Schlüsselübergabe

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Ich hatte nie gewusst, was es bedeutet eine Person zu lieben, dass es wehtat. Das was ich damals mit Lucas hatte war auch eine Art Liebe. Aber etwas anderes als das was ich für Julien empfand. Wir standen wieder in der Fußgängerzone und beobachteten kleine Kinder und ein paar Jugendliche die kreischend durch den Stachus liefen. Der Stachus war bei uns in München ein ebenerdiger Brunnen, bei welchem große Wasserfontänen aus dem Boden schossen. Je nach Windrichtung wurde man schon beim Vorbeigehen nass. Aber an einem solch heißen Tag war der feine Sprühregen, eine willkommene Abkühlung. Schweiß Klimawandel...
Neben mir verzog Julien das Gesicht.
"Was ist los?", fragte ich und schob mir meine Sonnenbrille auf die Nase.
"Ich glaub ich hab mein Handy auf dem Dach vergessen.", erklärte er und verdrehte die Augen.
"Oh ich glaube du wirst langsam vergesslich alter Mann.", kicherte ich und dachte daran, dass er ja schon über 300 Jahre war. Er lachte und küsste mich auf den Scheitel.
"Willst du kurz mitkommen?"
"Ich? Ne, ich warte hier. Hauptsache du kommst wieder.", meinte ich und fuhr mir durch die Haare.
"Wieso? Hältst du es nicht so lange ohne mich aus?", fantasierte Julien und lächelte eingebildet. Ich konnte nicht anders und musste ihm einen Bremser verpassen: "Nein, ich hab nur meine Fahrkarte zu Hause vergessen.", sagte ich lediglich und sah zu, wie ihm das Lachen aus dem Gesicht rutschte. Doch jetzt konnte ich nicht mehr ernst bleiben und fing laut an zu lachen.
"Ha Ha! Wirklich witzig.", kommentierte er meinen Anfall.
" 'tschuldigung! Aber das musste einfach sein." Ich beobachtete sein verärgertes Gesicht und sagte ihm dann, er solle sein Handy holen damit wir endlich nach Hause konnten. Jetzt lachte er und verschwand wieder im
Oberpollinger. Ich setzte mich auf das Geländer hinter dem es zur S-Bahn ging und checkte mein Handy ab. Alles in Ordnung. Keine ungelesenen SMS noch entgangene Anrufe. Das hieß, Jass hatte noch nicht mitbekommen was gestern auf dem Schulparkplatz geschehen war. Gut.
Ich steckte mein Handy wieder weg und wurde kurz darauf von einem Jungen in meinem Alter angerempelt.
"Hey! Pass doch auf!", rief ich und krallte mich an dem Stein unter mir fest, damit ich nicht nach hinten auf die Rolltreppe fiel. Ein Schädelbasisbruch war momentan echt das Letzte was ich brauchte.
Der Typ drehte sich zu mir um.
"Oh Sorry. Hab dich gar nicht gesehen, was irgendwie komisch ist, da mit schöne Frauen wie du, mir eigentlich immer auffallen.", flirtete er gleich ungebremst drauf los. Igitt! Noch offensichtlicher war wohl nicht zu übersehen, was der Kerl mal wieder brauchte...
"Such dir jemand anderen, den du dumm abbaggern kannst.", gab ich Kontra und blickte ihn böse an.
"Oh ich steh auf kratzbürstig.", machte er jedoch nur weiter.
"Hast du mich nicht verstanden?", wurde ich lauter.
"Du sollst dich verziehen und mich in Ruhe lassen!"
"Du siehst aus wie jemand den ich mal vor langer Zeit kannte.", meinte er und drängte sich an mich.
"Ich glaube du hast zu viel Sonne abbekommen.", konterte ich und grinste. Dann nahm ich meinen letzten Schluck eiskalten Tee und goss es ihm über den Kopf und
da er daraufhin nur dämlich lächelte, riss ich mein Knie hoch und traf ihn dort, wo es einem Jungen am meisten wehtat. Er krümmte sich und stöhnte auf. Dann taumelte er einige Schritte von mir weg. In diesem Moment kam Julien wieder zurück und als er den vor Schmerz stöhnenden Kerl sah, schüttelte er den Kopf. "Was ist den mit dem passiert?"
"Er bereut gerade, dass er sich nicht genug im Schatten zurückgehalten hat.", erklärte ich ironisch und Julien schüttelte noch mehr den Kopf.
"Was für eine komische Stadt..."
"Kann man wohl laut sagen!", lachte ich und gemeinsam liefen wir zurück zum Auto. Ich konnte förmlich spüren, wie sich die Blicke des Typs in meinen Rücken brannten.
"Wir sehen uns nochmal.", rief er, aber ich hielt es nicht für nötig mich zu ihn umzudrehen. Das war es nicht wert.
"Okay?!" Julien war verwirrt. Verständlicher Weise. "Sollte ich wissen wollen, was zwischen diesem komischen Kerl und dir vorgefallen ist?"
Ich lachte. "Glaub mir, dass war keine große Sache! Dem hab ich eine Lektion erteil. Der wird nie wieder irgendjemanden blöd anbaggern."
"Oh oh Charly! Da lässt man dich drei Minuten alleine und du verprügelst den nächstbesten Typ. Der Arme." Er schmunzelte.
"Hallo? Der hat mich so superbillig angemacht, da musste ich was unternehmen! Theoretisch ist es dein Job, ihm zu zeigen, dass ich schon vergeben bin. Aber du musstest ja dein Handy auf dem Dach vergessen.", verteidigte ich mich.
"Ach komm schon! Das ist nicht fair! Und das weißt du!", schmollte er. Oh Gott! Das sah so drollig aus, dass ich nicht länger sauer sein konnte. Also lachte ich laut und legte meinen Arm um seine Hüfte. Er lachte ebenfalls, zog mich weiter an sich und kurz darauf lag sein Arm um meine Schultern. Zufrieden schmiegte ich mich an ihn und atmete tief ein. Da war es wieder dieser wunderschöne Sommergewitter im Wald. Gemeinsam bummelten wir noch durch die sommerliche Stadt und durchstöberten noch das ein oder andere Geschäft. Ich fand ein langes blaues Kleid, dass um die Hüfte von einer schwarzen, dünnen Kordel gehalten wurde. Julien war fast in Ohnmacht gefallen, als ich aus der Umkleide kam, dass er es mir sofort gekauft hatte. Zwar hatte ich darauf beharrt es selbst zu zahlen, aber er sagte nur mit einem Augenzwinkern, dass Männer zu seiner Zeit den von ihnen begehrten Frauen immer Präsente machten und er wolle schließlich seinen Wurzeln treu bleiben. Ich hatte nur gelächelt und ihm seinen Willen gelassen.
"Du weißt schon, dass ich so langsam ein schlechtes Gewissen kriege, oder?", fragte ich, als er die Tüten im Kofferraum verstaute.
Er stoppte mitten in der Bewegung "Warum?"
Ich seufzte. "Weißt du Julien, du machst so viel für mich. Du lässt mich bei dir wohnen, deine Autos fahren, kaufst mir Sachen."
"Mit den anderen Autos lasse ich dich sicherlich nicht fahren.", fuhr er grinsend dazwischen.
"Ha Ha! Es ist nicht, dass ich das nicht gut finde! Es ist nur so..."
Ich stockte und suchte nach den richtigen Worten.
"Ungewohnt?", bot er an.
Ich nickte.
Er schloss den Kofferraum. "Ich weiß. Es ist nur so, dass ich die mal etwas Abwechslung geben möchte. Etwas spannendes. Auf das du dich freust. Über das du dich freust. Und selbst wenn du morgens einfach nur deinen Kleiderschrank öffnest, zum Beispiel das blaue Kleid siehst und an diesen Tag heute zurückdenkst. Dabei solltest du lächeln und an mich denken.", stellte er klar.
Ich war ein wenig überrumpelt und wusste nicht recht, was ich jetzt sagen sollte. Daher zuckte ich einfach nur mit den Schultern.
"Ich weiß auch nicht... Tut mir leid.", nuschelte ich und fuhr mir durch die Haare.
"Oh Gott Minette! Entschuldige dich doch nicht, für das bisschen Luxus, das ich die mal gönnen möchte.", lachte er auf.
"Was soll ich dazu noch sagen?" Ergeben hielt ich die Hände über den Kopf.
"Wie wäre es einfach mit Danke?", schlug Julien vor.
Lachend schüttelte ich den Kopf und ging zu ihm. Ich schlang meine Hände um ihn, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Lippen. Er erwiderte den Kuss sanft und ich konnte spüren, wie seine Hände an meiner Seite hinab fuhren. Ich lächelte und trennte mich von ihm. Meine Stirn an seiner lehnend grinste ich mit geschlossenen Augen.
"Was? Was ist?", lachte Julien, als er meinen lächelnden Lippen sah.
"Ich glaube das ist hier ist ein Traum.", erklärte ich und strich mir einige vorlaute Haarsträhnen zurück.
"Dann solltest du besser ganz schnell aufwachen, damit ich dir beweisen kann, dass es definitiv keiner ist!", Flüsterte an meiner Wange und ich lehnte mich weiter an ihn. Die Kette lag warm und unendlich leicht auf meinem Dekolleté. Sie strahlte das, aus wie ich mich in diesem Moment, umgeben von Juliens schützenden Armen, fühlte. Ich fühlte mich nämlich unglaublich leicht, als könnte ich schweben und glücklich. Vorsichtig legte meine Hand auf den Anhänger.
Sofort schellten Juliens Alarmglocken. "Ist alles okay?" Mit einem ersten Gesichtsausdruck musterte er mich von oben bis unten.
"Ja, ich glaube sie und ich sind jetzt Freunde.", stellte ich zufrieden fest und kicherte leise.
Julien lachte. "Na dann bin ja erleichtert."
"Frag mich mal." aber irgendwie stimmte es. Ich hatte angefangen mein Leben mit der Kette um meinen Hals so anzunehmen wie es nunmal war.
"Ich habe ja dich, falls noch mal eine Ego-Krise kommt, bei welcher ich unbedingt anderen Schmuck tragen möchte.", warnte ich vor und wollte zur Beifahrertür gehen. Aber Julien zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. "Was machst du da?"
"Wonach sieht's denn aus?", wollte ich mindestens ebenso verwirrt wissen. "Einsteigen."
"Kommt gar nicht in Frage.", meinte er und warf mir über das Autodach hinweg einen Schlüsselbund zu. Ich fing ihn mit einer Hand auf und betrachtete ihn. Es gab einen silbernen Haustürschlüssel. Zwei Autoschlüssel und einen für die Garage.
"Was soll ich damit?"
"Das sind deine. Hiermit frage ich dich offiziell ob du bei mir wohnen möchtest. Also so nebenbei."
Ich machte große Augen. "Das meinst du nicht ernst."
"Aber so was voll von.", grinste er nur.
Okay, das kam etwas überraschend. Trocken schluckte ich zwei Mal.
"Und die anderen zwei Autoschlüssel?", fragte ich dann mit zittriger Stimme.
"Den Porsche hab ich vorhin, als du auf mich gewartet hast auf dich überschreiben lassen und bei dem Nissan GTR stehst du als zweiter Besitzer drin."
"Das ist nicht dein Ernst?"
Er nickte lächelnd.
"Oh mein fuckin' Gott!", schrie ich und begann wie wild auf der Stelle zu tanzen und im Kreis zu hüpfen. "OhmeinGott! OhmeinGooooooootttttt!"
Ich konnte es gar nicht glauen. Seit Jahren sparte ich jeden einzelnen Cent auf irgendein Auto und jetzt bekam ich gleich zwei solche. Ich tanzte zu Julien küsste ihn auf die Nasenspitze und ließ mich auf den Fahrersitz fallen. Julien stieg lachend auf der anderen Seite ein.
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Laut erwachte der gewaltige Motor zum Leben.
"Geil!", freute ich mich.

Hey Leute,
Es tut mir leid, dass ich so lange nix mehr hochgeladen hab. Dafür gibt's jetzt dieses lange Kapitel. Falls ich es nicht mehr schaffe, vor Weihnachten noch etwas zu posten, wünsche ich euch allen Frohe Weihnachten und eine schöne Zeit, mit hoffentlich ganz viel Schnee!

Eure

Anna-Lena

Der Soundtrack kommt wieder von The Cab und heißt "La La"! Einfach mal während dem Lesen reinhören.

Schattenkette (PAUSIERT!)Where stories live. Discover now