06 | i love you more

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‹ Nick Wayne - I Love You More ›

Im Frühling wurde alles ein bisschen besser, bis Elodie vollkommen ausgelaugt und fertig vor mir gestanden hatte.

Sie sah so aus als wäre sie gerannt. Ich hatte mich schon gewundert, wo sie blieb.

Mein Blick glitt zu ihren Füßen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Elodie, wenn es warm war, keine Schuhe trug. Nur war es nicht warm gewesen.

Es regnete und ein kühler Wind trieb sein Unwesen.

»Was ist passiert? «, fragte ich und musterte ihre verquollenen Augen.

»Er hat es gesehen «, schniefte sie.

Ich zog, ohne groß zu zögern meine Sporttasche aus meinem Spind und kramte darin nach meinen Sportschuhen und einem frischen Paar Socken.

Ursprünglich wollte ich nach ihrem Handgelenk greifen und sie hinter mir zum Klo führen, aber sie zuckte ohne, dass ich sie wirklich berührt hatte, zurück und ich vermutete nichts Gutes.

Hinter dem Schutz der Tür des Mädchenklos schob sie den Ärmel ihres Pullovers nach oben.

Ihr Unterarm war leicht geschwollen und man konnte ganz genau erkennen welcher Finger wo gelegen war.

Vorsichtig fuhr ich mit meinen Fingerspitzen über den bereits blau werdenden Bluterguss.

Die Tür schwang auf und wir zuckten beide zusammen.

»Uh, die volle Portion Lesbenaction «, trällerte das schlimmste Wesen überhaupt.

»Halt die Fresse, Denise «, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen und schob Elodies Ärmel wieder über ihre Druckstellen.

Es gab keinen Menschen, für den ich mehr Hass empfunden hatte, wie für dieses Biest.

Elodie legte ihre Hand über meine und versuchte mich durch diese simple Berührung zu beruhigen. Sie hatte meinen Blick mit ihrem gefangen und mich dazu gebracht tief ein- und auszuatmen.

Sie war in diesem Punkt anders als ich. Im Gegensatz zu mir war sie kaum nachtragend oder lange böse auf jemanden gewesen. Elodie sah immer das beste in einem Menschen, wie in ihrem Vater.

Ich war mir nie sicher, ob ich sie deshalb für bemerkenswert oder naiv hielt.

Denise überprüfte ihren Lippenstift im Spiegel und warf uns, bevor sie ging, noch einen abschätzigen Blick zu.

Zur Sicherheit sah ich in die Kabinen, weil ich nicht wollte, dass jemand anderes unsere Konversation mitbekam.

»Wie genau ist das passiert? «

Sie vergrub ihr Gesicht ihn ihren Händen und atmete prasselnd ein.

»Ich bin spät dran gewesen und er konnte nicht mehr schlafen. Ich wollte meine Socken an der Garderobe anziehen und hatte deshalb mein Hosenbein hochgekrempelt... « Das Ende des Satzes ging in einem herzzerreißenden Schluchzen unter.

Ich nahm sie fest in meine Arme und bettete mein Kinn auf ihrem Kopf. »Erst hat er nach meinem Arm gegriffen, gebrüllt und mich auf die Füße gezogen und dann hat er sich mein Sprunggelenk geschnappt, sodass ich nach hinten gefallen und mit der Kommode kollidiert bin. «

Mein Atem stockte, ich löste mich von ihr und wendete ihren Rücken mir zu. Vorsichtig schob ich ihren Pullover und das Top, das sie darunter trug, nach oben.

Nun traten auch mir Tränen in die Augen, als ich die roten Kratzer und blauen Verwundungen betrachtete.

Aus Unbehagen zog sie ihre Kleidung wieder nach unten. »Mae... Er hat mich furchtbar beschimpft, mich eine Schlampe und eine Hure genannt. «

Mein Herz brach als sie wieder auf mich zukam und sich in meinem Oberteil festkrallte.

Ich legte meine Hand an ihren Hinterkopf und drückte sie fest an mich, um ihr Halt zu schenken.

»Er wollte mich schlagen, aber ich bin schneller gewesen und bin den ganzen Weg bis hierher gerannt. «

»Du gehst heute Nacht nicht nachhause, du bleibst bei mir «, beschloss ich und würde keine Widerrede akzeptieren.

Keiner von uns besuchte heute den Unterricht, dafür hatte ich Elodie allerdings unter die Obhut meiner Mutter gestellt.

Sie war voller Erschöpfung, mitten am Tag, auf meinem Bett eingeschlafen und ich hatte ihr somit heimlich ihren Hausschlüssel entwenden können.

»Elodie? «, hatte er gebrüllt sobald ich das Haus betreten hatte.

Unter Todesangst rief ich nach Sunny und hoffte, dass sich die Hündin nicht allzu lange Zeit ließ.

»Ich hatte dir doch gesagt, du sollst dieses Haus nie wieder betreten. «

Er stockte, als er mich entdeckte und mir gefror das Blut in den Adern. »Du bist nicht Elodie «, stellte er fest und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Bist du nicht Annamae? «

Sein Gesicht verdunkelte sich schlagartig und in seinem Kopf schien sich ein Schalter umzulegen.

Ich versuchte mich an meinem Lächeln, griff nach Sunnys Leine und zog schleunigst die Haustür hinter mir zu, sobald die kleine Hündin an mir vorbeigerauscht war.

»Rühr meine Tochter noch einmal mit deinen dreckigen Lesbenfingern an und du wirst es bereuen! «, schrie er mir nach.

Sunny sah freudig zu mir auf als wir den Gehweg entlang rannten. Für sie war das alles ein einziges Spiel gewesen, was für den Moment ziemlich tröstend war.

Ich nahm ihr die Leine ab und leitete sie auf dem direkten Wege in mein Zimmer.

Elodie sah verwirrt und verschlafen auf. »Sunny? «

Ihre Augen fielen auf mich. »Du warst bei mir Zuhause? «

Ich nickte.

»Hat er dir etwas getan? «, murmelte sie und kraulte ihrem Hund die Ohren.

»Er hat mir nur gedroht und mich enttarnt. «

Ich konnte keine wirkliche Emotion in ihrem Gesicht lesen, aber sie schien nicht sauer zu sein.

Sie war in erster Linie erleichtert die kleine Hündin bei sich zu haben.

Also kletterte ich über sie und schmiegte mich vorsichtig von hinten an sie. »Wie geht es deinem Rücken? «, flüsterte ich und setzte ihr einen Kuss hinters Ohr.

»Besser «, seufzte sie.

Sie blieb ein paar Wochen, aber zog es vor wieder zu ihrem Vater zurückzukehren.

Ich würde nie verstehen, warum sie immer wieder zu ihm zurückging. Egal wie oft er sie verletzte und ihr drohte, sie wehrte sich dagegen auszuziehen. Jeder meiner Versuche die Polizei zu alarmieren ging in einem Streit unsererseits unter.

»Er hat sich um meine Pflanzen gekümmert «, flüsterte sie stolz am Telefon, obwohl sie eben noch geweint hatte.

Auch, wenn ich mir immer Mühe gab sie zu verstehen war sie oft ein sehr großes Rätsel für mich geblieben. 

FreigeistWhere stories live. Discover now