Teil 3

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Es war bereits seit Stunden dunkel, als Alex und seine Familie eine Viertelstunde vor Beginn der Christmette in der Kirche eintrafen. Sie ergatterten noch eine leere Sitzreihe auf der Empore, in die sich die Geschwister mit ihren „Partnern“ zwängten. Seine Eltern nahmen auf der Bank hinter ihnen Platz. Alex hatte gedacht, er würde aufgeregt sein, doch stattdessen wurde er von einer inneren Ruhe erfasst, als das Licht ausging und der Pfarrer mit den Messdienern durch den Mittelgang in die Kirche einzog. Bald würde das Versteckspiel ein Ende haben. Elliot hingegen schien aufgeregt für Zwei und während die ganze Gemeinde „Herr, erbarme dich/Christus, erbarme dich“ sang, legte Alex ihm beruhigend eine Hand aufs zuckende Bein, die dieser prompt erfasste. Alex sah zu ihm auf, als dieser seine Hand drückte und blickte im Schein der Kerzen in das breit lächelnde Gesicht seines Freundes.
Sie hatten ihre Sitzordnung gut durchdacht. Zuerst war Naomi bis zum Ende der Bank durchgerutscht, ihr folgten ihr „Freund“, Alex, seine Begleitung und Henri. Später würde das noch wichtig werden.
Als sie sich zur Lesung wieder setzten, linste er zu seinem kleinen Bruder, der nervös eine Kerze zwischen seinen Handflächen drehte. Eine halbe Stunde später wurde das Vaterunser von hunderten von Menschen beinahe tranceartig rezitiert und das bedeutete, dass es an der Zeit war. Alex lehnte sich zu Amanda rüber und flüsterte ihr ins Ohr, dass seine Geschwister endlich wüssten, dass sie nicht seine Freundin sei.
Die junge Frau seufzte erleichtert, als ihr ein Gedanke kam: „Was ist mit deinen Eltern, wissen sie-“
Er verwirrte sie mit seiner geheimnisvollen Antwort: „Noch nicht, aber gleich.“

Pünktlich zum Ende des Gebets wandten sie sich wieder nach vorne und mit den Worten „Gebt einander ein Zeichen des Friedens“ wurde zum Friedensgruß aufgefordert. Alex wandte sich Elliot zu und gleichzeitig trafen sich Henris und Amandas Blicke. Statt sich einander die Hand zu reichen, zog er seinen Freund - und Henri seine Freundin - an sich in einen Kuss. Als sich Elliots und Alex‘ Lippen trafen, spürten sie das Lächeln und die Hände des jeweils anderen, die einander festhielten. Sie fühlten sich wieder wie bei ihrem ersten Kuss – ein Kitzeln im Bauch und flatternder Herzschlag - nur dass sich diesmal noch Erleichterung unter die vorherrschenden Emotionen mischte. Alex löste sich nur widerwillig von ihm. Doch er wollte seinen Eltern nur die Wahrheit zeigen, keinen Porno. Also unterbrach er den Kuss und schob Elliot sanft von sich, als sie das empörte Flüstern einer Oma überhörten: „Welch Unverschämtheit!“ Doch Elliot drehte sich, wie als wäre nichts gewesen, zu den geschockten Eltern um, die nicht anderes konnten, als ihre Söhne perplex anzustarren, und reichte dem Vater die Hand.
„Friede sei mit dir.“
Nach kurzem Zögern wurde es mit einem stockenden „Und mit dir“ erwidert.
Danach umarmte Elliot Alex‘ wehrlose Mutter über die Bank hinweg, die nicht wusste, was sie sagen oder tun sollte, und wünschte ihr das Gleiche, während sich Amanda und Henri immer noch anstarrten und den Blick nicht voneinander lösen konnten.
Der jüngste der drei Geschwister biss sich zweifelnd auf die Unterlippe, als die schwarze Frau anfing zu lächeln: „Na also, geht doch!“
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und diesmal ergriff Henri sie. Über ihre verschränkten Hände hinweg ebbte das aufgeregte Geflüster allmählich ab.

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