haus zu. Die ehemals weiße Farbe des Hauses wirkte vergilbt und alt. Von den schwarzen Fensterläden blätterte die Farbe ab und die Schaniere waren verrostet. Die Eingangstür war aus Holz und schlicht gehalten, wirkte aber schon von außen morsch und uralt. Ich kramte den Schlüssel aus meiner Handtasche und steckte ihn ins Schloss. DieTür knarzte und ging langsam auf. Im Haus roch es nach Zigarettenrauch und Alkohol. Ich war mir sicher, das man diesen Gestank niemals aus den Wänden kriegen würde. Leise lief ich den kurzen Flur entlang und schaute zu meiner Rechten in das Wohnzimmer. Auf dem alten, ehemals pinken, jetzt braunen Sofa lag mein Vater. Entweder war er betrunken oder ohnmächtig. Oder tot. Er hustete. Doch nicht tot. Er lag nur in Boxershorts und Shirts da und neben seinen Füßen, die vom Sofa runterhangen, lagen mehrere Schnapsflaschen. Auf seinem Shirt und auf dem Boden war Erbrochenes verteilt und jetzt wusste ich auch, woher der beißende, saure Gestank kam, der mir entgegen schlug. Ich musste würgen und hielt mir ein Teil meines Shirts vor das Gesicht. Ich schaute auf mein Handy um die Uhrzeit zu checken und entschied mich dafür die Sauerrei später weg zu machen. Oder nie. Auf Zehenspitzen, um meinen Dad nicht zu wecken, lief ich die Treppe im Flur hoch und kam zu drei Türen. Die linke Tür öffnete ich mit meinem Schlüssel, da ich meine Zimmertür immer verschlossen lies. Die rechte führte in ein kleines Badezimmer, was mein Vater nie benutzte, da im unteren Stockwerk auch ein Bad war. Die mittlere Tür führte früher in das ehemalige Zimmer meiner Mutter. Meine Mutter hatte mich vor 6 Jahren, als ich noch 10 Jahre alt war, verlassen. Sie war, wie sie mir in einem Brief auf einer Serviette erklärte, vor meinem Vater geflüchtet. Schon als Kind hatte ich die Probleme meiner Eltern mitbekommen. Ich hatte die Schreie meiner Mutter und die Schläge meines Vaters gehört und hatte um eine Erlösung oder um einen Ausweg gebettet. Das war dieZeit, in der ich den Glauben an Gott verlor. Nichts passierte. Meine Eltern stritten weiter und die blauen Flecken auf dem Körper meiner Mutter blieben. Und dann kam der Tag an dem ich aufwachte und die Serviette aus dem Schnellrestaurant neben meinem Kopfkissen fand. "Es tut mir leid. Ich konnte nicht mehr. Ich musste weg!" Mein Vater war ausgerastet, hatte das komplette Zimmer meiner Mutter zerstört und alle Bilder von ihnen als Paar zerrrissen. Das war das erste Mal, das er mich verprügelt hatte. Leider nicht das letzte Mal. Mehrere Jahre lang blieb das Zimmer in dem Zustand, bis ich mich entschlossen hatte, die Wand einzuschlagenund mein Zimmer zu vergrößern. Mittlerweile war die Tür immer verschlossen und der Raum zählte zu meinem Zimmer. Mehrere Jahre lang hatte ich gehofft, das meine Mutter zurückkommt, aber jeder Mensch wacht irgendwann aus seinem Irrglauben auf. Dafür hatte ich jetzt ein sehr großes Zimmer, allerdings fielen dadurch die leeren Stellen und die wenigen Möbel noch mehr auf. Der Raum hatte die Form eines verkehrten L 's, besaß große Fenster und mehrere Dachschräge, da mein Zimmer direkt unter dem Dach lag. Die weißen Wänge waren mit Graphiti und Kritzeleien beschmiert und mehrer Freunde hatten ihre Initialen und irgendwelche Sprüche auf die Wände gemalt. Links neben der Eingangstür stand ein Kleiderschrank. Er erstreckte sich bis zur Decke und stammte noch aus der Zeit, als meine Mum da gewesen war. Rechts von mir stand ein langes Ecksofa, neben dem noch 2 Sitzsäcke lagen. Ein kleiner Couchtisch mit einem Aschenbecher draufstand mitten im Raum vor dem Sofa. Der Rest des Zimmers war komplettleer und nur die die bunten Wände boten Abwechslung. Wenn ich um die Ecke gelaufen wäre, wäre ich zu meinem 1,60 m großem Bett und einem kleinen Nachttisch gekommen, aber ich wandte mich direkt zum Kleiderschrank und suchte meine Uniform. Die Umkleide bei meiner Arbeitsstelle war so ekelhaft, das ich mich da nur selten umzog, außerdem war mein Arbeitsplatz nur 5 Minuten von meinem Haus entfernt. Schnell zog ich mich um, schnappte mir meine Handtasche und verließ das Haus, ohne noch einmal meinen Dad eines Blickes zu würdigen.

Fuck my Bad BoyWhere stories live. Discover now