Abrax oder Esmeralda?

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Alexander

Mit einem Lächeln im Gesicht sortiere ich die Rechnungen der letzten Wochen und hefte sie dann ab. Ich weiß nicht, was los ist aber die Wolken auf den ich schon immer gelaufen bin, scheinen mich jetzt noch weicher durch den Tag zu tragen. Ich war schon immer eher ein fröhliches Gemüt aber das hat heute wahrscheinlich eine neue Stufe erreicht.

"Alec!" Ich sehe verträumt zur Tür und entdecke dann dort eine strahlende Madzie. Ihre Arme hält sie bereits nach oben und so trete ich hinter dem Tresen hervor und fange die kleine Kundin auf. Sie quietscht erfreut auf und auch ich kann nur lautlos lachen. "Na, wie geht es meinem kleinen Krümelmonster?" Ihr scheint es zu gefallen, auf meiner Hüfte zu sitzen und dadurch auch mal eine bessere Sicht zu haben. Interessiert betrachtet sie ihre Umgebung und scheint ganz neugierig zu sein, was man in dieser Höhe noch so alles entdecken kann.

"Hihi, mir geht es gut und wie geht es dem flauschigen Riesen?" Ich schmunzle als ich ein ermahnendes "Madzie Loss." von Cat höre. "Was? Seine Haare sind weich und er ist verdammt groß. Das musst du auch mal ausprobieren, Mama." Der Gesichtsausdruck von Cat ist köstlich. Auch wenn man die Röte bei ihr nicht sieht, merkt man deutlich die Überforderung. "Mir geht es gut, danke der Nachfrage."

Madzie nickt zustimmend und sieht sich dann wieder um. "Sie war heute morgen schon total nervös. So aufgeregt ist sie wahrscheinlich nicht mal vor dem Weihnachtsmann. Ich glaube das liegt an dir" verrät mir dann Cat. Ich fühle mich etwas geschmeichelt, schiebe die Freude dann aber doch lieber auf die Bücher, die damit viel besser umgehen können.

Mit einer kurzen Handbewegung mache ich deutlich, das ich Madzie mit in die richtige Abteilung nehme. "Was hältst du von Abrax?" fragt mich dann meine kleine Kundin und ich weiß sofort das damit der kleine seegrüne Drache aus dem Buch gemeint ist, welches wir beide gelesen haben. "Er ist freundlich und hilft Esmeralda Besenstiel bei ihrem ersten Abenteuer."

Ich lasse meine kleine Kundin herunter und gehe dann ebenfalls wieder in die Hocke. "Aber er wollte erst nichts mit ihr zu tun haben. Erst als sie wirklich Hilfe gebraucht hat, war er zur Stelle und erst danach wurden sie Freunde." Sie runzelt ihre kleine Stirn und auch wenn es gerade nur um ein Kinderbuch geht, weiß ich das so etwas auch im wahren Leben passieren kann. "Er hat Esmeralda erst auf Abstand gehalten, weil er bereits von Vorurteilen geprägt wurde, die ihm andere Zauberwesen entgegengebracht haben. Ich glaube er war am Anfang nur so grummelig, weil er sich selbst vor neuen angreifenden Worten schützen wollte. Abrax hat eine Weile gebraucht um zu verstehen, das die Hexe ihm nie etwas böses wollte."

Madzie setzt sich auf mein Knie und sieht mich interessiert an. "Durch sie glaubt er wieder an das gute in jedem Zauberwesen." Ihre kleinen Hände schieben sich wieder in meine Haare. Sie zwirbelt sie. "Glaubst du an das Gute?" fragt sie dann schonungslos und unbewusst muss ich an Jonathan denken. "Ich habe nicht viel, auf das ich mir was einbilden könnte, aber ich habe viel Herz, viel Gefühl und mein Stolz, der mich auch nach Enttäuschungen immer noch an das Gute im Menschen glauben lässt."

Madzie lächelt mich an und fährt dann mit ihrer kleinen Fingerkuppeln über mein Gesicht. Ich lasse es mit mir machen, schließlich tut es mir nicht weh und Kinder sollen so viel entdecken wie möglich. "Wenn ich groß bin, möchte ich genau so sein wie du." Erstaunt sehe ich sie an. Ich lege meinen langen Arm um das zierliche Mädchen. "Wenn du mal groß bist, solltest genau wie du sein und nicht wie jemand anderes. In einer Welt, wo du alles sein kannst, dann sei einzigartig."

So wie jedes andere Gespräch, welches ich hier im Traumleser führe, genieße ich auch dieses. Sie scheint über meine Worte nachzudenken. Ihre Hand lässt sie sinken. "In meiner Klasse gibt es einen Jungen, der immer alleine da steht, weil ihn andere nicht mögen. Anscheinend hat er irgendwelche Macken. Er ist immer so still, auch wenn man mit ihm redet." Lautlos seufze ich. Die Schulzeit ist eine schöne, lehrreiche Zeit. Es ist klar, das sich nicht jeder mit jedem versteht. Aber es ist wie bei den Erwachsenen, warum lässt man diese Person dann nicht einfach Links liegen? "Hast du schon mal mit diesem Jungen geredet?" frage ich dann und diesem Augenblick ist Madzie eine Kundin, möge sie noch so klein sein, die auch einfach über ihre Sorgen spricht.

"Klar. Er ist voll lieb und ich finde seine Macken gar nicht so schlimm." Ich lächle leicht. "Macken sind auch gut. Jeder hat irgendwelche. Auch ich." Interessiert sieht sie mich an. "Welche hast du?" Kurz überlege ich, was wirklich auffällig ist. "Ich muss sobald ich Geschirr schmutzig mache, es abwaschen. Ich kann es nicht bis abends stehen lassen. In jedes Buch schreibe ich die Seitenzahlen herein, die mir besonders gefallen haben und ich spiele mit meinem Ohrläppchen oder mit meinen Händen, wenn ich nervös bin. Ich könnte dir noch viel mehr aufzählen."

Madzie kichert leicht. "Ich glaube der Junge ist still geworden, weil ihn in der Klasse niemand so richtig ernst nimmt. Er ist wie Abrax vorsichtig geworden." Madzie hüpft von meinem Bein. Sie legt ihre kleine Hand in meine große. "Also bin ich seine Hexe, die ihm beweisen muss, das es gute Zauberwesen gibt?" Ich stupse ihre Nase an. "Richtig und jetzt schauen wir welches Buch wir wieder zusammen lesen, oder?" Begeistert nickt sie. "Du liest es auch wieder?" Ihre Kinderaugen werden ganz groß und ich glaube ganz fest daran, das aus ihr eine tolle Frau mal wird. "Klar. Mir hat 'Esmeralda Besenstiel und der Zauberwald' sehr gut gefallen. Jetzt möchte ich auch wissen wie es weiter geht."

Madzie und ich suchen den zweiten Band heraus und als sie zusammen mit ihrer Mutter den Laden verlässt, mache ich mich weiter an das sortieren. Und auch meine Gedanken gleiten zu ihrem Ursprung zurück. Magnus.

Da ich heute wieder allein im Laden war, schließe ich ihn etwas später. Etta hatte heute wichtige Termine mit bestimmten Verlagen, was irgendwie den ganzen Tag dauerte. Ich selbst mache mich auf dem Weg zu Magnus. Wir haben gestern festgestellt, das ich noch nie 'Dirty Dancing' gesehen hatte und das wollten wir heute nachholen. Ich freute mich auf den Abend.

Als ich vor seiner Wohnungstür stehe, scheint mir doch alles etwas komisch. Ich hatte das Gefühl mit diesem Mann mehr Zeit zu verbringen, als Etta es tat. Ich musste es ihr sagen, das ich ihren Freund immer noch sah. Auch wenn ihr das sicherlich nicht gefallen wird. Vielleicht sollte ich auch mal mit Magnus darüber reden. Heute würde es sich ja anbieten.

Meine Finger betätigten die Klingel und sofort machte mir Magnus die Tür auf. "Wow, nach dir kann man wirklich die Uhr stellen." sagt er, während er auf sein Handy schaut. Ich zucke etwas unbeholfen die Schultern. Sein Gesicht verzieht sich. "Allerdings wird unser Atem etwas anders ablaufen." sagt er dann und ich runzle nur die Stirn. "Meine Mutter ist überraschend vorbei gekommen und möchte jetzt zusammen mit mir essen."

Es erinnert mich an meine eigene Mum, die auch immer vollkommen unerwartet auf der Matte steht. Zum Glück hat sie in den letzten Jahren gelernt, fünf Minuten vorher anzurufen und bescheid zu sagen, das sie gleich da ist. Es bringt mir zwar auch nicht viel, aber ich kann mich wenigstens mental schon darauf vorbereiten.

"Dann komme ich einfach wann..." Ich werde von einer Frau unterbrochen, die sich neben Magnus schiebt. Sie hat die gleichen schwarzen Haare wie er und auch das Lächeln ist identisch. Nur die Augen unterscheiden sich. "Wer ist dieser schöner Mann denn?" Auch ich lächle und reiche dann ihr die Hand. "Ich bin Alec. Ein guter Freund." Sie greift meine Hand. "Schöner fester Händedruck, gefällt mir. Ich bin Marisa, die Mutter von Magnus."

Magnus sieht uns zwei an und kurz versuche ich zu entziffern, ob ihm das gerade gefällt oder nicht. "Wir kochen indonesisch. Möchtest du vielleicht mit essen? Es ist zwar etwas mild, da ich überhaupt kein scharfes Essen mag, aber Magnus hat bestimmt etwas zum nachwürzen" Die Frau hält noch immer meine Hand. "Ich mag auch kein scharfes Essen. Das brennende Gefühl im Mund ist einfach nichts für mich." gebe ich dann zu und ohne ihren Sohn zu fragen, ob es für ihn ok ist, zieht sie mich in die Wohnung. "Oh ja, so geht es mir auch. Bei mir hilft da auch keine Milch oder Toast."

Leicht muss ich lächeln, fast fühle ich mich wie im Traumleser, wo man sich austauscht. Mir ist in dem Moment wahrscheinlich gar nicht so bewusst das, das hier wirklich Magnus' Mum ist.

Kinderbuch ist fiktiv und aus meinen Ideenozean entsprungen.

Lg Krümel

Der VorleserWhere stories live. Discover now