Kapitel 14

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Überarbeitete Version


Schluchzend folgte ich meiner Tasche, die ich einige Sekunden vorher auf den Boden fallen lassen hatte und ließ mich auf die mittlere der drei Stufen vor dem Hause Goretzka fallen. Ich konnte es nicht fassen! Wie konnte Henrik mir das antun? Ratlos legte ich meine Arme um meine aufgestützten Knie und senkte meinen Kopf. Erschöpft von dem ganzen Geheule schloss ich meine Augen, öffnete sie dann wieder panisch, weil die Bilder sich wie ein wiederkehrender Film vor meinem inneren Auge abspielte. Er, blond und blauäugig, wie er an dem Geländer von dem Café am Rande der Flensburger Förde lehnte. Sie, blond und mega dünn, an ihm lehnend. Und das war nicht das Schlimmste, denn plötzlich reckte die blonde Schönheit sich und überwand die wenigen Zentimeter zu Henriks Lippen. Innerlich betete ich, dass er sie von sich stoßen würde, doch es kam anders. Leidenschaftlicher hätte der Kuss nicht werden können. Er hatte die eine Hand in ihren langen Haaren vergraben, während die andere von ihrer Hüfte zum Po glitt und sie somit näher an ihn drückte. Ich schluckte krampfhaft, spürte wie mir vor Entsetzen die Tränen in die Augen stiegen und fast schon panisch rannte ich zu meinem Auto zurück.

Eigentlich wollte ich mir nur für die Heimfahrt nach Bochum einen Kaffee to go holen, doch Dank dieser Aktion war mir die Lust vergangen. In Bochum angekommen wollte ich eigentlich sofort zu meinem Elternhaus, aber im letzten Moment fiel mir ein das meine Eltern und mein Bruder erst Morgen von einem Ausflug Heim kommen würden. Also fuhr ich zum Hause Goretzka in der Hoffnung auf jemanden zu treffen, der mich trösten konnte. Wütend kickte ich einen kleinen Stein zur Seite, traurig auf mich und meine dumme Naivität. Was wollte ein Sportstudent von mir? So einer stand doch nur auf aufgeblasene Blondinen. Jungs waren Schweine! Punkt! Aus! Ende! Plötzlich hörte ich wie zwei Türen zugeschlagen wurden, Schritte die näher kamen und schließlich bekannte Stimmen. „Kommst du später noch zu mir?", schnurrte eine weibliche Stimme, die ich als Marthas Stimme identifizieren konnte. Wie konnte eine Stimme nur so klingen. Leicht angewidert schüttelte ich den Kopf und versuchte weiter zu lauschen. „Sorry, aber ich habe Laura versprochen auf die Kinder aufzupassen", erklärte eine raue Männerstimme, die ich als Leons erkannte. „Wann anders, okay?", beschwichtigte er seine Freundin und es erklangen Kussgeräusche. Ich versuchte mein Schluchzen zu unterdrücken, damit ich nicht ausgerechnet von meinem Exfreund und dessen Freundin völlig verheult entgegen treten musste.

„Warte mal!" Die Schritte verstummten. „Da war was im Vorgarten meiner Eltern." „Man Leon, lass das doch. Das war bestimmt nur ein Vogel." Martha klang genervt. Schritte erklangen wieder und Leon schob sich durch das halbgeöffnete kleine Holztürchen in den Vorgarten. „Lenny!", rief er erstaunt aus. Schluchzend sprang ich von der Stufe und fiel ihm völlig verheult um den Hals. Er schwankte, hatte sich dann aber wieder im Griff und umschlang mich mit beiden Armen. „Was ist denn passiert?", murmelte er mir ins Ohr, bevor er tröstend mehrmals über den Rücken strich. „Mann Leon, wo bleibst du denn?" Martha erschien aufgebracht im Gartentor und blieb erstarrt stehen, als sie sah, dass Leon mich umklammert hielt. „Was will DIE denn hier?", spuckte sie wütend aus und musterte mich wie ein ekliges Insekt. Instinktiv drückte ich meinen Kopf noch fester in seine kuschelige Winterjacke, die unvergleichlich nach seinem Waschmittel roch. „Das weiß ich auch nicht. Das einzige was ich weiß, das ich mich jetzt um Elena kümmern werde", erklärte Leon sachlich an seine Freundin gewandt. „Na dann viel Spaß, meld dich wenn du wieder normal bist", zickte sie rum und machte auf dem Absatz kehrt. „Na los. Gehen wir rein und du erzählst mir was passiert ist?" Leon schaute mich aufmunternd an und schloss die Haustüre zu seiner Wohnung auf.

Während Leon Schlüssel und Jacke aufhängte, schlüpfte ich aus meinen Schuhen und blickte mich anschließend unsicher um. „Geh du ruhig ins Wohnzimmer. Ich komme gleich nach." Sanft schob er mich in den nächsten Raum. Ohne was zu sagen lief ich zum Sofa und setzte mich darauf. „Hier!" Wenig später reichte Leon mir eine Tasse mit heißem Tee. Dankend blickte ich ihn an und umklammerte die Tasse mit meinen eiskalten Fingern. Erst jetzt fiel mir auf, wie durchgefroren ich überhaupt war. „Hoffentlich wirst du nicht krank." Besorgt blickte Leon mich an, „Wie lange saßt du denn da draußen?" „Keine Ahnung, vielleicht eine halbe Stunde." Unsicher erwiderte ich seinen Blick. „Willst du mir erzählen, was dich so aus der Bahn geworfen hat?", fragte Leon leise. „Das letzte Mal als ich dich so gesehen habe, war bei meiner Urlaubsbeichte." Er stockte. „Was ist denn passiert, Lenny?" Leon kniete nun vor mir, hatte eine Hand auf meinem Knie gelegt, die andere lag an meiner Wange. „Henrik...", fing ich zögernd an, „Henrik, ich war paar mal mit ihm aus. Er war ein guter Freund und fast in all meinen Kursen. Wir haben uns gut verstanden, haben ein Projekt zusammen gestaltet. Wir waren auf dem guten Weg mehr als nur gute Freunde zu werden, dachte ich zumindest!" Ich schluckte schwer und senkte meinen Kopf, um nicht in Leons Augen schauen zu müssen.

„Heute Vormittag habe ich ihn gesehen. Ich wollte mir eigentlich nur einen Kaffee kaufen für die Heimfahrt. Er hatte eine blonde Frau im Arm und sie geküsst." Ich schluchzte erneut auf, doch da hatte Leon mich schon in seine Arme gezogen.


„Sie war völlig fertig", flüsterte eine männliche Stimme. „Kein Wunder, die Arme. Dieses Arschloch, wenn ich den in die Finger kriege, der kann sich warm anziehen", zischte eine andere Stimme, jedoch eindeutig weiblich. „Du kennst den?", fragte die erste Stimme irgendwie vorwurfsvoll. „Ja ich hatte ihn vor paar Wochen kennen gelernt. Er war mega nett und sympathisch. Sie wirkte endlich wieder glücklich. Dir hatte ich nichts davon erzählt, weil ich wusste, wie sehr dich das belastet, trotz Martha." Langsam räkelte ich mich und blinzelte. Meine Augen taten furchtbar weh und waren garantiert rot geschwollen vom Weinen. „Hey Süße!" Louisa hockte sich neben mich auf das Sofa. Erstaunt richtete ich mich auf und begegnete Leons Blick, welcher am Türrahmen zur Küche lehnte. „Hey." Ich krächzte und erwiderte stumm ihre Umarmung. „Ich lass euch dann mal alleine. Laura wartet schon!" Leon umarmte seine Schwester und drückte mir sanft einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich Jacke und Schuhe anzog. „Ich komme in circa zwei Stunden wieder!" Er lächelte kurz und winkte.

Da ich wusste, dass Louisa nicht eher Ruhe geben würde, bis ich ihr alles erzählt hatte, tat ich dies. „Und dann stand ich hier vor eurem Haus und keiner war da, außer Leon", schloss ich ab und blinzelte gegen die erneute Tränenflut. „Ich bin sofort losgefahren, als Leon mir Bescheid gegeben hatte", erzählte sie und angelte nach ihrer Tasche. „Also ich habe Schokoeis und ganz ganz viele Filme." Sie lächelte mich vorsichtig an.


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