19. Stolz statt Sorge

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~27.03.20??~

Da der Abreisetag von Enrico immer näher rückte und er Thomas bis jetzt noch nicht angetroffen hatte, beschloss er heute mal bei ihm vorbeizuschauen. Er war immer noch der Meinung, dass Thomas ebenfalls eine Entschuldigung verdient hatte. Denn schließlich waren sie Freunde und das sollte auch so bleiben. Deswegen betätigte er die Klingel und kurz danach wurde ihm die Tür von Karin geöffnet.

"Oh, hallo Enrico. Was führt dich denn zu uns?", fragte sie.
"Ich wollte mich von euch verabschieden, da ich morgen zurück nach Italien fliege. Außerdem wollte ich nochmal mit Thomas sprechen..."
"In Ordnung, komm doch rein! Ich vermute er ist im Wohnzimmer."
"Okay, danke."

Also lief er in den genannten Raum und begrüßte dort Biggi und Thomas.

"Mit dir hätte ich ja gar nicht gerechnet. Was gibt's denn?", fragte Biggi.
"Zum einen wollte ich mich von euch verabschieden, da ich morgen wieder zurück nach Italien fliegen werde. Und zum anderen bin ich gekommen, weil ich Thomas noch was schuldig bin..."
"Du mir?... Ach doch, jetzt fällt es mir wieder ein. Du willst mir bestimmt die Zehntausend vorbeibringen, die du dir mal bei mir geliehen hattest. Okay nein, Spaß bei Seite. Ich wüsste nicht was..."
"Ich schon. Mein Verhalten letztens war einfach nicht okay. Deswegen möchte ich mich wenigstens bei dir entschuldigen.
"Schon in Ordnung. Ich kann deine Wut durchaus verstehen. Mit sowas muss man erst mal fertig werden..."
"Nein, es ist nicht einfach so in Ordnung. Wir sind Freunde und kamen immer gut miteinander klar. Aus diesem Grund hast du die folgenden Worte verdient. Es tut mir leid, dass ich dich letztens so angeschrien habe. Ich hatte mich einfach nicht mehr unter Kontrolle, als ich das mit euch erfahren habe. Auch, wenn es in mir immer noch schmerzt, muss ich es akzeptieren und wünsche euch nur das allerbeste..."
"Danke, das wünschen wir dir natürlich auch. Und hoffen, dass du in Italien wieder glücklich werden kannst", meinte Thomas.
"Das werde ich bestimmt. Ich komme euch selbstverständlich auch mal wieder besuchen. Aber momentan habe ich einfach ein bisschen Abstand von Deutschland nötig..."
"Nimm dir die Zeit, die du nötig hast...", meinte Biggi.
"Vielen Dank, für euer Verständnis."

Dann verabschiedete sich Enrico von den beiden, bevor er das Haus verließ.

Auf der Basis kam gerade die B-Crew an, um die A-Crew abzulösen. Jens, Mark und Peter kamen gerade von ihrem letzten Einsatz zurück und griffen nach den Taschen. Max kam schon panisch angestürmt und überprüfte wieder den Heli nach irgendwelchen Macken. Als er zum Glück nichts feststellen konnte, atmete er erleichtert aus und begann damit, den Heli wieder vollzutanken.

"Papa, Papa!", rief plötzlich jemand, was dazu führte, dass Jens augenblicklich stehen blieb und sich umdrehte. Es handelte sich um seine Tochter, die gerade schwer bepackt an der Basis ankam.
"Anna? Wie ist es denn möglich, dass du mich besuchen kannst?", fragte er und schloss seine Tochter erst mal in die Arme, nach dem sie ihr Gepäck an der Hauswand abgestellt hatte.
"... Ich habe eine Entscheidung getroffen. Und jetzt muss ich einfach mal hoffen, dass du nicht sauer bist..."
"Habe ich denn überhaupt einen Grund dazu?"

Sie zuckte nur mit den Schultern und begann dann zu sprechen.

"Das weiß ich nicht. Je nach dem wie du es auffassen wirst..."
"Na dann erzähl mal."
"Am besten mache ich es kurz... Ich werde wieder hierher ziehen. Einfach weil es mir in München nicht so gefällt. Und bevor du jetzt denkst, dass es bestimmt wegen der Ausbildung ist, muss ich dich enttäuschen. Weil ich trotzdem noch vorhabe, meine Ausbildung zur Sanitäterin weiter zu führen. Es ist einfach mein Traumjob und durch jede Handlung verstärkt sich mein Willen, diesen Job auszulernen. Es liegt einfach an der Gegend. München ist zwar wunderschön und wäre wohl einer der besten Orte für meine Ausbildung, aber trotzdem gibt es etwas, auf was ich bis vorhin verzichten musste. Und das sind meine ganzen Freunde und außerdem auch meinen Papa, den ich schrecklich vermisst habe!"
"Dass du es wirklich ernst meinst, mit deinem Job, habe ich inzwischen verstanden. Aber ich verstehe jetzt nicht so ganz, wo da das Problem liegt und weswegen ich sauer sein sollte. Es wundert mich aber trotzdem, da du anfangs davon so begeistert warst. Aber Entscheidungen musst immer noch du treffen und du bist inzwischen alt genug, um selbst zu entscheiden was richtig ist."
"Wow... du glaubst gar nicht, wie glücklich mich das macht!"

In diesem Moment kam auch Peter dazu.

"Ich weiß, unpassender Zeitpunkt. Aber gilt das Angebot, dass du mich nach Hause fährst noch? Weil Ralf ist mit dem Wagen bestimmt noch unterwegs. Und Mark möchte ich auch nicht fragen, weil er und Gina sowieso kaum gemeinsame Zeit haben...", meinte Peter.
"Achso ja... Sorry, dass Ralf dein Auto hat, habe ich fast wieder vergessen... Wir fahren gleich los."
"Ja, schon in Ordnung. Eilig habe ich es sowieso nicht."

Da Florian durch Mark in einem Gespräch zufällig mitbekam, dass Jens' Tochter gerade an der Basis angekommen war, wollte er diese sofort begrüßen. Allerdings hatte er Zweifel, weil Jens ihn früher immer davon abgehalten hatte, ihr in irgendeiner Form näher zu kommen. Und vermutlich würde er das immer noch tun. Aber Anna war doch alt genug, um selbst zu entscheiden, mit wem sie ihre Zeit verbringen möchte. Aus diesem Grund ließ er sich von den Zweifeln auch nicht weiter aufhalten und ging hinaus. Er hatte Glück, dass Jens gerade ziemlich abgelenkt war, weil er mit Peter irgendwas diskutierte. Und vermutlich würde er gleich wieder einen Grund mehr haben.

Anna wurde sofort auf ihn aufmerksam, ging ein wenig abseits mit ihm und zog ihn dann in ihre Arme.

"Ich glaube, sie hat mir gerade doch einen Grund gegeben, um sauer zu werden! Mir reicht's!", meinte Jens, als er die beiden zusammen erblickte und gerade auf sie zu laufen wollte. Er kam nur nicht dazu, weil Peter ihn an seiner Schulter zurück gehalten hatte.
"Jens... ich will dir da auf keinen Fall reinreden, aber deine Tochter ist doch alt genug, um selbst zu entscheiden, oder etwa nicht?"
"Ja, das darf sie ja auch. Aber doch nicht ausgerechnet Florian!"
"Warum denn nicht? Nur weil er dein Kollege ist?"
"Ja, das ist ein Grund. Aber es gibt noch einen weiteren..."
"Und der wäre?"
"Nur durch ihn hat sie überhaupt ihre Ausbildung als Sanitäterin angefangen! Meine Bedenken hat sie total ignoriert. Denkst du ich will, dass sie sich ständig in Gefahr bringt? Ich habe wirklich keine Lust, sie jetzt zu verlieren, wo ich mir doch wieder so eine gute Bindung zu ihr aufgebaut habe!"
"Okay, ich kann deine Angst nachvollziehen. Aber du musst auch mal an dich denken. Glaubst du, sie will dich verlieren? Du fliegst auch viele riskante Einsätze und trotzdem liebst du deinen Job und würdest das Fliegen nie aufgeben."
"Ja, das würde ich nie können. Fliegen ist einfach eine Droge, von der man nie wieder loskommt, sobald man einmal angefangen hat. Aber es geht hier gerade ja nicht um mich, sondern um sie. Und ich bin einfach der Meinung, dass der Job nicht das richtige für sie ist."
"Das wird sich mit der Zeit zeigen. Aber ihre Erfahrungen sollte sie schon selbst sammeln dürfen, oder etwa nicht?"
"Ja, das will ja eigentlich jeder..."
"Na also! Und jetzt denk mal an Thomas' Mädels... Sie sehen ihren Vater als Vorbild und haben deswegen angefangen Medizin zu studieren. Sie wollen beide auch Menschenleben retten. Ob sie es schaffen, wird die Zeit zeigen. Aber er ist so wahnsinnig stolz auf seine beiden Töchter. Und das solltest du auch sein. Du solltest deine Tochter lieber unterstützen, statt es ihr schlecht zu reden..."
"Du hast recht..."
"Und du musst doch zugeben, dass Florian ein netter Kerl ist. Sei doch froh, dass sie mit jemanden Zeit verbringt, der ihr gut tut und mit dem sie glücklich ist. Außerdem scheint er es wirklich ernst zu meinen... Also warum akzeptierst du es nicht einfach so wie es gekommen ist? Oder hast du einen Grund, es nicht zu tun?"
"Nein, den habe ich eigentlich nicht. Und ich weiß ja auch, dass er es ernst meint. Sonst hätte er mich bestimmt nicht so hartnäckig über sie ausgefragt..."
"Na eben. Dann lass sie doch bitte ihr Leben leben. Und nicht das, was du gerne hättest..."
"Du hast mir gerade einiges bewusst gemacht. Und dafür danke ich dir."
"Das war nur meine Meinung dazu, mehr nicht."
"Wie auch immer... Und jetzt komm. Ich fahr' dich erst mal heim", meinte Jens und lief gefolgt von Peter zu seinem Auto.

Die 8. Staffel ~ Medicopter 117Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt