Finns Kopf dröhnte, als sie die Augen aufschlug. Orientierungslos sah sie sich in dem dämmrigen Raum um. Ihr Nacken knackte, als sie sich aufsetzte.
Wo zum Geier...?, dachte Finn, ehe ihr Blick auf ihre Hände fiel. Diese waren mit einem groben Strick zusammengebunden, dessen Ende einige Meter neben ihr an einem Ring in der Wand gebunden war. Augenblicklich fielen ihr die Ereignisse vom Vorabend wieder ein. Finn seufzte deprimiert.
„Guten Morgen Herzchen." Finn drehte sich um und sah hinter sich den Nymph an der Wand lehnen. Verärgert kniff sie die Augen zusammen, sagte jedoch nichts.
Der Gnom lächelte und ging vor ihr in die Hocke. Finn musste sich beherrschen, um nicht ihre Fähigkeiten einzusetzen. Stattdessen saß sie scheinbar gelassen da und sah in seine grünen Augen. Seine braunen Locken waren zerzaust und Finn würde wetten, dass er selbst gerade erst aufgestanden war.
„Was, keine Beschimpfungen heute Morgen?" Starr erwiderte Finn seinen Blick – und schwieg weiter. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Soll mir recht sein, schließlich verbringen wir beide ein bisschen Zeit zusammen." Als er wieder lächelte, bildete sich ein Grübchen in seiner linken Wange. Finn hätte es ihm gern mit dem Küchenhobel entfernt.
Als sie weiter stumm blieb, stand ihr Entführer wieder auf. Finn bemerkte erst jetzt, dass er seine feine Kleidung gegen einfache Hosen, ein Leinenhemd und dunkle Stiefel getauscht hatte. '
Blender, zischte Finn in Gedanken.
„Übrigens, du kannst so viel schreien wie du willst. Im Umkreis von einer Meile wohnt keine Menschenseele." Er ging zu Tür und öffnete diese. Wasserrauschen drang in den Raum und übertönte beinah die Worte, die er an sie richtete: „Ach ja, mein Name ist Kirian. Falls du dich doch wieder dazu entschließen solltest, den Mund aufzumachen."
Er grinste nochmals, ehe er hinausging und die Tür hinter sich schloss.
~
Es war um die Mittagszeit und Finn war noch immer allein. Den Kopf in die Hände gestützt saß sie an dem winzigen Tisch im Raum. Anscheinend befand sie sich in der Wohnküche eines kleinen Bauernhauses. In einer Wand reite sich Regal an Regal, auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein alter Ofen und verstaubte Arbeitsflächen.
Wenigstens sind die Fenster noch dicht und es gibt keine Ratten, tröstete sich Finn. Sofort nachdem der Straßenköter von einem Mann gegangen war, hatte Finn versucht ihre Fesseln zu lösen. Erst mit ziehen und zerren, schließlich sogar mit Hilfe eines scharfen Steins, den sie aus einem Ziegel geformt hatte.
Aber all ihre Anstrengungen waren vergebens gewesen und Finn hatte schnell herausgefunden, warum: In den Strick waren viele Eisendrähte eingearbeitet worden. Ebenso war der Eisenring nicht in irgendeine Wand eingelassen. Nein, in der Wand war eine Metallplatte versenkt, die gut und gerne fünf Meter in die Erde ragte. Es war unmöglich, diese Vorrichtung unter drei Stunden harter Arbeit zu zerstören. Widerwillig musste Finn zugeben, dass das sehr schlau von dem Gnom gewesen war.
Vorsichtig bewegte Finn ihre Finger, als diese begannen zu kribbeln. Sarkastisch lachte Finn auf und schloss ihre Augen, als ihr der Gedanke kam, dass sie immer hatte etwas erleben wollen.
Das Knurren ihres Magens riss Finn aus ihren Grübeleien. Hinzu kam noch der Durst, der ihre Zunge am Gaumen kleben ließ.
„Bei Terrai, nein!", entfuhr es Finn bei dem Gedanken an ihre trockene Kehle. Ihr Herz fing an zu rasen. Sie hatte ihren Tee nicht getrunken, verflucht nochmal! Finn biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. Sie würde auf dem Jahrmarkt landen, wenn der Gnom sah, dass ihre Augen nicht mehr braun, sondern völlig untypisch gefärbt waren.
Ein dünner Riss bildete sich neben Finns Stuhl. Frustriert stöhnte sie, fuhr mit dem Fuß darüber und schloss den Spalt wieder.
„Entweder verraten mich meine Augen, oder er bemerkt das Erde und Wasser in meiner Nähe gleichzeitig verrückt spielen", murmelte sie vor sich hin. Die letzte Silbe hatte ihren Mund verlassen, da hörte sie Schirtte vor der Tür. Sekunden später drang Sonnenschein in Finns Gefängnis und der Entführer trat ein.
Nein, dachte sie, sein Name ist ja Kirian.
Ungerührt erwiderte Finn seinen Blick, mit dem er sich von oben bis unten musterte.
Ja ja, schau nur, brummte sie innerlich, ich sehe sicherlich hinreisend aus in dem zerknitterten Kleid und den zerzausten Haaren. Am liebsten hätte Finn hysterisch gelacht.
„Hast du mich vermisst Herzchen?", fragte Kirian und stellte einen großen Korb vor Finn auf den Tisch, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte. Finn schwieg beharrlich. Kirian runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. „Terrai steh mir bei, eine schweigsame Frau."
Als Finn daraufhin sehr undamenhaft schnaubte, verzog sich Kirians Mund zu einem Grinsen.
„Wunderbar. Es wird einfach als ich dachte. Dein Vater wird sicher alles tun, um sein wohlerzogenes Töchterchen zurück zu bekommen." Finns Magen krampfte sich zusammen. Ihre Eltern waren sicherlich schon verrückt vor Sorge. Ganz zu schweigen von Delia und ihren Großeltern.
Eigentlich sollte es sie nicht wundern, dass sie hier saß. Es stimmte nämlich, dass die Männer sich nur wegen ihrer Familie für sie interessierten. Traurig wandte Finn ihren Blick von Kirian ab und sah aus dem Fenster. Das Laub der Bäume wiegte sich langsam im Wind.
~
Misstrauisch beobachtete Finn jede von Kirians Bewegungen, während er am Herd stand und in einem alten Topf rührte. Jedoch ließ der köstlich Duft, der den Raum erfüllte, ihr das Wasser im Mund zusammenfließen.
„Sag mal, kannst du durch Stoff hindurchsehen, oder warum starrst du mir Löcher in den Rücken?" Erschrocken zuckte Finn zusammen und ihr Blick huschte zu seinen Augen. Amüsiert hob er eine Augenbraue. „Irgendeine Fähigkeit müsst ihr Neutralen doch auch haben. Oder?"
Finn knirschte mit den Zähnen und drehte den Kopf zur Seite.
Sie hörte, wie Kirian resigniert seufzte. Einige Augenblicke später fühlte Finn, wie etwas an ihren Beinen hochkroch. Panisch versuchte sie mit ihrem Stuhl vom Tisch wegzurücken, schaffte es jedoch nicht. Erst als der erste Erdklumpen auf ihrem Schoß landete, erkannte Finn was vor sich ging.
Ein Blick auf Kirian bestätigte ihre Vermutung: Er stand vor ihr, die Handfläche nach oben und dirigierte das Erdreich an ihrem Körper empor. Als Finn bis zur Hüfte in dem Hügel verschwunden war, ließ Kirian die Hand sinken. Schnell griff er nach ihren gefesselten Händen, ehe Finn diese wegziehen konnte.
„Nana Herzchen, du willst doch sicher nicht, dass ich dich füttere. Oder?"
Wären Finns Beine nicht bewegungsunfähig, hätte sie ihn getreten. Der Wunsch war so übermächtig, dass sie fast ihre Tarnung dafür geopfert hätte.
Ganz ruhig, sagte sie sich selbst. Du kannst ohnehin nicht die Erde kontrollieren, der er seinen Willen aufgedrängt hat.
Schweigend sah Finn Kirian dabei zu, wie er das Seil von ihren Handgelenken löste. Als sie endlich wieder frei waren, rieb sich Finn über die schmerzenden Abschürfungen.
„Du solltest wirklich nicht mehr an dem Strick ziehen", sagte Kirian, während er ihr einen Teller mit dampfendem Eintopf hinstellte.
Skeptisch nahm Finn den angebotenen Löffel und stocherte zwischen den Kartoffel- und Fleischstücken herum. „Herzchen, wenn ich dich um die Ecke bringen wollte, würde ich das sicher nicht mit Gift tun." Kirian setzte sich ihr gegenüber und musterte ihr Gesicht.
„Sind deine Augen schon vorher so hell gewesen?" Unschlüssig beugte er sich über den Tisch. Schnell schüttelte Finn den Kopf, senkte den Blick und begann zu essen. Überrascht stellte sie fest, dass es gar nicht so schlecht schmeckte.
Kirian beobachtete sie einige Zeit, ehe er selbst zum Löffel griff. „Guten Appetit Herzchen."
In Finns Kehle entwand sich etwas, dass wie das Knurren eines verärgerten Hundes klang. Kirian schluckte und grinste. „Ah, unsere kleine Prinzessin hat also doch eine Schwachstelle."
Bei seinem Tonfall lief es Finn kalt den Rücken hinunter. Warum war ihr nicht schon früher eingefallen, dass er ihr ohne weiteres unaussprechliche Dinge antun konnte?
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Finn - Die Nymphen von Mirus (3)
FantasyJeder denkt, dass die junge Nymphe Finn keinem Element angehört. Aber das ist ein Irrtum, denn Finn ist etwas ganz Besonderes: Sie kann sowohl Wasser als auch Erde kontrollieren. Niemand darf das erfahren, denn sonst müsste sie ihre Familie für imme...