Kapitel 11

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Lili starrte die Steilwand hoch, die zu der Höhle führen sollte, welche Velion nun bewohnte. Hatte Immi nicht gesagt, sie würde es mit Leichtigkeit schaffen? Nun, Lili hatte mittlerweile so ihre Zweifel.

Es war bisher schon sehr anstrengend gewesen und sie hatte sich mehr als einmal gefragt, ob Velion dieser Ärger und die Anstrengung überhaupt wert war. Immerhin war sie es, die schon eine Weile alles tat, um mit dem Mann zusammen zu kommen, zu dem sie diese besondere Verbindung hatte, während sie das Gefühl hatte, er würde sie immer wieder von sich stoßen. Also in Lilis Augen war diese Frage schon berechtigt.

Sie holte tief Luft und suchte nach einer Rille oder kleinen Unebenheit, an der sie sich hochziehen konnte.

Natürlich war es es wert.

Immerhin war er ihr Mann und sie würde alles tun, um ihn wieder glücklich zu machen.

Die ersten Meter kam sie gut nach oben, doch dann frischte der Wind auf und wurde zu einem Sturm, der an ihrer Kleidung zerrte.

Immer wieder musste sie sich festklammern und die Böe abwarten, bei der die Gefahr bestand, dass sie herunter stürzte.

Ihr Körper war steif vor Kälte und ihre Finger rutschten mittlerweile mehrmals ab, weil Lili einfach kein Gefühl mehr in den Fingerspitzen hatte.

Endlich erreichte sie eine kleine Plattform. Sie rieb ihre Hände gegeneinander, während sie nach oben schaute.

Ihr Ziel war noch weit entfernt und nun begann es auch noch zu schneien.

Noch nie hatte sie geflucht, aber nun kam ihr ein Schimpfwort nach dem anderen über die Lippen. Sie klatschte ein paar mal in die Hände, um wieder ein Gefühl in sie zu bekommen, dann machte sie sich weiter an den Anstieg.

Der Schnee wurde ihr ins Gesicht gepeitscht und wieder schien ihr Körper langsamer zu reagieren, aber sie wollte unbedingt zu Velion.

Sie griff in eine Spalte, doch sobald sie sich hochziehen wollte, bröckelte das Gestein ab und eine scharfe Felskante bescherte ihr einen großen Schnitt am Unterarm. Es blutete heftig und sie fluchte erneut.

Sie kletterte zwar noch einige Meter, doch die Schmerzen wurden immer schlimmer. Müde kauerte sie sich auf einem Vorsprung zusammen.

"Velion!", rief sie erschöpft in der Hoffnung, ihr Drache würde sie hören. "Ich kann nicht mehr. Wenn es so ist, wie alle glauben, dann spürst du mich. Du weißt, dass ich hier bin. Hilf mir!"

Sie lehnte ihre Stirn auf die Knie und drückte auf die Wunde.

Eine Weile wartete sie, aber nichts tat sich.

"Willst du das wirklich, Velion? Himmel, es muss dir doch bewusst sein, dass ich deine Braut bin. Ich habe auf dich gewartet. Es interessiert mich nicht, was du Schlimmes getan hast. Ich will bei dir sein und wenn es eben in dieser Einöde sein soll, dann ist das so."

Sie schaute in den grauen Himmel, aber noch immer sah sie keinen silbernen Drache.

"Gut. Du willst es also so. Ich werde hier bleiben, ob es dir passt oder nicht. Dann verblute ich eben. Vielleicht erfriere ich auch vorher, wer weiß das schon. Aber ich werde keinen Millimeter weiter gehen. Entweder du hilfst mir oder ich werde sterben. Deine Entscheidung!"

Sie zog die Decke, die sie um sich befestigt hatte, enger um sich und lehnte ihren Kopf an die Felswand. Langsam schloss sie die Augen.

Du bist das sturste Weib, das mir je untergekommen ist.

Sie lachte leise, als sie Velions Stimme in ihrem Kopf hörte.

"Oh ja, das bin ich."

Es tat sich aber immer noch nichts und sie glaubte schon daran, dass sie sich die Stimme nur eingebildet hatte.

Die Drachen von Wikuna - Velion (Band 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt