Sklaverei

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Sein Äußeres mochte vielleicht auf Hochglanz poliert sein, doch sein Inneres war vollkommen zerrissen. Minhyuks Herz fühlte sich dunkel und schwer an, es drohte jeden Moment in einem Ozean aus Trauer und Blut zu versinken. Er war tot. Nicht im medizinischen Sinne, sondern emotional. Nicht einmal das helle grau des Anzugs, der glitzernde Schnee oder die neue Haarfarbe vermochten seine Stimmung zu heben, konnten kein Licht im Dunkeln versprechen. Nichts konnte das. Die Welt würde niemals wieder hell erstrahlen, es würde kein Glück, keine Freude mehr spürbar sein. Auf einmal erschienen ihm alle „schrecklichen" Ereignisse der Vergangenheit lachhaft unbedeutend. Er hatte körperlichen Schmerz erfahren, wurde gekränkt und erniedrigt. Doch nichts auf dieser Welt würde diesem Schmerz, den er in diesem Augenblick verspürte, gleichkommen und nichts würde ihn jemals lindern können.

Minhyuk starrte geistesabwesend durch das kleine Fenster, auf dessen Sitzbank er sich niedergelassen hatte. Neue Falten bildeten sich auf dem gebügelten Stoff, ruinierte die Arbeit eines der Hausmädchen, aber es war ihm egal. Ihm war alles egal. Er konnte nicht mehr atmen, nicht mehr lächeln und inzwischen nicht einmal mehr weinen. Zudem war er sich nicht sicher, ob er überhaupt noch etwas fühlen konnte, außer dem tiefsitzenden Schmerz. Der Dunkelhaarige hatte keine Ahnung, wie viel Zeit genau vergangen war. So viel Zeit, dass sein gebrochenes Bein schief heilen konnte, auch wenn es sich wahrlich nicht nach einer Heilung angefühlt hatte. Durch die verzögerte Behandlung bildeten sich Komplikationen und es schmerzte noch immer beim Auftreten. Es war eine lebende Erinnerung an diesen schicksalshaften Tag, also vermied er es einfach zu laufen. Wohin sollte er auch laufen. Es gab nichts, für das es sich zu laufen lohnte, kein Ort, an den er gehen könnte. Es fühlte sich manchmal an, als wäre er in einer Seifenblase gefangen, die nichts durchdringen konnte. Nicht einmal das schrille Gebrüll seines Besitzers. Alles prallte an der schimmernden Hülle ab. Hyunwoo schaffte es nicht ihn aus dieser Art Trance herauszuholen, nicht mit Worten und schlagen konnte er ihn auch nicht. Er machte sich jedoch einen Spaß daraus, Minhyuks krummen Knochen zu quälen. Teilnahmslos ließ er alle Strapazen über sich ergehen, in der Hoffnung es würde bald ein Ende finden. Eines, dass ihn mit Jooheon wiedervereinen würde.

„Kann er denn überhaupt reden?", wollte der fremde Mann mit gezücktem Stift wissen. Er sah relativ jung aus, war vermutlich nicht viel älter als Minhyuk selbst. Hyunwoo hatte ihn kommen lassen, um ein Gutachten über seinen verbrauchten Sklaven erstellen zu lassen, eine Notwendigkeit vor dem Verkauf. Der Prüfer hatte einen schmalen Körperbau und eine schlaksige Haltung. Auf seiner großen Nase nahm eine braune Hornbrille Platz, die ständig nach unten rutschte. Mit fahrigen Bewegungen schob er sie immer wieder auf ihren ursprünglichen Platz zurück. Sie harmonierte farblich recht wenig mit seinem pastellblauen Anzug, dessen Krawatte unordentlich geknotet war. Seine Erscheinung ließ wahrlich nicht darauf schließen, dass er andere Menschen nach deren Aussehen bewertete. Die Stimme des Gutachters war hoch, wirkte aber ernst und bestimmt, stand ein wenig in Kontrast zu seinem schlampigen Auftreten. „Selbstverständlich. Er hat eine ganz zauberhafte Stimme", versicherte ihm Minhyuks Besitzer mit einem falschen Lächeln im Gesicht. Am liebsten hätte Minhyuk ihn angeschrien, aber seine Kehle fühlte sich trocken an, es kam kein Ton heraus. Der Sklave wusste nicht, ob er bleiben, oder diesen Ort für immer verlassen wollte. Trotz seiner Gefangenschaft hatte er viele wertvolle Erinnerung an dieses Anwesen. Gemeinsame Bäder, Momente der Zweisamkeit in seinem kleinen Schlafgemach, ein heimlicher Mitternachtssnack mit gestohlenen Lebensmitteln aus der ihm verbotenen Küche. Nächtliche Spaziergänge durch den wunderschönen, vom Mondlicht erhellten Garten. Gelächter und Streit. Liebe und Freundschaft. Ganz egal wie ihre Lebensweisen aussahen, ganz egal in welcher Gemütslage sich Hyunwoo befand, ganz egal wie oft er schon hinter diesen Mauern geweint hatte...es war der Ort, an dem er grenzenloses Glück gefunden hatte. Aber es war auch der Ort, an dem ihm jenes Glück auf grausame Weise wieder entrissen wurde. Hyunwoo war bekanntlich sehr temperamentvoll, leicht verstimmbar und unter den Sklaven allgemein als Diamantendrache bekannt. Seine hässlichste Fratze offenbarte sich jedoch erst zum Schluss.

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⏰ Last updated: Jun 03, 2020 ⏰

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