𝔊𝔢𝔤𝔢𝔫𝔴𝔞𝔯𝔱

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Jetzt


Er nahm sich viel Zeit, ehe er antwortete.

„Und du bist dir da ganz sicher?"

„Ja. An der Wand stand Vitriol. Cascard muss ihn kurz nach unserem Stelldichein in der St. Pauls erwischt haben. Das Blut auf dem Boden ist alt, die Schrift an der Wand von anderen Graffiti überdeckt. New Orleans ist tot."

Sie musste ihren Drink in einem Zug runter stürzen, um das weinerliche Kleinkind in ihrem Innern unter Kontrolle zu kriegen. Der Ausdruck in Blakes Augen wandelte sich. Er wurde härter.

Das war kein Wunder. Jeder von ihnen hasste Joséph Cascard.

„Das ändert einiges.", sagte er schließlich.

„Ja. Es sagt uns, dass die Inquisition ein anderes Ziel hat, als mich. Als sie Inge getötet haben, dachte ich, sie wollten mich warnen, weil sie mich nicht kriegen konnten. Bullshit. Natürlich hätten sie es gekonnt. Wahrscheinlich wollten sie mich nur isolieren. Ich sollte zu euch zurückkehren und allein sein. Das letzte Mal hat New Orleans dafür gesorgt, dass wir heil aus der Sache rauskommen, jetzt, wo er tot ist, wird es schwerer für uns."

„Aber warum wollen sie, dass du zu uns zurückgehst? Das macht keinen Sinn, Caroline. Sie versuchen mit allen Mitteln zu verhindern, dass wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen."

Cal beugte sich zu ihm vor.

„Ascensen sagte New Orleans, dass sie glauben, den Eingang, oder einen davon, in Rom zu wissen, richtig?"

Blake nickte.

„Lässt das nicht darauf schließen, dass auch sie nicht wissen, wie man die Portale öffnet? Dass sie uns vielleicht benutzen, um ihr eigenes Ziel zu erreichen?"

„Und das wäre?"

„Keine Ahnung. Sie lassen sich nicht leicht in die Karten schauen."

Cal warf sich wieder zurück. Etwas hatte sich bei der Inquisition geändert. Etwas, was mit ihr zu tun hatte. Vor einem Jahr hatte Cascard noch versucht, das Kolloquium zu zerstören. Jetzt trieb er sie praktisch wieder zusammen.

Wozu das Theater?

„Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden.", sagte sie ohne darauf zu achten, dass Blake den Zusammenhang nicht kannte. Aber Blake war klug.

„Du willst dich auf ihr Spiel einlassen."

„Sie haben New Orleans getötet. Scheiß drauf, dass er mich gehasst hat. Ich werde Cascard dafür die bleichen Eier abreißen und in seine verkackte Inquisition spucken. Ich werde ihnen so gründlich in den Arsch treten, dass nichtmal Kardinal Valentia noch irgendetwas retten kann. Ich werde den Scheißweg in die Hölle gehen und Satan petzen, dass Sünder oben abgeholt werden müssen. Und da unten werden sie so richtig geröstet."

Blake ließ seine Eckzähne blitzen.

„Das ist der Kampfgeist, den wir brauchen."

„Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster. Ich tue das nicht für dich."

Doch, das tat sie. Sie tat es auch für ihn.

Sie tat es, weil sie Blake beweisen wollte, dass sie mehr als nur irgendein Junkie war. Dass er sie nicht gebrochen hatte. Dass sie würdig war, in seinem Club zu tanzen und all die anderen Mädchen auszustechen.

„Bist du schonmal in Rom gewesen?", fragte er.

„Wie denn? Ich saß sechs Jahre in einer Irrenanstalt. Davor und danach war ich drogenabhängig."

Wieder Bitterkeit. Sie sah ihm nicht in die Augen.

„Du bist genug, Caroline. Du bist weit mehr als das."

Cal mied seinen Blick immer noch. Manchmal wusste sie nicht, was Blake ihr eigentlich sagen wollte. Sie fürchtete sich davor, seinen Worten Glauben zu schenken. Dann wieder fürchtete sie, er würde aufhören, diese Dinge zu sagen. Zwischen ihr und ihm lagen Welten.

Und sie war zerrissen.

„Als ich das letzte Mal in einem Club gewesen bin, hat mich ein Mann später für Sex bezahlt.", sie wusste nicht, warum sie das jetzt sagte. Vielleicht um die Erinnerungen zu vertreiben. „Es war ein schmutziger Club, ohne Eintritt. Die meisten Huren zeigen da ihre Nippel, aber ich mach sowas nicht. Er hat mich mit auf ein Hotelzimmer genommen, in dem es nach Zigarettenrauch stank. Dann hat er mich gefickt. Es hat nur fünf Minuten gedauert, deswegen wollte er mich nicht voll bezahlen."

„Und was hast du dann gemacht?"

„Gar nichts."

„Warum?"

Sie sah ihn direkt an. Ohne Schleier oder Lügen. Er wusste sowieso alles.

„Wenn ich ihm die Nase gebrochen hätte, hätte ich nicht mehr aufhören können. Einer von uns beiden wäre am Ende tot gewesen. Und das zieht sich durch mein ganzes letztes Jahr. Macht mich das zur Heiligen?"

Blake legte den Kopf schief.

„Nur zu einer Mörderin, die es nicht wieder tun will."

Sie musste lachen. In einer normalen Welt wäre seine Antwort nicht witzig gewesen, in ihrer schon.

„Ich weiß, dass du denkst, dass du nichts wert bist.", sagte Blake. „Aber glaub mir, jeder Mensch ist mehr als das, wofür andere ihn verurteilen."

Vor ihrem geistigen Auge tauchte wieder das Bild des Racheengels auf, der Ascensen auf dem Altar Gottes hinrichtete, ohne Gnade walten zu lassen.

Cal hatte irgendwo mal gelesen, dass Engel keine heiligen blonden Wesen voller Güte waren, sondern eiskalte, kriegerische Henker. Wenn es sowas gab, war Blake so einer. Vielleicht wirklich Luzifer Morgenstern höchstpersönlich.

Sie schüttelte den Gedanken ab.

„Du vermisst Ascensen, oder?"

„Er war mein Freund."

„Scheiße, dich will man nicht zum Feind haben. Wenn du sogar Freunde so bestrafst."

Blake antwortete nicht.

Es war dumm von ihr gewesen, etwas über seine Gefühle in Erfahrung bringen zu wollen. So ein Unterfangen war aussichtslos.

Cal holte tief Luft.

Sie gab sich damit zufrieden, die zu sein, die neben ihm in Lounge saß. Die, die für ihn tanzen durfte. Solange es nur die Gedanken an New Orleans vertrieb.

„Ich habe ihm vertraut.", sagte sie leise, aber Blake hörte sie trotz der lauten Musik. Und er wusste, dass sie nicht Ascensen meinte. „Ich habe ihm vertraut, er hat mich verraten. Das ist schlimm. Und jetzt ist er tot."

Blake stand auf.

„Wir sollten gehen. Die nächsten Monate könnten anstrengend werden. Wir brauchen Schlaf."

Wir brauchen Schlaf.

In diesem Moment war Cal so müde, dass sie sich für immer in eine Kiste legen könnte. War das ein Trick von Blake?

Eher nicht.

Sie stand auf.

„Geh vor. Ich komme gleich nach.", sagte sie.


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Liebe Leser, 

Heute zwei Kapitel, weil es das Ende ist. Es lohnt sich einfach nicht, noch zwei Tage auf einen kurzen Nachsatz zu warten ;) 

Wie findet ihr diese letzten Szenen von Cal und Blake im Nero?

Eure

M.C.Born

Vitriol. Der SchakalWhere stories live. Discover now