Die Landung

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Ich saß in meiner Einzelzelle und malte an dem Bild weiter, was ich angefangen hatte, seitdem ich vor fast einem Jahr hier rein gekommen war. Ich malte die Erde, wie bei fast allen meinen Zeichnungen. Diese Zeichnung zeigte den Mond, wie er von der Erde aus aussehen musste. Bis jetzt hatte ich den Mond nur von der Weltraumstation aus gesehen. Seit vier Generationen lebten die Menschen im All, da die Erde vor fast 100 Jahren durch einen Atomkrieg zerstört wurde und ein Leben auf ihr durch die Strahlung unmöglich wurde. Auf der Ark gab es 12 Stationen, die alle Menschen der 12 Nationen beherbergten, die überlebt hatten, da sie funktionsfähige bemannte Raumstationen hatten. Den Mond konnte ich von hier aus nur halb und aus einiger Entfernung sehen, aber auf meinem Bild sah er voll und riesig aus. Ich musste die Zeichnung auf den Boden der Zelle zeichnen, da es nicht genug Papier gab, was man für das Zeichnen opfern konnte. Auch die Wände meiner Zelle waren mit mehr oder weniger großen Gemälden verziehrt. Leider konnte man sie nur in schwarz - weiß und grauabstufungen betrachten, da es keine farbigen Stifte gab, was ich sehr bedauerte. Ich hatte so viel gemalt, weil ich nichts anderes tun konnte, seit ich eingesperrt war. Und es half mir, über den Tod meines Vaters hinwegzukommen. Er war gefloatet worden, weil er des Hochverrats beschuldigt gewesen war und der stellvertretende Ratsvorsitzende hatte mich in die Anklage mit eingebunden, weil ich von der schrecklichen Neuigkeit wusste, die mein Vater herausgefunden hatte. Er hatte nämlich gewusst, dass der Sauerstoff, der auf der Ark gespeichert war, nicht reichte, um alle Menschen noch über mehrere Jahre zu versorgen. Der Rat, also eine Art Regierung hier oben, hatte beschlossen, diese Nachricht dem Volk zu verheimlichen, um Unruhen zu vermeiden und keine Panik auszulösen. Mein Vater und ich waren jedoch der Meinung gewesen, dass die Leute ein Recht hatten, es zu erfahren. Da mein Vater vorgehabt hatte, es zu veröffentlichen, wurde er angeklagt und getötet. Hier oben wurden viele Verbrechen mit dem Tod bestraft und der Grund, warum ich noch am Leben war, war dass ich noch keine 18 Jahre alt war und nicht gefloatet werden konnte. Doch in ein paar Monaten war ich 18 und würde das gleiche Schicksal haben wie mein Vater. Um zu verhindern, dass ich das Geheimnis weitererzählen konnte, saß ich jetzt in der Einzelzelle und malte an dem Bild weiter. Ich hatte einen Wald mit Bäumen, Gräsern und Wildblumen gezeichnet, in den der Mond hineinschien. Ich hatte Bilder wie dieses oft in alten Büchern von der Erde gesehen, die gerettet werden konnten und ins All mitgekommen waren. Sie wurden in der Bibliothek aufbewahrt, in der ich früher oft stundenlang gessesen hatte und darin gelesen hatte. Ich hatte mich schon immer für die Erde interessiert und in meinen Bildern zeichnete ich sie, wie ich sie mir vorstellte. Doch die Erde würde nach unseren Untersuchungen erst in 100 Jahren wieder bewohnbar sein. In Gedanken verloren zeichnete ich den Baum, als das Licht in meiner Zelle angeschaltet wurde und zwei Wachmänner den Raum betraten. Sie trugen die schwarzen Jacken der Garde und kamen in die Zelle hinein. „Gefangene 721, Gesicht zur Wand!", befahl einer von ihnen und ich stand auf und folgte der Anweisung. Alles andere würde mir nur Probleme einhandeln. Trotzdem fragte ich mich, was sie hier machten. Sie konnten mich noch nicht töten, da ich noch nicht alt genug war und sie waren, ihrem Ton nach zu urteilen, diesmal nicht gekommen, um mir Essen zu bringen. Ich drehte mich zur Wand und fragte, was sie wollten, aber der Wachmann herrschte mich nur an: „Ruhe!" Dann öffnete er eine kleine Box und holte etwas heraus, was ich über meine Schulter hinweg nicht erkennen konnte. „Streck deinen rechten Arm aus", verlangte er und ich entgegnete, dass ich erst in ein paar Monaten 18 wurde. Es konnte doch nicht sein, dass sie die Tötungen schon vorgezogen hatten?! Der Wachmann ging nicht darauf ein und wiederholte seine Forderung. Als Druckmittel fuhr er jetzt den Stab aus, der Ungehorsamen Elektrostöße zufügte. Ich fügte mich und er hielt ein breites silbernes Armband vor mich. Auf der Vorderseite war ein etwas kleineres schwarzes Feld und ich fragte mich, wozu dieses Armband gut sein sollte. Die Wache griff unsanft nach meinem Arm und ich konnte die kleinen Stäbchen an der Innenseite des Bandes erkennen, die sich jetzt durch meine Haut bohrten, als der Wachmann es um mein Handgelenk legte. Die metallenen Zacken schnitten in meine Haut und ich meinte spüren zu können, wie tief sie sich hineinbohrten. Der Wachmann hielt mich jetzt an meinem Arm fest und sie führten mich hinaus auf den Gang. Meine Tür zu der Zelle wurde verriegelt und ich stand vor dem Geländer der Etage, auf der sich die Einzelzellen befanden. Wie in einem Rundweg waren die Zellen und Gänge in einem Rechteck angeordnet und ich konnte auf die gegenüberliegenden Seite und die anderen Einzelzellen blicken. Aber irgendetwas störte mich an dem Bild, das ich sah und ich befreite mich aus dem Griff der Wache und lief zu dem Geländer vor mir. Es war der Lärm, der mich gestört hatte. Und jetzt sah ich auch, woher er kam. Überall, auf allen Seiten der Etage wurden in diesem Moment die jugendlichen Häftlinge aus den Zellen geführt. Als ich mich am Geländer abstütze, konnte ich auch die Etagen unter mir erkennen, die durch Treppen an der rechten Seite zu erreichen waren. Auch in den unteren Etagen wurden die Inhaftierten aus den Zellen geholt, einige unter großen Protesten. Wollten sie uns etwa alle direkt floaten, um so mehr Sauerstoff zu sparen?! Die Wachen waren wieder bei mir und versuchten, mich weiterzuziehen, aber ich hielt mich eisern an dem Geländer fest. Das konnten sie nicht machen! „Jade!", hörte ich eine bekannte Stimme rufen und drehte mich in die Richtung meiner Mutter. „Lassen Sie sie los und warten Sie hier", befiehl sie den Wachen, die ihrer Anweisung Folge leisteten. Meine Mutter war Mitglied im Rat und außerdem eine der Ärzte auf der Ark. Sie kam auf mich zu und ich fiel ihr beinahe in die Arme. „Mom, was ist hier los?", fragte ich sie aufgeregt und mir kamen fast die Tränen, als ich mir vorstellte, sie jetzt das letzte Mal zu sehen. Seit mein Vater nicht mehr da war, war meine Mutter umso wichtiger für mich geworden. Ich konnte sie nicht auch noch verlieren! Als sie mir nicht direkt antwortete, wagte ich, ihr die Frage zu stellen, vor deren Antwort ich mich fürchtete. „Sie töten uns alle, nicht wahr? Sie verschaffen sich Zeit, um die Bevölkerung zu verkleinern", redete ich weiter und sah in ihre braunen Augen. „Jade, ihr werdet nicht hingerichtet!", erklärte sie und schaute mich eindringlich an. Für einen kurzen Moment war ich erleichtert, aber ich fragte mich, wozu das Ganze hier sonst dienen sollte. „Sie werden euch auf die Erde schicken!", gab meine Mutter die Antwort auf meine ungestellte Frage. „Euch alle, 100 Jugendliche!" Jetzt war ich fassungslos. Das konnte nicht sein, es hieß die Erde war noch nicht bewohnbar! „Das kann nicht sein, die Erde ist nicht sicher!", protestierte ich und sah verzweifelt zu ihr. „Das wollen sie damit herausfinden", erklärte sie in sanftem Tonfall und schaute mich durchdringend an. „Das gibt dir die Chance zu leben, Jade!" Vorausgesetzt, die Strahlung auf der Erde nach der nuklearen Katastrophe würde uns nicht direkt alle umbringen. „Dein Gefühl wird dir sagen, dass du dich zuerst um die anderen kümmern musst, genau wie dein Vater." Die Erwähnung meines Vaters Jake brachte mich fast zum Weinen, aber meine Mutter redete weiter. „Aber sei bitte vorsichtig, ich kann dich nicht auch noch verlieren!" Ich sah sie traurig an und sie schloss mich noch einmal in eine Umarmung. „Ich kann dich auch nicht verlieren, Mom", erwiderte ich und spürte, wie sie mir durch meine hellbraunen Haare strich. „Ich liebe dich so sehr!", sagte sie und nahm mein Gesicht in ihre Hände. In diesem Moment spürte ich, wie ein Pfeil in meinen Rücken stieß und ich nach vorne in die Arme meiner Mutter fiel, bevor ich das Bewusstsein verlor und die Dunkelheit mich umhüllte. „Die Erde, Jade! Du wirst die Erde sehen!", hörte ich die leise Stimme meiner Mutter, die sich anhörte wie aus weiter Ferne und sich tief in mein Unterbewusstsein eingrub. Danach hörte ich nichts mehr.

The 100 - Down On Earth [German]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt