XIX. dunkle welten.

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»Ich glaube...«, vorsichtig streckte ich meine Beine auf dem kalten Fließboden aus, mir war so heiß, »ich glaub, ich bin verliebt.«

»Oh, echt?«

Mein Blick driftete verschwommen zu dem silberhaarigen Jungen, der auf dem Rücken lag, seine Arme wie bei einem Schneeengel ausgebreitet. »Mhm.«

Er kicherte blöd. »Und? Wie fühlt es sich an?«

»Scheiße«, nuschelte ich und lehnte meinen Kopf nach hinten gegen die dünne Badezimmertür, alles drehte sich und drehte sich um mich herum.

Ich wusste nicht, wie ich hier gelandet war oder wer der komische Junge am Boden war, ich wollte einfach nur... schlafen. Elster hatte ich... uhm, ich nach dem vierten Shot oder so verloren. Glaubte ich.

»Wieso?«

Ich zuckte unbehaglich mit den Schultern, rutschte wieder ein kleines Stück weiter nach unten. »Weil alles... weil alles so verdammt kompliziert wird.«

»Meh.«

Er hatte einen starken Akzent, wahrscheinlich russisch, keine Ahnung. Vorsichtig setzte ich mich wieder auf und rieb mir über den Nasenrücken, die Decke über mir glitzerte wie Schnee in der Sonne.

Der Russe am Boden lachte plötzlich auf. Ich zuckte zusammen.

»Ich war einmal verliebt«, er hob einen Finger in die Höhe, seine Nägel waren schwarz lackiert.

»Was ist passiert?«, fragte ich und seine Hand fiel wieder erschöpft auf die Brust. »Sie hat mir das Herz gebrochen.«

»Danke«, murmelte ich missmutig und versuchte meine Locken nach oben zu kämmen. Scheiß Haare. Scheiß glitzernde Decke. Scheiß Gefühle.

»Er... keine Ahnung, ob er mich zurück mag«, seufzte ich dann und der Russe rollte sich auf die Seite, er hatte eine große Nase und rote Flecken auf den Wangen.

»Also ein er?«

Ich nickte still, meine Augen halb geschlossen.

»Aber wie... wie soll ich jemanden lieben«, verwirrt starrte ich auf die glänzenden, weißen Fließen und blinzelte, »wenn ich mich verdammt noch einmal nicht selbst lieben kann?«

Der Russe blies laut die Luft aus seinen Lungen und griff dann nach der Weinflasche neben ihm. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass sie dort gestanden war.

»Liebe ist ein sehr, sehr großes Wort«, nuschelte er selbstzufrieden und ich nickte völlig neben der Spur. Mein Alkoholspiegel war so hoch, ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, wer heute Geburtstag hatte.

Warte, war das hier überhaupt eine Geburtstagsfeier?

»Wie heißt du noch mal?«

»Oh, hab ich noch nicht gesagt«, erwiderte er laut und hob die halbleere Flasche, »Keschko.«

»Ariste«, ich winkte ihm leidend zu und sank dann wieder ein Stück nach unten. Meine Stiefel kratzten über den sauberen Boden, hinterließen braune Schlieren.

»Cooler Name.«

»Du auch. Danke.«

Ein Feuerzeug klickte und ich schaute Keschko zu, wie er sich eine selbstgedrehte Zigarette zwischen die vollen Lippen steckte. »Willst du?«, fragte er, als er meinen Blick bemerkte, aber ich schüttelte langsam meinen Kopf. Ich war so betrunken, ich hatte nicht einmal Lust zu rauchen.

Für ein paar Minuten starrte ich leer gegen die Wand und verzog dann meinen Mund.

»Was los?«, Keschko's Brauen waren zusammengezogen, seine Wangen noch immer rot vom Alkohol.

»Sorry«, murmelte ich abgelenkt und tippte mir dann gegen die Schläfe, »ist manchmal ein wenig laut da drinnen.«

»Ah«, er legte seinen Kopf wieder auf den kalten Boden. Ich wunderte mich, ob sie hier Fußbodenheizung hatten. Ich mochte warme Böden. Und... und ich mochte... uhm.

Tief einatmend versuchte ich an Elias zu denken. Ihn mochte ich. Einfach etwas, das mich ablenken würde.

Seine warmen Augen. Die kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Das... das Tattoo, dass ich noch immer nicht entschlüsselt hatte... uhm, sein Lächeln, wenn er mich an-

Fuck.

Mit zitternden Fingern fischte ich eine Zigarette aus meiner Hosentasche hervor und zündete sie zwischen den Lippen an. Ohne Nikotin würde ich jetzt durchdrehen, ich hätte nichts trinken sollen. Fuck, fuck.

»Man, du solltest echt Mal deine Prioritäten setzten«, murmelte Keschko plötzlich und hob den Kopf an. Seine silbernen Haare glänzten im Licht. Er würde Ester gefallen — sie mochte glitzernde Sachen.

»Hm?«, ich blinzelte ihn verwirrt durch die Rauchkringel an, versuchte zu kapieren, was er gerade gesagt hatte.

»Ich würd einmal anfangen, dem Jungen zu sagen, was du fühlst«, fuhr er ungerührt fort und setzte die Weinflasche an seine Lippen, ignorierte mich. »Und dann kommt alles andere von allein.«

Seufzend zuckte ich mit den Achseln und blies den Rauch in die stickige Luft. Vielleicht hatte er recht, keine Ahnung. Ich hatte gerade keine Lust zu denken, ich wollte einfach nur... einfach nur existieren.

Nichts machen, nichts fühlen, nichts denken, einfach nur da sein. Existieren. Aber das war auch anstrengend genug an manchen Tagen.

Es war still für einige Minuten, die Musik von draußen hämmerte dumpf gegen meinen Kopf.

»Wie heißt du noch mal?«

»Ariste.«

Er hob grinsend die Hand. »Keschko.«

Ich machte schmallippig einen Zug von der Zigarette. »Ich weiß.«

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now