𝐄𝐈𝐍𝐒 | nussknacker

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𝐀𝐑𝐉𝐀𝐍 ―

     es regnet.

     seit tagen scheint der himmel nichts anderes zu tun zu haben, als dicke tropfen auf eine graue welt zu werfen. fast schon witzig, dass es sich nun nicht mehr nur in unserem kopf so anfühlt, als würden wir ertrinken. wir tun es nun auch auf dem weg zur schule, auf dem weg nach hause, auf dem weg zu unseren freunden.

     ich tue es auf dem weg zu santa.

     santa, so heißt der kleine schallplattenladen an der straßenecke. oder zumindest habe ich ihn auf diesen namen getauft. die zwei schmalen stockwerke voller regale, die jedem moment zusammenbrechen könnten, haben diese bezeichnung erhalten, weil bei meinem ersten besuch eine weihnachtsplatte abgespielt wurde. zwei stunden lang. mitten im juni. habe mich zur musik des nussknackers gedreht, während ich in meinem dünnen tshirt geschwitzt habe. und das ist eigentlich alles, was man über santa wissen muss.

     ein positiver nebeneffekt dieses spitznamens: ich kann mein ziel knapper benennen. einen richtigen namen scheint santa ohnehin nicht zu besitzen oder ich habe ihn einfach noch nie gehört.

     meine schritte sind beständig und ich mache mir keine mühe, den pfützen auszuweichen, die den geteerten boden bedecken. die schwarzen dr martens glitzern im gelben licht der straßenlaternen und versinken mit jedem schritt im dreckigen wasser. mit etwas glück wäscht der regen auch den schmutz von den straßen, aber wirklich daran glauben tue ich nicht. dafür hat es schon zu viele regenschauer gegeben, nach denen die wege noch immer grau vor uns lagen. denn der regen kann vieles, aber aufräumen, was der mensch durcheinandergebracht hat, gehört nicht zu seinen stärken.

     »mist«, zische ich, als ein auto an mir vorbeirast und wasser meine hose durchtränkt. ich werfe dem fahrer einen enttäuschten blick hinterher, doch er ist schon um die ecke gebogen. könnte man nicht einfach etwas langsamer fahren?

     mit zusammengezogenen augenbrauen beschleunige ich meine ohnehin schon raschen schritte und atme erleichtert aus, als ich die vertraute straßenecke erspähe. bei unserem ersten treffen fand ich es trostlos und vielleicht würde ich das noch immer von dem unscheinbaren laden denken, wenn ich nicht wüsste, wie viel leben sich in ihm befindet.

     ein donnern grollt über die dächer und ich zucke zusammen. überrascht, dass das geräusch durch meine kopfhörer gedrungen ist, die auf höchster lautstärke ein französisches lied abspielen. ich verstehe kein einziges wort. aber es klingt schön und durch dieses lied glaube ich noch ein bisschen mehr an meine these, dass französisch wie eine alte liebe klingt. wie zwei alte menschen, die ihr gesamtes leben miteinander verbracht haben und unter einem durchsichtigen regenschirm auf einer bank sitzen; nur augen füreinander, während sich die welt um sie herum stillschweigend auflöst.

     endlich ist da die tür. wäre das gläserne fenster in ihr nicht über und über mit stickern beklebt, würde wohl etwas mattes licht auf den dunklen asphalt fallen. aber nicht einmal ein strahl schafft es durch die scheiben des ladens. fast, als würde er sich abgrenzen. vom rest der welt. er macht sich selbst zu einem eigenen kleinen universum. voll von tiefen tönen und schiefen regalen und wärme und licht und geborgenheit. ein langsames leben auf einem zu hastigen planeten.

     die erleichterung macht sich schneller in mir breit, als die wärme von heißer schokolade in meinem körper. es fühlt sich an, wie nach hause kommen. das tut es immer. und ich liebe es. mit einer hand streife ich schon die kapuze meines hoodies zurück, die andere greift nach dem abgenutzten türgriff. ich drücke ihn runter, blinlze die wassertropfen von meinen wimpern und flüchte ins ladeninnere. ein schwall an regenwasser folgt mir, durchtränkt die matte hinter dem eingang, die sich langsam schon aufzulösen scheint.

SCHALLPLATTENREGEN | pausiertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt