Sommergewitter im Wald

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Julien hatte mir noch eine Tasse eiskalten Tee ausgegeben und sich selbst einen großen Kaffee. Ich mochte keinen Kaffee. Hatte mir noch nie geschmeckt.
Julien und ich teilten uns einen großen Schokocookie, während wir durch die Innenstadt bummelten.
Um uns herum tobten Touristen von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Gruppen von aufgeregt kichernden Mädchen drängelten sich an uns vorbei. Ein großes Mädchen mit blonden kurzen Haaren rannte fast in Julien hinein, da sie ihre Nase in ein echt uraltes Buch gesteckt hatte. Sie entschuldigte sich mehrmals, ehe sie hinter uns zwischen den Menschen verschwand.
"Ich liebe München im Sommer.", seufzte Julien und zog seine Lederjacke aus. Fasziniert beobachtete ich wie sein Bizeps sich kurz vergrößerte.
"Dann warte mal bis du es im Winter erlebst.", lachte ich und befreite mich ebenfalls von meiner Strickjacke.
"Wieso? Was kann es den besseres geben als warme Sonnenstrahlen auf der Haut? Viele Menschen um einen herum? Die Füße in den Eisbach halten?", zählte er auf.
"Ist ja gut ich hab schon verstanden!", grinste ich und stieß ihn in die Seite.
"Au.", schmollte er und ich gab ihm seinen Kaffee zurück.
"Ach komm schon, so fest war das doch gar nicht.", behauptete ich und zog ihn an der Hand hinter mir her. Er lachte und schloss zu mir auf. Vor einem Kaufhaus kurz vorm Stachus hielten wir an. Gemeinsam gingen wir durch die großen Eingangstüren und vorbei an den schwarz gekleideten Securitymännern. Sie warfen mir einen kritischen Blick zu, ließen mich aber passieren als sie Julien sahen.
Aber ich mit meinen zerschlissenen dunklen Jeans, dem schwarzen Top und den Sneakern sah nicht umbedingt aus, wie jemand der das Geld hatte hier zu bummeln. Tja, Julien war das komplette Gegenteil:
Teure Schuhe, blaue Lewis Jeans, weißes Hemd und die Schwarze Lederjacke überm Arm.
Er war eben eine etwas andere Liga.
"Du gehst in den Oberpollinger?" Skeptisch zog er eine Augenbraue in die Höhe, als wir durch das Erdgeschoss liefen.
"Ja, aber mir geht's hier nur um einen Laden.", erklärte ich und verdrehte die Augen.
"Aha und dieser wäre?"
Ich warf einen schnellen Blick auf den kleinen Shop gegenüber zu uns. Julien folgte meinem Blick und ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
"Mont Blanc?", wollte er wissen.
Schüchtern nickte ich und blickte nochmals zu den wunderschönen Füllern.
"Also ich hätte ja mit vielen gerechnet aber nicht damit,", fasste er zusammen.
"Ich weiß auch nicht! Es ist nur so als müsste ich immer wieder zu diesem Ort kommen. Keine Ahnung warum. Vielleicht verbindet mich etwas mit dem Schreiben.", rätselte ich und fuhr mir durch die Haare. Juliens Lächeln wurde noch größer. "Komm!", meinte er dann und zog mich zu dem Laden.
"Was machst du denn?"
Gemeinsam blieben wir vor der gesicherten Vitrine stehen und sahen hinein. Julien nahm meine Hand und beobachtete mich, wie ich die Füllhalterminen ehrfürchtig musterte.
Eine schlecht geschminkte Verkäuferin kam auf uns zu, machte aber schnell wieder kehrt, nachdem Julien ihr einen
"Gerade-ist-schlecht"-Blick zugeworfen hatte.
"Und? Welcher verzaubert dich am meisten?", wollte er wissen und zog mich an seine Brust. Ich atmete tief ein und suchte nach meiner Stimme.
Als ich sie gefunden hatte, zeigte ich auf den Füller, für den mein Herz schon seit Jahren schlug. Er lag ganz hinten in einer extra Auslage.
Aber sobald ich auf den Preis blickte, wurde mir schlecht. So etwas würde ich mir niemals leisten können. Ich hätte einiges dafür gegeben ihn nur einmal in der Hand zu halten und ein einziges Wort damit zu schreiben.
Der Füller war komplett Silber. Unter dem Griff waren vier kleine Edelsteine abwärts fließend eingelassen, die alle in einem waldgrün schimmerten.
"Dieser ist es. Ist er nicht einfach wunderschön?", seufzte ich wehmütig.
Julien sah erst mich an, dann den Füller. "Du hast einen guten Geschmack. Die Steine haben die selbe Farbe wie deine Augen."
Ich zog die Stirn in Falten.
"Es stimmt. Sie sind genauso klar und dennoch unergründlich zugleich.", argumentierte er leise und hauchte mir zärtlich einen Kuss auf die Lippen.
"Den werde ich mir nie leisten können.", meinte ich wehmütig und drehte mich weg.
"Träume sind da, um sie sich zu erfüllen!", wisperte er mir in mein Ohr, nahm meine Hand und ich zog ihn zum Aufzug.
Ein leises "Pling" verkündete, dass gerade in diesem Moment ein Aufzug hier im Erdgeschoss ankam. Schnell sprangen wir hinein, nachdem eine fein gekleidete alte Dame ausgestiegen war. Im inneren lief leise Musik. Ich drückte auf Dachgeschoss und wir setzen uns schwebend in Bewegung.
"Dachgeschoss?" Julien umklammerte meine Hand fester.
"Ja? Wieso?"
"Nur so!", drugste er herum.
Julien überraschte mich. Hoffentlich hatte er keine Höhenangst. Ich jedenfalls nicht. Der Aufzug kam zum Stehen und die Türen öffneten sich. Hier oben war kein Mensch mehr. Aber wir waren noch nicht am Ziel.
"Komm!"
Ich zog ihn auf die Rückseite des offiziellen Gebäudes. An einer Tür hing ein gelbes Schild mit der Aufschrift "Betreten Verboten! Lebensgefahr!" Aber das war mir egal. So wie im alten Villenviertel.
"Du gehst oft an verbotene Orte, oder?", lachte Julien, als ich die Tür öffnete. Der Alarm für diese Tür war schon seit Jahren abgestellt. Kein Mensch wagte sich hier raus. Außer uns. Es war der perfekte Ort zum Reden.
Wir traten auf das Dach und Julien schloss die Tür hinter uns wieder.
"Wow! Das ist wunderschön!", staunte Er und trat näher an die Kante. Wir standen auf dem flachen Dach unter freiem Himmel. Es wären nur ein paar Schritte und man würde mitten in die Fußgängerzone fallen. Aber das war mir in all den Jahren in den ich hier hochkam noch nie passiert. Wir setzten uns neben einander auf den Boden und blickten auf das sommerliche Münchner Stadtleben unter uns.
"Also, lass uns reden.", begann ich.
"Okay.", stimmte er zu.
"Du wolltest mich töten, warum?", stellte ich die erste Frage.
Sein Blick verfinsterte sich. "Es war mein Auftrag. Ich bin vor vielen vielen Jahren in einer Schule ausgebildet worden, die Männer unseres Clans zu gewissenlosen Mördern machte. Nachdem ich meine Familie verloren hatte, schickte unser Clanoberhaupt mich dorthin. Jahrzehnte lang wurde ich in sämtlichen Disziplinen gelehrt um mich auf diesen Auftrag vorzubereiten. Und jetzt, wo es so weit ist, konnte ich es nicht. Ich war schwach. In all den Leben die Chr gelebt hab, hab ich noch nie so etwas empfunden, wie das was ich für dich fühle."
Mein Hals verengte sich bei dem Anblick, den er bot. Ich wusste, dass er wütend auf sich selber war, dass er es nicht geschafft hatte, abzudrücken.
"Du hast gesagt Jahrzehnte lang.", stellte ich verwirrt fest.
Er nickte. "Mhm. Ich lebe schon etwas länger."
"Wie lange?", hakte ich nach und Trank einen kleinen Schluck meines Tees.
"Seit dem 22.11.1688.", seufzte er.
Ich verschluckte mich an meinem Getränk und begann unkontrolliert zu husten. "Du bist 326?"
Wieder nickte er.
"Was bist du?" Meine Stimme war leise als ich sprach. Hatte ich Angst vor ihm? Nein. Ich wusste er würde mir nichts tun. Sollte ich Angst vor ihm haben? Ich wusste es nicht.
"Wir nennen uns selber Unsterbliche. Aber es gibt auch andere Namen. Wandernde Seelen. Zeitlose. Such dir was aus."
"Das... wow... Ich weiß gar nicht was ich sagen soll.", stotterte ich und fuhr mir durch die Haare.
"Hast du Angst vor mir?" Julien musterte aufmerksam mein Gesicht um meine Reaktion abschätzen zu können.
"Nein.", gestand ich nach einiger Zeit. Ich empfand viel für Julien, aber definitiv keine Angst.
Er lächelte schwach. In diesem Moment sah er so unglaublich verletzlich aus.
"Und was hab ich damit zu tun?", Fragte ich matt und strich mir die Haare aus dem Gesicht hinter die Ohren.
"Du bist uns prophezeit worden. Als die nächste Trägerin der Kette. Du musst wissen, vor einigen Jahrzehnten gab es schon mal jemanden wie dich. Die Kette hatte sie ausgewählt und das Mädchen musste sich mit ihrem Schicksal abfinden. Irgendwann fand sie allerdings heraus wie sie die Magie der Kette für sich nutzen konnte. Unserem Clan passte das natürlich nicht ins Konzept und so wurden Maxim und ich beauftragt das Mädchen beiseite zu räumen.", erzählte er. Dabei waren seine Augen glasig und zeigten dass er ziemlich tief in seinen Erinnerungen schwamm.
"Wer ist Maxim?" Meine Stirn zog sich in Falten der Verwirrung.
Einige Minuten sagte Julien nichts und als er dann antwortete, verschlug es mir die Sprache.
"Mein Bruder."
"Du hast einen Bruder?", platzte ich heraus. Ich wusste, dass es nicht sehr taktvoll von mir war, so direkt und unverhohlen nachzufragen, vor allem da es so schien, als sei dies ein Thema über welches er nicht gerne redete.
"Mhm", er nickte. "Maxim ist drei Jahre älter. Früher, als wir noch eine Familie waren, habe ich ihn bewundert, wollte immer so sein wie er. Groß, anmutig, stolz. Er bekam immer was er wollte."
"Was ist passiert? Damals?" Ich hatte meine Stimme gesenkt. Sie war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
Julien holte tief Luft, schloss die Augen damit er sich besser erinnern konnte. "Wir bekamen den Namen der Kettenträgerin und machten uns auf den Weg. Aber mit Maxim stimmte irgendetwas nicht. Schon als wir den Namen erhalten hatten. Er redete auf der ganzen Reise nicht. Zumindest nicht, wenn er nicht musste. Abends kamen wir an und ich wollte es so schnell wie möglich hinter mich bringen. Viele Jahre zuvor hatte ich mir geschworen, keine Unschuldigen umzubringen, geschweige denn Frauen. Doch ich wusste, ich musste diese Frau töten damit unsere Identität geschützt blieb. Natürlich stellten wir auch sie vor die Wahl, eine von uns zu werden. Doch sie lehnte ab und sagte sie wolle lieber sterben. Durch die Hand des Mannes den sie liebte. Da erst verstand ich. Sie und Maxim waren ein Paar. Ihre Gefühle für einander waren so groß, dass er es nicht konnte. Er konnte es einfach nicht. Genauso wenig wie ich es bei dir gekonnt hatte."
Julien schluckte trocken, ehe er fortfuhr. "Aber wir mussten es tun! Den nur so konnten wir unser eigenes Volk retten. Und da Maxim es nicht konnte, tat ich es. Sie starb in seinen Armen. Er machte mir Vorwürfe. Verständlich. Fakt war, dass ich es getan hatte und es definitiv nicht mein letzter Mord bleiben würde. Maxim ist des Clans verwiesen worden und galt von da an als Abtrünniger. Ich hab ihn nie wieder gesehen. Sein letzter Satz an mich war dass er mich hasste und sich eines Tages an mir rächen würde. Ich solle den selben Schmerz versprühen, wie er als ich seine große Liebe tötete."
Das Klang schrecklich. Wie musste er sich all die Zeit gefühlt haben?
"Julien das Tür mir leid. Es war bestimmt schrecklich, dass all die Jahre mit sich rumzuschleppen."
Er lächelte schwach. "Danke Charly. Allerdings mache ich mir momentan mehr Sorgen um dich als um mich."
"Wieso?" Ich schlürfte vorsichtig an meinem kalten grünen Tee. Wie ich dieses Getränk liebte.
"Wenn es stimmt, was er damals gesagt hat, wird er seine Drohung wahrmachen. Und wie ich Maxim kenne, ist er schon auf dem Weg zu uns."
"Und das heißt jetzt?"
"Das ich dich nicht mehr aus den Augen lasse, bis ich ihn als erstes erledigt habe.", Meinte er ernst. Mir war klar, dass Julien meinte er wolle seinen Bruder töten. Aber hatte er eine Wahl? Ja. Ich oder sein Bruder. Einer von uns beiden musste sterben. Und ich war nicht scharf drauf, diese eine Person zu sein.
"Ich glaube damit kann ich leben.", grinste ich und versuchte die düstere Stimmung etwas zu lockern.
"Okay. Aber es wird sehr, sehr anstrengend.", lachte er und zog mich an sich. Gemeinsam fielen wir nach hinten um, eng aneinander gekuschelt, in die Sonne blickend. Es war wunderschön.
"Ich glaube damit kann ich leben.", lächelte ich und nahm seinen Geruch tief in mir auf. Er roch nach Sommergewitter im Wald. Einfach unbeschreiblich schön. Sein kehliges Lachen hallte über das Dach und ich spürte seine Brust unter mir vibrieren. Ich wünschte ich hätte diesen Moment einfrieren können.

So Leute,
Dass war's für heute mal wieder. Hoffe es hat allen gefallen. Das Kapitel widme ich übrigens einem guten Freund aus Hamburg mit dem ich gestern lange geskyped habe und den ich ziemlich vermisse. Danke dass du mich immer so zum Lachen bringst. Kaum zu glauben, aber so lange hab ich noch nie mit jemandem "telefoniert". Also nochmal ein großes Dankeschön Santi.
An alle anderen da draußen kann ich nur sagen, danke dass ihr noch dabei seid. Genau: Würd mich über ein paar Votes und Kommis natürlich freuen.

Eure

Anna-Lena

Schattenkette (PAUSIERT!)Where stories live. Discover now