Vertrauen

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Glorfindel handelte in der nächsten Zeit mit einer traumwandlerischen Taubheit.
Seine Gedanken kreisten um Erestor.
Erestor, der ihm seine Liebe gestanden hatte. Erestor, der so tapfer gekämpft hatte.
Erestor, der verwundet war. Verwundet, und Glorfindel wusste nicht, wie es ihm ging.
Ob er überhaupt noch am Leben war.

Sie hatten einige schwer Verwundete, und damit auch Erestor, zusammen mit weiteren Kriegern bereits nach Bruchtal zurück gesandt.
Glorfindel hatte befürchtet, dass sie sonst nicht überleben würden.

Er wollte nichts weiter, als an Erestors Seite zu sitzen, aber er hatte andere Verpflichtungen.
Als Heerführer und Seneschall hatte er die Aufräumarbeiten zu beaufsichtigen. Und er wusste auch, dass Erestor es nicht gutheißen würde, wenn er für ihn seine Pflichten vernachlässigte.
Eru, er würde ihm eine Standpauke halten die sich gewaschen hatte. Darin war Erestor unübertroffen.
Es war ihm wichtig, dass der Papierkram ordentlich erledigt wurde. Obwohl es in dieser Hinsicht ruhiger geworden war, seit Erestor wieder ein Schwert in die Hand genommen hatte. Nun erledigte Erestors Assistent vieles was der Berater vorher getan hatte.

Carandol war lang nicht so dickköpfig wie er. Aber Erestor hatte immer noch die Hoheit in den Schreibstuben und Glorfindel war sich sicher, dass Erestor dahin zurückkehren würde.
Jetzt da die Angelegenheit mit seinem Bruder vorbei war.

Erestors Zeiten als Krieger waren schon lange zuende, Glorfindel wusste das.
Er hatte zu viel erlebt und zu viel gesehen, seine Aufgabe lag jetzt wo anderes.

Aber Glorfindel würde ihm helfen und für ihn da sein.
Jetzt, da all diese Erinnerungen wieder an die Oberfläche gezerrt wurden.

Er konnte auch diese zwei kleinen Worte nicht vergessen, die der Berater zu ihm auf dem Schlachtfeld gesagt hatte.

Le Melin.
Ich liebe dich.

Worte die er sonst wohl nie ausgesprochen hätte.
Er musste unbedingt zurück nach Bruchtal und mit dem Schwarzhaarigen reden.

Unbemerkt trat Lindir neben ihn, der Sänger war geblieben und hatte bei den Aufräumarbeiten geholfen, obwohl er nicht zu seinen Soldaten gehörte.
Aber er war Erestors Freund, auch aus Kriegertagen, dass hatte Glorfindel inzwischen verstanden.
Der blonde Sänger musterte ihn einen Moment lang von der Seite und Glorfindel war sich sicher, dass er genau lesen konnte, was er dachte.
Lindir lächelte ihn mit einem müden, blutverschmierten Gesicht zu.
Über seiner Schläfe konnte man eine verkrustete Wunde entdecken.

„Wir sind hier so gut wie fertig. Geh nur. Geh zu ihm."

Glorfindel wandte sich ihm zu und musterte ihn prüfend, eine Augenbraue hatte er kritisch erhoben.
Doch Lindir starrte nur unbeeindruckt zurück.

„Das wird nicht funktionieren. Erestor hat weit bessere Todesblicke, Seneschall."

Glorfindel entschied sich, nichts zu entgegnen, alles was er womöglich sagen würde, würde Lindir in seiner Argumentation stützen.
Aber er konnte schwören, dass sein Gegenüber das ganz bewusst gemacht hatte. Der spöttische Unterton bei seinem Titel war ihm keineswegs entgangen.

„Geh. Ich regle hier alles Weitere."

Der Ton war neu.
Nicht mehr so leise und mit der für Lindir typischen leicht spöttischen Note.
Es war ein Befehl, Lindirs Stimme war härter geworden und es schien, als wurde kein Widerstand bei der Ausführung seiner Äußerungen erwartet.
Es war die Stimme eines Kriegers und Anführers, die so gar nicht zu dem spöttelnden Sänger zu passen schien.

Aber andererseits hatte Erestor ihn ja auch schon mehrmals überrascht. Außerdem waren die beiden befreundet, irgendwoher musste diese seltsame Freundschaft ja schließlich kommen.

Weiterhin lächelte Lindir ihn an, aber nun lächelte Glorfindel müde zurück.

„Danke."

Er senkte in einer respektvollen Geste seinen Kopf vor seinem Gegenüber, bevor er sich umdrehte und Tîndîr seine Absichten mitteilte.

Auch dieser nickte ihm zu und versicherte, er würde sich um alles weitere Kümmern.

Um nicht komplett alleine zu gehen und damit seine Absichten mehr als offensichtlich werden zu lassen, sammelte er eine Gruppe von jungen und verletzten Kriegern um sich und verließ das Schlachtfeld in Richtung Bruchtal.

Trotz seiner Müdigkeit legte er ein strammes Tempo vor, gerade langsam genug, damit er keinen der müden Soldaten verlor. Obwohl er am liebsten gerannt wäre, um möglichst schnell anzukommen, half er seinen Kriegern, von denen vor allen die jüngeren mehr vor Erschöpfung stolperten, als dass sie gingen.
Also begnügte er sich damit alle nach besten Wissen und Gewissen zu unterstützen, sodass sie am späten Nachmittag schließlich in Imladris ankamen.

Dort wurden sie, angekündigt von den Wachen, direkt von einigen Heilern empfangen.
Elrond war nicht dabei, aber das war zu erwarten, der Herr von Bruchtal würde seine Heilstube nicht verlassen, bis er allem und jeden geholfen hatte.

Alle von Glorfindels Truppe konnten schließlich noch mehr oder minder laufen und waren damit nicht in unmittelbarer Gefahr.

Als jedoch auch auf ihn ein Heiler zukam, um sich seiner Verletzungen anzunehmen, versuchte er es mit allen Mitteln zu verhindern.
Ihm ging es gut, er war nur erschöpft.
Gut, er hatte auch einige kleinere Wunden, aber keine davon war jetzt unmittelbar lebensgefährlich.

Alles was er momentan wollte, war Erestor zu sehen und zu wissen, dass es ihm gut gehen würde.

Also wies er den Heiler, dessen Name ihm gerade entfallen war, mit einer harschen Handbewegung ab. Oder vielmehr, er versuchte ihn abzuweisen, aber Heiler, konnten sehr penetrant sein.

Glorfindel wusste das.
Und normalerweise konnte er es sogar ein Stück weit nachvollziehen, sie wollten sichergehen, dass es allen gut ging, das war ihre Bestimmung.
So wie er sich als Krieger verdingte.

Im Moment wollte er aber einfach nur zu Erestor, da hatte er keine Rücksicht auf die Ansichten eines namenlosen Heilers. Okay, er war sich ziemlich sicher den Namen zu kennen, aber das war nicht der Punkt. Er wollte zu Erestor und dieser Heiler stand ihm im Weg.
Und es schien auch nicht so, als würde er locker lassen, bis er nicht wenigstens einen kurzen Blick auf Glorfindels Wunden geworfen hatte.

Um nicht noch mehr Zeit mit einer Diskussion zu vergeuden, ließ er sich schließlich doch kurz ansehen und zog sich eine frische Tunika an, nachdem er sich schnell und nachlässig vom Schmutz der Schlacht befreit hatte.

Danach wurde er endlich in den Heiler Flügel und zu Erestor gelassen.

Er erwartete eine regungslose Gestalt zu sehen, aber Erestor saß halb aufrecht, an Kissen gelehnt, im Bett und blickte ihn
an.












Nachdem Erestor wieder zu sich gekommen war, war er allein.
Er lag in einem Raum in Bruchtal.
Und nicht nur irgendein Raum, es war ein wohlbekannter Raum bei den Heilern.
Müde unterdrückte er ein Seufzen, dass hatte ihm gerade noch gefehlt.

Einen Moment war er noch verwirrt, bevor er sich an alles, was passiert war erinnerte. Es hatte einen Kampf gegeben, eine Schlacht.
Lindir war da gewesen und, und sein Bruder.
Er hatte gegen ihn gekämpft, Lumdur war gefallen.
Außerdem war da noch, Erestor wurde heiß und kalt zugleich, Glorfindel.

Täuschte er sich, oder hatte er dem Blonden wirklich gesagt, Le melin.
Ich liebe dich.

Das konnte doch nicht sein.

Stimmte das überhaupt?
Er mochte Glorfindel, dass hatte er sich inzwischen eingestanden.

Aber was war Liebe und wie wusste er, ob er Glorfindel liebte?

In dem Moment waren ihm die Worte ganz natürlich erschienen. Es waren Worte die einfach gesagt werden mussten, es war eine Tatsache gewesen.

Aber jetzt?

Jetzt war er sich nicht mehr so sicher, tausend Gedanken spielten sich in seinem Kopf ab.

Glorfindel hatte seine Mauern eingerissen und ihn gesehen, wie er wirklich war.
Es hatte gut getan, als Glorfindel ihn gehalten hatte und für ihn das gewesen war.

Aber war das Liebe?

Oder war Erestor einfach nur schwach und würde doch wieder nur verletzt und allein gelassen werden.
Er wusste es nicht und es war auch nichts, was er selbst hätte beantworten können.
Und dass machte ihn unsicher, er war es gewohnt alleine auf Lösungen zu kommen, keine Hilfe zu benötigen.

Aber jetzt schien er diese einfache Frage nicht beantworten zu können.

Liebte er Glorfindel?

Die Antwort war, er wusste es nicht.

Er wusste auch nicht, ob er es überhaupt wissen wollte.

Momentan wusste er gar nichts, außer dass sein Körper auf eine ungewohnte und doch schrecklich vertraute Art gegen jedwede Bewegung protestierte.
Der dumpfe Schmerz der Schnitte und Prellungen war vertraut aus vergangenen Tagen, aus einer anderen Zeit mit einem anderen Erestor.

Aber es war auszuhalten, er hatte schon deutlich schlimmere Verletzungen gehabt. Also setzte er sich auf und lehnte sich schwer gegen die Kissen, als die Tür zu seinem kleinen Zimmer geöffnet wurde.
Müde blickte er der Gestalt entgegen, die da sein Zimmer betrat.
Gehüllt in eine lockere Tunika und sehr erschöpft schauend.

Es war Glorfindel.

Der Elb über den er gerade noch so intensiv nachgedacht hatte.
Eigentlich wollte er nicht mit dem Blonden reden, er musste sich erst einmal selbst über seine Gefühle klar werden und so schaute er den anderen einfach nur stumm an.

Glorfindel seinerseits trat näher an sein Bett heran und betrachte ihn schweigend.
Unwillkürlich versuchte Erestor sich etwas mehr aufzusetzen, mehr auf Augenhöhe mit dem großen Krieger zu sein, aber es gelang ihm nicht. Sein Körper war erschöpft und forderte Ruhe.

Glorfindel lächelte leicht, sanft und freundlich.
Einen weiteren Moment sagte niemand etwas und gerade als die Stille unangenehm wurde öffnete Glorfindel den Mund, um etwas zu sagen:

„Ich bin froh, dass du wach bist. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, meleth nîn."

Erestor schluckte, diese beiden Worte, dieses Kosewort ließ eine ungeheure Wärme in ihm aufsteigen, er lächelte unwillkürlich und Glorfindel schien aufzublühen.

Erestor stutzte einen Moment, aber dann wurde ihm klar, dass er lächelte, ein wirkliches und wahrhaftiges von Herzen kommendes Lächeln und dass Glorfindel, es noch nie von ihm gesehen hatte.

Dieser Gedanke ließ ihn noch etwas stärker lächeln, Glorfindels Worte taten so unheimlich gut.
Aber gerade als er etwas erwidern wollte sprach Glorfindel weiter.

„Du hast einen klasse Freund, weißt du das eigentlich. Ich muss mich noch unbedingt bei Lindir bedanken."

Daraufhin nickte Erestor, ja Lindir war ihm trotz vieler Schwierigkeiten immer treu und an seiner Seite geblieben.

„Ja."

Er schluckte einmal.

Warum war es nur so schwer die richtigen Worte zu finden?

Sonst redete er doch immer alle in Grund und Boden.
Weil er dir was bedeutet, antwortete sein Herz. Du liebst ihn.

Tat er das?
Liebte er Glorfindel?

Fürs erste musste er diese Frage auf die Seite schieben und sich auf den Elben vor ihm konzentrieren.

„Lindir und ich, wir..."

er stockte. War er wirklich im Begriff Glorfindel von Lindir zu erzählen?

Ja, war die Antwort.
Ja, und es fühlte sich richtig an.

„Wir haben uns auf den Schlachtfeldern kennengelernt. Er hat nie aufgegeben. Mich und andere. Und irgendwie, irgendwie sind wir Brüder geworden, Waffenbrüder. Er konnte sich auf mich verlassen. Und ich..."

er schluckte

„ich konnte mich auch auf ihn verlassen. Ich bin einfach nur froh, dass er gekommen ist."

Daraufhin nickte Glorfindel, als wüsste er wovon Erestor gesprochen hatte und wahrscheinlich war das auch so.

„Ich hatte auch einen Waffenbruder, Ecthelion. Aber das ist schon so lange her."

Erestor horchte auf, als er den Namen hörte.

Ein Name aus seinen Kinderträumen, der gleichzeitig Hoffnung und Verzweiflung symbolisierte.

Die Hoffnung auf ein Zuhause, auf Verstanden werden und die Verzweiflung des allein gelassen sein, die er auch nach dem er den Grund für Ecthelions Verschwinden kannte, nicht ganz abschütteln konnte.

Glorfindel kannte Ecthelion, nein er kannte ihn nicht nur, er war sein Waffenbruder gewesen.

Erestor nickte

„Das... das war in Gondolin, nicht wahr?"

unsicher brach er den Blickkontakt und blickte auf seine Hände.
Die Rechte war bandagiert, hoffentlich würde es bald heilen.

„Ich habe ihn getroffen, einmal. Er... er hat mir geholfen als ich sonst niemanden hatte, als... als..."

Er konnte nicht weiter reden, nicht weiter über diesen einen Tag nachdenken, nicht ohne alles nochmal zu erleben, die Verzweiflung das Leid.
Und nicht ohne Glorfindel die Klippe herunterstürzen zu sehen, als er ihnen einen sicheren Fluchtweg ermöglichte.

Er konnte es nicht, aber als er Glorfindels Arme um sich spürte und dieser seine Stirn gegen Erestors presste, wusste er, es war in Ordnung.

Es war in Ordnung, weil Glorfindel für ihn da war.

Und als sich ihre Lippen immer näher kamen und sich schließlich berührten, wusste er auch, dass es nicht wichtig war, ob
sein Kopf nicht entscheiden konnte, ob er Glorfindel liebte.

Sein Herz wusste es, und das warauch vollkommen ausreichend.

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Hallo ihr alle,
ich entschuldige mich für die lange Wartezeit und hoffe ihr seid trotzdem dabei geblieben. Ich habe keine Rechtfertigung, außer die Schule, in der es für mich auf das Abitur zu geht.
Insgesamt ist diese Geschichte jetzt auch schon fast am Ende, es kommen auf jeden Fall noch ein Kapitel und der Epilog
( + das gewünschte Sonderkapitel über Erestors Kindheit/ Vergangenheit).

Ansonsten schon einmal einen guten Rutsch.

LG
Urwen

Kämpfe-für das, an was du glaubstTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang