40

3.3K 211 60
                                    

Die Tatsache, dass ich heil und unversehrt zuhause angekommen war, glich einem Wunder. Auch wenn ich den Großteil meiner Tränen auf einem Parkplatz irgendwo zwischen San José und Bakersfield vergossen hatte, blieb der Tränenschleier über meinen Augen hartnäckig und ließ mein Umfeld von Zeit zu Zeit vollkommen unscharf werden.

Inzwischen war es später Nachmittag und die Sonne ging allmählich unter. Ich fühlte mich unendlich müde und wollte nichts sehnlicher, als einzuschlafen und festzustellen, dass es sich bei den vergangenen Stunden nur um einen dummen Albtraum oder ein Hirngespinst meiner Fantasie gehandelt hatte.

Leider entsprach weder das erste, noch das zweite der Wahrheit. Inzwischen konnte man es durchaus als ernüchternd bezeichnen, wie oft ich diesen Wunsch innerhalb der letzen zwei Jahre gehegt und nicht erfüllt bekommen hatte.

Daher lag ich nicht in meinem Bett und quälte mich damit, trotz meiner kreisenden Gedanken Schlaf zu finden, sondern saß mit einer Tasse heißem Tee in der Küche auf einem der Holzstühle, die meine Eltern erst vor kurzem aussortiert hatten und starrte einen Fleck auf der weißen Wand mir gegenüber an.

Sollte ich mein Apartment vielleicht einmal vollkommen umgestalten? Viel Liebe hatte ich in meine derzeitige Bleibe nicht gesteckt, da ich sowieso recht selten hier war und lediglich ein Bett und eine Küche brauchte, um glücklich zu sein.

Ich hatte meine Beine an die Brust gezogen und lehnte mit dem Rücken gegen die Stuhllehne, deren Musterung sich allmählich penetrant in meinen Rücken bohrte.

Eigentlich hatte ich mir im Auto vorgenommen, ihn noch einmal anzurufen und mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen, ihn hier in Los Angeles – bei mir – zu halten. Doch jetzt, wo das Adrenalin und der brodelnde Kessel an Hormonen wieder zur Ruhe gekommen waren, stellte ich fest, dass ich nicht den Mut dazu hatte, seine Nummer zu wählen.

Eine Mischung aus Angst, Stolz und Hoffnungslosigkeit hielten mich davon ab, mein Handy überhaupt anzusehen.

Angst, dass ich es nicht schaffen könnte, ihn zum Bleiben zu überreden. Mein nerviger Stolz, der nicht zulassen wollte, dass ich klein beigab und für etwas kämpfte, wofür er scheinbar nicht gekämpft hatte. Und eine Hoffnungslosigkeit, die mir wie ein kleiner Dämon ins Ohr flüsterte, dass ich nichts mehr tun konnte. Wenn er bereits diesen Freitag flog, dann war es beschlossene Sache und schon eine Weile in Planung.

Wut keimte in mir auf. Wieso hatte er mir nichts davon erzählt? Dachte er, dass ich vor ihm in Tränen ausbrechen würde? ›Was du ja auch getan hast‹, flüsterte eine kleine, bösartige Stimme in meinem Kopf, die ich geflissentlich ignorierte. Dachte er, dass ich ihn und seine Entscheidung nicht verstanden hätte? Er hätte nur mit mir reden müssen und mich nicht wie ein dummes, kleines Mädchen im Dunkeln tappen lassen.

Ich stellte die Tasse voller Pfefferminztee mit Bedacht zur Seite, bevor ich aufsprang und damit begann, meiner Wut und dem Frust, der vehement in mir wütete, Luft zu machen:

»Warum zur Hölle ist Liebe so kompliziert? Da denkt man einmal, dass man Glück in diesem Spiel aus Anziehung und Abstoßung und hormonellen Kriegen gefunden hat und dann wird es einem direkt vor der Nase weggezogen.
Was habe ich gemacht, damit ich das verdient habe?«, schnaubte ich und tigerte von einer Seite meines kleinen Apartments zur Nächsten.

»Gut, ich habe in der High School vielleicht die ein oder andere schlechte Tat vollbracht, aber das rechtfertigt doch noch lange nicht, mich jetzt deswegen zu bestrafen«, setzte ich fort und raufte mir frustriert die Haare. »Ich arbeite doch jetzt jeden Tag für gutes Karma. Ich verdiene mir mein Brot damit, gutes Karma anzuhäufen. Es kann doch nicht sein, dass diese ganze Arbeit für die Katz ist.«

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt