Tag 23

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"Wie du lügst?", Verwirrung machte sich in dem mit Sommersprossen bespickten Gesicht breit.

"Ich lüge mich selbst an."

Wieder verstand er nicht, da ich für ihn wohl in Rätseln sprach.

"Ich lüge mich an, in dem ich mir selbst sage, dass Xavier gleich kommt, das er noch unter der Dusche sei oder er später von der Arbeit kommt, irgendwas, das mich glauben lässt, er kommt gleich wieder."

Tröstend stricht er mir mit der flachen Hand über den Rücken.
"Warum?"

Mein Gesicht wurde von Tränen geflutet.
"Ich kann ohne ihn nicht leben."
Wie der Regen an den Fensterscheiben, liefen die Tränen hinab.

Hilflos nahm Dave mich in die Arme, zusammen wippten wir vor und zurück.
"Es macht mich so traurig, wenn du weinst."

"Da hast du dir ja ne tolle beste Freundin ausgesucht, du weißt doch wie nah ich am Wasser gebaut bin", schluchzte ich.

"Ja, vielleicht bin ich selbstzerstörerisch."

Seine Finger begannen über meinen Bauch zu tanzen und ich müsste lachen, als ich mich aus seinen kitzelnden Händen winden wollte, noch immer traurig.
"Und schon lachst du wieder", triumphierte er mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck. Zumindest für einen Moment.

Dankbar für die kurzfristige Aufmunterung lehnte ich meinen Kopf gegen seinen.

"Lüg dich nicht an", bat Dave flüsternd.

"Ich kann nicht anders", gab ich in der gleichen Lautstärke zurück.

"Versuch es."

"Okay", hauchte ich, obwohl ich wusste, dass ich es nicht konnte.

Einige Zeit hörten wir der Stille beim Schweigen zu, als jemand an der Tür geklingelt hatte und Dave demjenigen aufmachte.

"Frau Schulte!", rief Dave verblüfft und ich machte mich nun doch zur Haustür auf. Was wollte die alte Dame mitten in der Nacht vor meinem Haus?

Die gebrechliche Frau, mit ihrer scheußlich grellpinken Strickmützen unter dem ihre lichten, weißen Haare verborgen waren, stand in vor meinem Haus. Ihre Hände umklammerten die Griffe ihres Gehwägelchens. Der kleine rundliche Dackel stand wedelnd neben ihr.

"Hallo Kinder."

Ihr Gesicht war wie ein Porträt, das jemand zu einem Papierknäul geformt hatte und es dann wieder auseinander gefaltete, als wollte derjenige vergessen, aber nicht können.

"Hallo Evelin", vorsichtig umarmte ich die vertraute Alte.

"Ich habe von dir und Xavier gehört."

Innerlich wappnete ich mich gegen die bekannten Blicke und den Vorwürfen, die ich mir zu genüge selbst machte.

"Ich habe dir etwas zu essen gebracht, bestimmt hast du lange nichts gegessen", überfordert ließ ich meine Arme hängen, denn damit hatte ich nicht gerechnet.

"Danke Frau Schulte", sprang Dave für mich ein und nahm das in Tupperboxen gepackte Essen entgegen.

"Atme Kind", lachte Evelin.

"Danke, ich habe nur nicht...", fiel ich aus der Starre und lächelte ihr schwach zu.

"Jaja", unterbrach mich die alte und dennoch taffe Dame. "Ich kenne deine Situation, du machst dir Vorwürfe und denkst es sei deine Schuld, aber,", sie hob abwehrend die Hand "du hast nur gehandelt, Xavier sollte sich mal an die Nase fassen, dieser Bengel, schließlich hat er übertrieben. Und nun lässt er dich noch hier am Boden zerstört zurück", meckert sie.

Dave schaute die Alte verschmitzt an.

"Glaubt mir Kinder, ihr macht nie etwas falsch, denn es geht weiter, mal schneller Mal langsamer", belehrte sie uns.

"Seht mich an, ich bin zwar langsamer, aber trotzdem geh ich noch voran. Mein Tommy hält mich fit", ein krächzendes Lachen entrang sich aus ihrer Kehle. Als Tommy seinen Namen hörte, bellte der kleine Vierbeiner.

Die matschfarbigen Augen glänzten verschwommen und die vielen Lachfalten umringten diese vor Weisheit strahlenden Augen.
"So, ich muss dann mal wieder. Ich Schildkröte komm sonst vor Abend nicht mehr Zuhause an", lachte sie belustigt über sich selbst.

"Tschüss ihr zwei."

"Tschüss."

Genießerisch legte ich den Kopf in den Nacken und betrachtete den klaren Himmel. Wie viel Zeit vergangen war, seit dem Dave mitten in der Nacht zu mir gekommen war, denn es war inzwischen schon recht früh am Morgen und weshalb die Sonne mein Gesicht wärmend empfing.

Musik: Vadim Kiselev- Tristesse

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⏰ Last updated: May 09, 2020 ⏰

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Herz Weint BlutWhere stories live. Discover now