3.5. Der Soldat Marcus

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Während an diesem Sommerabend allmählich nach und nach alle Grafen mitsamt ihrem Gefolge nach Allerlanden zurückkehrten, saß viele Meilen weiter südlich gerade ein kräftig gebauter Mann in einem mit Marmor ausgekleideten Wasserbecken und entspannte seine müden Glieder von den erlittenen Strapazen, die hinter ihm lagen.
Das Wasser des Beckens hatte eine angenehme, gleichbleibend warme Temperatur, worüber ein Drelder sich vielleicht gewundert hätte. Doch hier - im Heiligen Königreich von Harmon - waren beheizbare Wasserbecken eine völlig gewöhnliche Angelegenheit.

Daran musste auch gerade der Mann denken, der erst vor einigen Stunden aus dem rauen Norden zurückgekehrt war. Dort suchte man solchen Luxus vergeblich. Das warme Wasser um seinen Körper ließ ihn daher auch ein zufriedenes Gefühl von Heimat im Herzen entstehen.
Noch war er allerdings nicht ganz zu Hause. Die hiesige Stadt Ludarium, zu der die Wassertherme gehörte, in der er sich gerade befand, war eine der großen Handelsstädte der Provinz Aurelia, der nördlichsten Provinz des Heiligen Königreiches. Wenn man von Austria kommend ins Heilige Königreich zurückkehrte, war diese Stadt eine der ersten Anlaufpunkte, die man als nächstgrößere Siedlung erreichte. Es war daher für den Mann klar gewesen, erst einmal mit seinen Männern hier Halt zu machen, bevor sie dann morgen in die campanische Heimat weiterziehen werden.

Der Mann stöhnte seufzend auf und lehnte sich in sitzender Haltung nach hinten, so dass sein Körper noch mehr von Wasser umspült wurde. Er wollte noch nicht an morgen denken und konzentrierte sich wieder mehr auf die Wirkung des Wassers. Nur mit halbem Bewusstsein nahm er wahr, wie neben ihm zwei neue Personen ins Becken traten.
Der Mann saß in der Nähe des Beckenrands auf eine der breiten Stufen mit Marmorverzierungen, die sich an der oberen, schmaleren Frontseite des Beckens befanden. Von hier aus war man sehr weit vom Eingang entfernt, der sich an der von ihm aus rechts gelegenen Längsseite befand, allerdings schon fast am anderen Ende des Beckens. Man konnte den Eingang daher gut beobachten, hatte aber gleichzeitig seine Ruhe, da nicht alle Ankömmlinge bis hoch zu den Stufen der Frontseite gingen, um ins Wasser zu steigen. Viele Männer ließen sich einfach an der Längsseite behutsam ins Becken hinein.

Die Frontseite des Beckens war zudem in einem Halbkreis abgerundet. Nahe hinter dem Mann verlief der breite verzierte Marmorrand in halbrunder Form von einer Längsseite zur anderen. Direkt am Rand schlossen sich die Stufen des Beckens an, die sich dem halbkreisförmigen Verlauf des Rands anpassten. Der Mann saß auf der zweiten Stufe nahezu in der Mitte der halbkreisförmigen Frontseite. Daher war sein Körper auch schon bis über den Bauchnabel unter Wasser. Würde er sich zu weit nach hinten lehnen, würde er mit dem Kopf untertauchen. Allerdings stand dem Mann nicht der Sinn danach. Die Entspannung im Sitzen reichte ihm schon. Er hatte seine Beine unter Wasser ausgestreckt und ließ die warme angeheizte Flüssigkeit auf seinen Körper wirken. Jede Faser und jede Sehne schien aufzuatmen, waren sie doch gezeichnet von der unrühmlichen Schlacht im Norden.

Nachdem er eine Weile in zurücklehnender Haltung dagesessen hatte, kehrten seine Gedanken wieder zu den Ereignissen der letzten Tage zurück. Wirklich entspannen konnte er daher eigentlich nicht. Vor allem das unrühmliche Ende des Feldzuges kam ihm ständig in den Sinn und ärgerte ihn. Denn selbst er und seine Männer, sowie all die anderen kampferprobten Harmonier, hatten sich ziemlich blutige Nasen geholt, ein Umstand, der für dieses vom Erfolg verwöhnte Volk nicht alle Tage eintraf.

Wer hätte aber auch ahnen können, dass diese Attanen das Geheimnis der Golem gelöst hatten! Ihm selbst, dem einfachen Krieger, erschien das immer noch ungeheuerlich und zudem auch himmelschreiend ungerecht. Wie viele Generationen lang hatten Chronisten und Gelehrten stets das Fehlen der Schriftrolle des Arcteus beklagt und hatten sie erfolglos gesucht. Nun schien dieses wichtige Dokument ausgerechnet den Weg zu den einfachen Attanen gefunden zu haben – jenen Heiden, die sich dem Glauben an Harmon bis heute hartnäckig widersetzten und die dort oben, in ihrem Gebirge, auf einem Haufen voller Gold und auf ungeheuren Mäalström-Vorkommen saßen.

Das Geheimnis von AllerlandenWhere stories live. Discover now