Teil 1

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Als Alex klingelte und die nervige Melodie von Jingle Bells ertönte, hörte er bereits Stimmen im Haus. Es war gelb gestrichen, mit Hof und Garage und drinnen brannte überall Licht. Kein Wunder, schließlich war Weihnachten, Heiligabend. Vermutlich waren seine Geschwister schon vor ihm aufgekreuzt. Durch das Milchglas der Haustür sah man Bewegung im Flur dahinter. Alex erinnerte sich an sein letzes Weihnachten, als er, seine ältere Schwester Naomi und sein jüngerer Bruder Henri wie immer gemeinsam zum Weihnachtsdinner aufschlugen, ohne Begleitung. Er sah wieder vor sich, wie seine Mutter mit hoffnungsvollem Blick die Tür geöffnet hatte und dieser Ausdruck beim Anblick der drei einsamen Gestalten auch schon wieder verschwunden war. Sie hatte wie jedes Jahr darauf gehofft, dass einer der drei ewigen Singles eine Begleitung mitbrachte. Alex wusste, dass sie es nur gut meinte, weil sie sich nicht vorstellen konnte, ohne ihren Mann, Alex‘ Vater, zu leben. Sie wünschte ihren Kindern, die sich alle mittlerweile in ihren Zwanzigern befanden, das gleiche Glück und sehnte sich gleichzeitig natürlich auch nach Enkelkindern.

Die Haustür öffnete sich und das gleiche Gesicht, über die Jahre kaum gealtert, blickte ihm entgegen. Er sah die Freude in ihrem Blick, als er seine weibliche Begleitung vorstellte: „Mama, das ist Amanda. Amanda das ist meine Mutter.“
„Katja“, stellte sich die Frau mittleren Alters mit rotgefärbten Haaren vor, deren Begeisterung auch nicht durch die schwarze Hautfarbe der Begleitung ihres weißen Sohnes gedämpft werden konnte. Ihren grünen Augen sprühten vor freudiger Überraschung.
Alex sah sorgenvoll zu, wie Amanda seiner Mama „Schöne Weihnachten, Katja“ wünschte und ihr die Hand reichte. Doch sie zog seine völlig überrumpelte neue Freundin einfach in eine herzliche Umarmung.
„Naomi ist schon da und sie hat einen Freund mitgebracht“, informierte ihn seine Mutter mit einem Zwinkern. Nun war es an ihm, überrascht zu sein. Seine Schwester war also ebenfalls nicht alleine gekommen.
„Und Henri?“
„Hinter dir“, meldete sich eine Stimme und als Alex sich zu seinem Bruder umdrehte, sah er, dass Henri alleine gekommen war. Der schlaksige junge Mann wickelte sich den Schal vom Hals, während er neugierig Amanda betrachtete. Zwei von dreien war immer noch eine gute Quote.
Als Amanda sich umdrehte, um auch Henri zu begrüßen, hielt dieser inne in dem, was er tat, und blickte scheinbar entgeistert zwischen ihr und Alex hin und her. Sie streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen, doch er hob nur mit einem Schulterzucken den Schal, den er mit beiden Händen umklammert hielt.
„Kommt doch rein, kommt doch rein“, unterbrach die Mutter die merkwürdige Stimmung. „Draußen muss es doch eiskalt sein.“

Sie streiften ihre Schuhsohlen auf der roten Fußmatte, auf dem „Frohe Weihnachten“ stand, ab, bevor sie das warme Haus betraten. Es roch nach Braten und Zimt und nachdem sie im Flur alle die Schuhe ausgezogen und an der Wand aufgereiht hatten, stand der ganze Gang voller Stiefel. Naomi kam aus der Tür zur Küche und hinter ihr zwängte sich noch ein weiterer Mann in den Flur. Die schlanke, große Frau trat zur Seite, wies mit einer Handbewegung auf ihre Begleitung und stellte ihn vor: „Das ist mein Freund Elliot.“
Alex musste versuchen, nicht allzu entgeistert drein zu blicken und biss sich auf die Zunge, die häufiger mal schneller als sein Gehirn war, um sie daran zu hindern, das Weihnachtsfest mit einem Satz in die Luft zu sprengen. Er betete, dass Amanda genauso klug reagierte und atmete erleichtert auf, als er keinerlei Erkennen in ihren dunkelbraunen Augen ausmachte. Immerhin kannte sie ihn nur von Fotos und rechnete wohl genau wie er nicht damit, ihm jetzt in seinem Elternhaus als „Freund“ seiner Schwester zu begegnen, und so hatte sie ihn nun gar nicht als das erkannt, was er war: Alex‘ Freund. Nochmal Glück gehabt. Doch es brannte ihm auf der Seele, es Amanda zu erzählen. Er wollte es am liebsten in die Welt hinausschreien (wenn sie nur aus seinen verständnisvollen Freunden bestanden hätte) und mit dem Finger auf Elliot deutend hätte er gesagt: „Schaut her: Das ist mein Freund, das ist mein fester Freund und ich liebe ihn!“ Allerdings stand er nun gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem engen Gang und seine Eltern glaubten, Elliot wäre Naomis Freund, nicht seiner, und er hätte eine Freundin namens Amanda. Seine große Schwester hatte ihm den Trick geklaut und gab auch noch ihren schwulen Kollegen, seinen Freund, als ihren Freund aus.

Sie wurden ins kombinierte Ess- und Wohnzimmer geführt, wo alle am langen Esstisch platznahmen. Während sein Vater noch in der Küche werkelte und vermutlich das Essen nachwürzte, bewegte sich seine Mutter keinen Millimeter von ihrem Platz und erzählte von ihrer – Papas – Kochaktion, was es zu essen geben würde und fragte, ob denn irgendwer Vegetarier wäre.
Alex war Vegetarier. Das wusste sie und er wusste, dass es wieder Hackbraten geben würde. Also holte er, vorbereitet wie er war, eine Tupperdose mit vegetarischem Nussbraten aus seiner Tasche hervor. Er konnte Hackbraten sowieso nicht ausstehen.
Er wäre gerne zusammen mit Amanda ins Bad verschwunden, um ihr zu erzählen, wer Elliot wirklich war. Doch er wollte nicht, dass seine Familie, insbesondere seine Mutter, auf schmutzige Gedanken kam, und das würden sie. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Queer-masWhere stories live. Discover now