1.14. In Lebensgefahr

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Heinrich betrat das große Zimmer am Giebelende, in welchem man Hugo Balmen und Andreas von Hagen gebettet hatte. Sobald sie ihren Herrn erkannten, versuchten sie eine gespannte Haltung anzunehmen, was in ihrer sitzenden Position nur schwer umsetzbar war.
„Graf! – Herr!", rief Andreas von Hagen mit schwacher Stimme, wobei er versuchte seinem Tonklang eine gewisse Würde zu verleihen, was ihm aber misslang, denn er hatte mittlerweile an Kraft eingebüßt.

Hugo Balmen blinzelte einmal kurz durch seinen Verband und sagte dann fast flüsternd: „Graf..." Mehr brachte er nicht hervor. Seine Kraft, die in der letzten Stunde immer weiter abgenommen hatte, verließ ihn gerade endgültig. Sein Kopf neigte sich zur Seite und sein ganzer Körper sackte mit einem Mal vor Schwachheit einfach in sich zusammen.
„Oh nein – er ist bewusstlos!", rief die Magd neben ihm aus und versuchte sofort, Hugo in die halbwegs aufrechte Lage zurechtzurücken, die er bis eben noch eingenommen hatte.

Heinrich erschrak. Er hatte gehofft, dass seine beiden Getreuen nicht allzu verwundet sein würden, jetzt schien es, als käme er direkt in dem Moment dazu, wo ihre Lebenskraft zu schwinden schien. An eine Befragung war nicht zu denken.
Mit schnellen Schritten trat er neben die Magd und half ihr unverwandt dabei, Hugo wieder in eine sitzende Position zu hieven. Auch Andreas schaute unwillkürlich nach rechts und konnte dort sehen, wie sein Herr gemeinsam mit der Magd Hugo wieder vernünftig aufrichten konnte.

Heinrichs Augen fingen den Blick von Andreas kurz auf. Ihm fiel die Schwäche in den Augen seines Getreuen auf, dennoch war auch die Besorgnis für seinen bewusstlosen Gefährten unverkennbar dort zu lesen.
Nachdem Hugo wieder vernünftig saß, trat Heinrich ein paar Schritte von dem Bett zurück, während die Magd den Kopf von Hugo auf das Kissen dahinter zurücklehnte. Die Augen des Ritters, die vom Kopfverband halb verdeckt waren, blieben zu.

Heinrich rief der anderen Magd, die bei Andreas saß, zu: „Holt den Medicus!" Zum ersten Mal an diesem Tag klang seine Stimme laut und fordernd. Die Magd sprang erschrocken auf und kam der Aufforderung sogleich nach.
Andreas sank derweil in sein Kissen zurück und sagte fast flüsternd: „Oh nein... nicht Hugo." Er atmete schwer und dem Grafen fielen erst jetzt die vielen Schweißperlen auf, die auf der Stirn seines Ritters Andreas standen. Unverkennbar kämpfte dieser gerade darum, wach zu bleiben.

Heinrich sah sich nun auch die Wunden und Verletzungen der Beiden genauer an. Durch den ersten Schock und das plötzliche Zusammensacken von Hugo hatte er noch gar keine Zeit dafür gehabt. Erst jetzt bemerkte er den zertrümmerten Fuß, die durchtränkten Leinentücher und den Geruch von Blut und Arznei, der in der Luft hing.
Ihm wurde leicht übel.
Eben hatte er noch gehofft, dass ihm einige Ritter geblieben waren, nun aber ließen ihm der Anblick dieser Beiden und die düsternde Stimmung dieses Zimmers keinen Zweifel daran, dass er bald alleine dastehen würde.
Sie würden sterben. Direkt vor seinen Augen. Es sei denn, der Medicus fand noch einen Weg.

Heinrich trat an die Bettseite von Andreas, der nun auch die Augen geschlossen hatte, aber noch keuchend atmete und eindeutig wach war. „Beruhigt Euch, von Hagen", sagte er so einfühlsam wie möglich, „verschwendet Eure Kraft nicht fürs Reden."
Andreas bemerkte irgendwo in den letzten Fasern seiner Sinne, dass der Graf zwar beruhigend wirken wollte, aber eine gewisse Unruhe in seinem Tonfall nicht verbergen konnte.

Nach ein paar scheinbar endlosen Momenten öffnete sich die Tür und der Medicus trat ein. In seiner Hand hatte er eine kleine Holzkiste, in der die wichtigsten Utensilien seiner großen Truhe enthalten waren. In seinem Gefolge befand sich nicht nur die Magd, die Heinrich losgeschickt hatte, sondern auch der Priester Gerach und dessen Gehilfe Albrecht.

Heinrich hatte nichts dagegen, dass diese mit ins Zimmer kamen, wenngleich er die Gesellschaft des Priesters momentan nicht schätzte, da ihn der Anblick Gerachs augenblicklich daran erinnerte, dass die oberen Glaubensherren überhaupt erst für dieses ganze Unglück im Süden verantwortlich waren.
Er trat ein wenig vom Bett zurück, so dass der Medicus seine Arbeit machen konnte. Dieser erkannte sogleich das Gefährliche in der Situation. Obwohl schon deutlich älter, wie an dem weißen, gut gepflegten Vollbart erkennbar, wandte sich der Medicus behände Hugo zu und holte flink nacheinander verschiedene Kräuter und Salben hervor, mit denen er die Stirn des bewusstlosen Ritters bestrich. Innerlich verfluchte er sich selbst, dass er seine beiden jungen Gehilfen gerade erst fortgeschickt hatte, weil sich der Zustand der Golddorfer Ritter verbessert hatte. Äußerlich sah man ihm diese Verstimmung nicht an – seine Hände und Finger glitten wie von selbst über die Salben und Kräuter und den Körper Hugos hin und her, so als täten sie nie was Anderes.

Das Geheimnis von AllerlandenWhere stories live. Discover now