Kapitel 6 - Ein Kuss geht nach hinten los.

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Ich klickte auf das Vorschaubild. Das Video begann mit den Worten: 'Schau es dir bis zum Ende an!' Das Video wurde kurz schwarz, bis das eigentliche Video begann. Das Video bestand aus vielen verschiedenen Videoschnipsel, meist aufgenommen durch eine Handykamera, da es ständig von Hoch- auf Querformat wechselte. Jeder Schnipsel hatte ungefähr den selben Inhalt. Jedes einzelne Mal ein Geständnis von einem jungen Mann, welcher einem anderen seine Liebe gestand, auf die romantischte Art und Weise. In den letzten Sekunden tauchte eine neue Schrift auf: 'Und nun auf seine Weise..' Es wurde ein weiteres Video eingeblendet. "Fabi, wenn du das hörst:", begann Marcus in die Kamera zu sprechen, lallend und kichernd vom vielen Alkohol, welcher im Hintergrund zu sehen war. "Ich liebe dich!", lachte er, wälzte sich auf dem Boden und das Video war vorbei. Verwirrt schaute ich auf den schwarzen Bildschirm. War das... ernst gemeint? Diese Worte aus seinem Mund zu hören waren die Worte, die ich ihm schon hätte längst sagen wollen. Aber wenn es nur ein Scherz war? Überrumpelt von den vielen Gefühlen, welche gleichzeitig auf mich einströmten, saß ich stumm auf meinem Stuhl, konnte nicht glauben, was ich eben gesehen hatte. "Fabi, möchtest du lieber Spaghetti mi-", fragte Elli mit einer Tüte Nudeln in der Hand und unterbrach sich selbst, als sie mich sah. Ich sah kaputt aus, völlig fertig. "Er mag mich...", murmelte ich und hauchte ein Lachen. Sogleich lehnte ich mich im Stuhl zurück und grinste.
Nachdem ich den Mädchen ebenfalls das Video gezeigt hatte, um sie analysieren zu lassen, ob es doch nur fake war, waren sie sich einig. Er konnte unmöglich so gut schauspielern, wenn er drunk war. Mehr Mut sammelte sich in mir und ich konnte es kaum erwarten, dass er hier eintraf. Stunden verbrachte ich vor dem Spiegel bis meine Frisur bis auf jeden Millimeter perfekt saß. Meine Frisur musste natürlich zu ihm passen, redete ich mir ein und begann jedes Mal bei diesem Gedanken zu grinsen. Natürlich war es auch Mittel zum Zweck, da ich vor Aufregung womöglich sonst krepiert wäre.
Als das quälende Warten endlich ein Ende nahm, kamen alle durch die Haustür getreten. Die Mädels hatten ein paar Chips und Dips im Wohnzimmer platziert und es schön hergerichtet, da sie scheinbar auch eine Beschäftigung brauchten. Lucie leitete Marcus direkt in mein Zimmer, in welches ich ihn auch gleich folgte. "Also darf ich doch endlich erfahren, was mit dir los ist?", fragte er grinsend. "Ja, also ich wo-", legte ich mit meiner vorbereiteten Rede los, doch wurde von ihm unterbrochen. Er inspizierte mein Zimmer, war begeistert von meinem Setup und sprach tausend Komplimente aus, bis er mich zum 10. Mal unterbrach und mich zur Weißglut brachte. "Schluss jetzt!", schrie ich lauter als beabsichtigt und erschrocken taumelte er nach hinten, gegen meinen Tisch, auf welchem mein Monitor stand, und erwischte die Leertaste. "Fabi, wenn du das hörst:", begann das Video, welches er weiter abspielen ließ und ich wollte nicht glauben, was soeben passierte. "Ich liebe dich." Ungläubig schaute Marcus auf den Monitor, welcher nun keinen Bildschirmschoner mehr hatte. "Was?", fragte er verwirrt. "Woher hast du das Video?", fragte er ernst, ohne mir einen Ausweg aus dieser Situation zu gewähren. Ich stockte. Wie sollte ich ihm denn nun diese Story erklären. Statt ihm eine Antwort zu liefern, stellte ich ihm eine Gegenfrage. "Hast du das ernst gemeint?", fragte ich vorsichtig und hatte Angst vor seiner Antwort. Er schaute auf den Monitor, danach wieder zu mir. Er atmete tief ein und aus. "Ich war betrunken.". Das war keine Antwort auf meine Frage, dennoch konnte ich mir denken, was er mir damit sagen wollte. Im Grunde war es nur ein Fakt, welcher definitiv zutraf, aber allein, dass er mir keine eindeutige Antwort lieferte, sagte wohl schon alles. "Ich raff' das nicht.", fuhr er fort und war im Begriff mein Zimmer zu verlassen. "Empfindest du was für mich?", stellte ich ihm eine weiter Frage, bevor er die Türklinke runterdrücken konnte. "Mehr als nur freundschaftlich?", hakte ich nach, damit wir nicht aneinander vorbei redeten. Ich wartete auf eine Antwort, möge sie noch so schmerzhaft und zerstörend sein. Ich wollte hier und jetzt eine Antwort und nicht weiter im Unwissen leben. Ich brauchte Klarheit. "Ich... weiß es nicht.", murmelte er in Richtung Tür, vor welcher er stand. "Was ich im Video gesagt habe... klang so ehrlich.", fuhr er fort. Er drehte sich zu mir um, lehnte sich an die Tür. "Und du?". Es war immer noch keine Antwort auf meine Frage. Ich war wütend, dass er mir nicht einfach sagen konnte, was in seinem Hirn vorging. Ich ging auf ihn zu, innerlich mit der Intention ihm die Wahrheit rauszuprügeln. Ich blieb knapp vor ihm stehen. Meine innere Wut verschwand, als ich ihm wieder in die Augen sah. Unschuldig blickte er zurück, wirkte so zerbrechlich. Ich griff nach seinem Handgelenk und zog ihn ein weiteres Stück zu mir, sodass unsere Gesichter näher waren, als jemals zuvor. Wir spürten den Atem des jeweils anderen und ich hörte, wie mein Herz immer mehr schlug. Zu meinem verwundern war er es, welcher sich auf die Zehenspitzen stellte und unsere Lippen letztendlich vereinte. Ich schloss meine Augen, genoss einfach den Moment in der Angst, dass es nie wieder passieren würde. Ich ließ sein Handgelenk los, um mein Hände an der Tür hinter ihm abstützen zu können, während seine an meinem Nacken Platz fanden, womit er mich ein weiteres Stück zu sich zog und in den Kuss lächelte. Der Kuss zog sich so lange, bis wir beide zum Luft holen unsere Lippen trennten. "Weißt du's jetzt?", fragte ich ihn nach seinen Gefühlen mit einer unglaublich tiefen Stimme, die mir selber noch unbekannt war. Ein schiefes Grinsen des Kleineren und erneut zog er mich zu sich hinunter.
Nachdem wir das zweite Mal Luft holen mussten, sah der Kleinere wieder zu mir nach oben. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und seine Mundwinkel wurden wieder neutral. Mit einem Mal starrte er zu Boden, wollte mich nicht ansehen. "Alles okay?", fragte ich, wollte wissen, was ihn bedrückte und versuchte mit einer Hand an seinem Kinn seinen Kopf wieder in meine Richtung zu drehen, doch er schreckte zurück. Leichte Panik machte sich in mir breit. Was, wenn er gar nicht so fühlte? Ging es ihm zu schnell? "I-Ich kann das nicht.", stotterte er, drehte sich um und verließ mein Zimmer. Er ließ mich mit meinen Fragen allein. Wie in Trance stand ich weitere Minuten im Raum, verarbeitete das, was sich eben abgespielt hatte. War das sein ernst? Vermutlich hatten wir somit unsere Freundschaft zerstört oder es zumindest in diese Richtung gelenkt. Nie wieder würden wir uns normal über den Weg laufen, nachdem das alles passiert war. Ich hatte meinen Freund verloren.
"Hey..", holte mich Lucies Stimme zurück in die Realität. Sie stand in der leicht geöffneten Tür und blickte ins Zimmer. "Jetzt warte mal!", hörte man aus dem Flur Lu's Stimme, welche jemanden zu verfolgen schien. Die Haustür öffnete sich mit einem heftigen Ruck. "Wehe du folgst mir!", hörte ich Marcus drohen, welcher gleich darauf die Tür zuknallte. "Wo will er denn hin?", kam nun Ellis Stimme dazu. "Das frage ich mich auch.", gab Lu zurück und seufzte laut. Lucie hatte sich zu den Mädels umgedreht und dabei die Tür weiter geöffnet. Elli war die erste von ihnen, welche ihren Blick auf mich warf. Ohne zu zögern lief sie an ihren Freundinnen vorbei und fragte mich, ob ich okay sei. Nein, ich war nicht okay! Nichts war in diesem Moment okay! Ich blieb stumm, sah sie nur still an. "Oh, Fabi. Tut mir so leid.", entschuldigte sich Elli und versuchte mich zu umarmen, doch ich schob sie vorsichtig weg. Mir war gerade nicht nach Körperkontakt. "Wir hätten ihn nicht einladen sollen.", beteuerte Lucie und verschränkte ihre Arme. "War doch klar, dass das nach hinten losgeht.", ergänzte sie augenverdrehend. Lucie bekam für diese Anmerkung Lu's Ellenbogen in ihre Rippen mit einem bösen Blick als Beilage.

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